Der geistliche Kampf von Lorenzo Scupoli

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St. Franziskus von Sales geistlicher Leiter war vor allem dieses kostbare Buch, das er jeder Seele empfiehl, wie auch seiner geistlichen Tochter.



DER GEISTLICHE KAMPF!



Vorwort


Wer kennt heute noch den Geistlichen Kampf von Lorenzo Scupoli?

Immerhin liest man bei Ad. Tanquereys Grundriß der aszetischen und mystischen Theologie über diese Schrift, sie werde „mit Recht vom hl. Franz von Sales als eine der besten kleinen Abhandlungen über das geistliche Leben geschätzt". Man kann nur darüber spekulieren, weshalb Scupolis Werk kaum noch bekannt ist. An seiner Qualität kann es jedenfalls nicht liegen ...

Francesco Scupoli kommt 1530 in der Hafenstadt Otranto bei Neapel zur Welt. Aus den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens wissen wir nur weniges. Jedenfalls scheint er sich in seinen Jugendjahren den höheren Studien zu widmen. Erst mit 40 Jahren tritt er in einen Orden ein, der nur wenig älter ist als Scupoli selbst, den Ordo Clericorum Regularium vulgo Theatinorum (OTheat). Die Theatiner, wie sie im Volksmund heißen, waren am 14.9.1524 vom hl. Kajetan von Thiene (sein Fest wird am 7. August gefeiert) und von Gianpietro Caraffa (der 1555 als Paul IV. auf den päpstlichen Stuhl kam) gegründet worden. Der Name des Ordens geht auf Caraffa zurück, der von 1505-1524 Bischof von Chieti war. Chieti heißt lateinisch Theate, daher der Name Theatiner. Dieser neue Orden entsprang dem Reformgedanken seiner Gründer. Er war eine von vielen Initiativen, die den Ausweg aus der kirchlichen Krise in der Erneuerung des Klerus suchten. Noch lag im Gründungsjahr des Theatinerordens (1524) das Reformkonzil von Trient in weiter Ferne; eben erst hatte Giulio dei Media als Clemens VII. den päpstlichen Thron bestiegen. Sein Pontifikat war geprägt von Unentschlossenheit, Schwäche und mangelnder Urteilskraft im Hinblick auf die reformatorischen Umtriebe, die sich in Deutschland und auch in anderen Ländern auszuweiten begannen. Doch die Gründung der Theatiner und zahlreiche geistesverwandte Bestrebungen (der Jesuiten, Barnabiten etc.) zeigen, daß die wahre Reform der Kirche nicht von Häretikern und Apostaten ausgeht, sondern von Männern und Frauen, die der kirchlichen Überlieferung und dem katholischen Glauben treu bleiben. Außerdem wird an diesen Reformbemühungen im 16. Jahrhundert deutlich, daß sehr oft in der Kirchengeschichte die Grundlagen für eine wahre Erneuerung gelegt werden, lange bevor die Krise ihre eigentliche Dramatik offenbart und den Höhepunkt erreicht. Während das Haus schon einzustürzen beginnt, ist der Wiederaufbau längst im Gange.


Drei Jahre nach ihrer Gründung in Rom übersiedelten die Theatiner 1527 (im Jahre des Sacco di Roma) von Rom nach Venedig und später nach Neapel. Hier schloß sich im Jahre 1555 der frühere Anwalt Andreas Avellino den Theatinern an (er wurde 1712 heiliggesprochen, sein Fest wird am 10. November gefeiert). Andreas Avellino ist es, der den fast 40-jährigen Scupoli bewegt, 1570 bei den Theatinern in San Paolo zu Neapel einzutreten. Seinen Taufnamen Francesco vertauscht er jetzt mit Lorenzo. Scupoli legt am 26.1.1571 die Ordensgelübde ab, absolviert die philosophischtheologischen Studien und empfängt am Weihnachtstage 1577 in Piacenza die hl. Priesterweihe. Sogleich beginnt er eine segensreiche Tätigkeit, zuerst in Oberitalien (Mailand und Genua), wo es inzwischen mehrere Niederlassungen des Ordens gibt, später in Rom. Scupoli erlangt rasch Erfolg und Beliebtheit als Beichtvater und Seelenführer. Doch sein fruchtbares Wirken als Seelsorger ist früh und jäh zu Ende. Gegen Scupoli werden schwere — verleumderische — Anschuldigungen vorgebracht. Ob sie die Reinheit des Glaubens oder die sittliche Lebensführung betreffen, wissen wir nicht. 1585, im achten Jahr seines Priestertums, wird Lorenzo Scupoli in den Laienstand zurückversetzt. Da er sich nicht wirksam verteidigen kann, nimmt er die Degradierung als Fügung Gottes an. Fortan ist er bis zu seinem Tode am 28.11.1610 — noch 25 Jahre also — als Laienbruder tätig, zuerst in Venedig, danach in Neapel. Hier stirbt er an dem Ort, wo er 40 Jahre zuvor vom hl. Andreas Avellino ins Noviziat aufgenommen worden war.

***

„Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten" (Rom 8,28). Manch anderer wäre seinem Orden untreu geworden oder hätte sich seiner dumpfen Verzweiflung überlassen. Doch Scupoli zeichnet sich aus durch heroische Ergebenheit in Gottes Vorsehung. In vorbildlicher Geduld erträgt er seine bittere Not; und so gereicht ihm die ungerechte Bestrafung zur Heiligung. Statt gegen Gott und die Oberen zu hadern, beginnt er zu schreiben, soweit es seine beschwerliche Arbeit als Laienbruder zuläßt. Nicht für die Öffentlichkeit und für die Bekehrung anderer greift er zur Feder, sondern um sich selbst Ermahnungen zu erteilen. Er entwirft eine Strategie, wie die Seele — seine Seele — dem bösen Feind widerstehen könne. Der Schüler, dem er diesen Plan und die nötige Taktik im Kampf mitteilt, ist ursprünglich ausschließlich er selbst. Das erklärt vielleicht seinen direkten und ungeschminkten Stil. Erst durch Vermittlung anderer Personen, die des Laienbruders Aufzeichnungen lesen, gelangen diese zum Druck. Das ist im Jahre 1589, vier Jahre nach der Rückversetzung Scupolis in den Laienstand.


Die erste Ausgabe des Combattimento spirituelle enthält 23 Kapitel, in einer Neuausgabe desselben Jahres sind es bereits 33, dann 40, schließlich 66 Kapitel. Das Werk richtet sich anfänglich nicht etwa an die gesamte Aszetenwelt, sondern nur an die Ordensschwestern von Sankt Andreas in Venedig. Doch der Stein kommt ins Rollen. Zwar kennt die Öffentlichkeit den Autor der kleinen Schrift nicht: Lorenzo Scupoli bleibt verborgen. „Zusammengestellt von einem Diener Gottes", heißt es auf dem Titelblatt. Das verhindert aber ihre rasche Verbreitung nicht. Noch im selben Jahr wird eine Neuauflage im gleichen Venezianer Verlag notwendig, und von nun an jagen sich, Jahr um Jahr, immer neue Ausgaben, bald auch in anderen Städten Italiens. Seit dem Jahre 1593 wird der Verfasser als „Theatiner" vorgestellt. Doch erst 1610, kurz nach Scupolis Tod, erscheint in einem Neudruck von Bologna zum ersten Mal sein Name auf dem Titelblatt.


Der Geistliche Kampf wird in fast alle europäischen Sprachen übersetzt, dann auch in indische und asiatische. In England wird er für die Protestanten bearbeitet, in der orthodoxen Kirche findet er in griechischer und russischer Sprache Verbreitung unter dem Titel Die unsichtbare Fehde. Auch hier erscheint er anonym, wird aber als Eigengut empfunden. Bis heute rechnet man weltweit mit insgesamt 400 bis 500 Ausgaben — ein Klassiker!

Die vielen und hohen Auflagen, die Lorenzo Scupolis Werk in der gläubigen Christenheit gefunden hat, sind gewiß die beste Empfehlung für diese kleine Schrift. Nur eine oberflächliche Lektüre oder falsche Erwartungen könnten den Geistlichen Kampf für überholt oder ungeeignet erachten.

Man suche keine Darlegung der Erhabenheit, Schönheit und Notwendigkeit des inneren Lebens; erst recht nicht die Beschreibung der großen Zusammenhänge im Geistesleben, die einen wohlgefügten, reichgegliederten Bau vor dem Auge des Lesers erstehen ließe. All dies setzt Scupoli voraus, und seine Schrift ist deshalb nicht für Anfänger oder religiös Unwissende gedacht. Der Geistliche Kampf ist für Menschen geschrieben, die bereits ein geregeltes religiöses Leben führen und die vor allem entschlossen sind, den Weg der Vollkommenheit zu beschreiten, gemäß dem Wort unseres Herrn: „Seid also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5,48).

Natürlich bringt Scupoli der Sache nach nichts Neues zur Sprache. Dieselben Hinweise und Ratschläge finden sich auch bei anderen geistlichen Autoren. Doch kaum ein zweiter hat so knapp und präzise den geistlichen Kampf beschrieben, seinen Verlauf und die wesentlichen Strategien bis ins Detail und nach allen Richtungen hin durchleuchtet. Freilich verliert Scupoli keine überflüssigen Worte und sucht nicht dem Geschmack des Lesers zu schmeicheln oder ihm auch nur ein Zugeständnis zu machen; er sagt einfach unverblümt, was er zu sagen hat. Sobald der Leser sich aber damit abfinden kann, wird er dieses Buch liebgewinnen. Denn in der Beschränkung und Konzentrierung auf das Thema liegt seine Stärke und Brauchbarkeit. Frei von einseitigem Voluntarismus (Mißtrauen gegen sich selbst und Vertrauen auf Gott sind zwei der vier Hauptpfeiler des Geistlichen Kampfes), wird der Anteil, der dem Menschen auf seinem Weg zur Einigung mit Gott zufällt, praktisch, „klar und ganz durchführbar" (hl. Franz von Sales) dargelegt. Und wer schließlich beginnt, den Geistlichen Kampf nicht nur zu lesen, sondern ihn auch zu kämpfen, wird das Urteil, schnell bestätigen, daß sich Scupolis Schrift „durch psychologisches Feingefühl und weise Maßhaltung auszeichnet" (Lexikon für Theologie und Kirche 1937).

***

Wenn der Geistliche Kampf noch einer Empfehlung bedarf, so hat sie kein Geringerer als der hl. Franz von Sales (1566-1622) abgegeben. Der Bischof von Genf, der 1665 heiliggesprochen und 1877 zum Kirchenlehrer ernannt wurde, gilt unbestritten als brillanter Kenner der menschlichen Seele und des Weges zur Vollkommenheit. Diese Kenntnis, seine Einfühlsamkeit und Milde machten den hl. Franz von Sales zu einem ebenso beliebten wie fruchtbaren Beichtvater und Seelenführer. Als solcher hat er Scupolis Geistlichen Kampf oft und geradezu wärmstens empfohlen. Diese Wertschätzung soll an einigen ausgewählten Beispielen dokumentiert werden.

Bekanntlich verband den hl. Franz von Sales mit der hl. Johanna Franziska von Chantal eine tiefe geistliche Freundschaft. Mit ihr zusammen gründete er 1610 den Orden von der Heimsuchung Maria (Salesianerinnen). Im April 1606 schrieb er an Frau von Chantal über die Vorzüge des Geistlichen Kampfes: „Das Buch über die 'Methode, Gott zu dienen' ist gut, aber verworren und schwierig, mehr als Ihnen zuträglich ist. Das Buch über den Geistlichen Kampf enthält alles, was es sagt, jedoch viel klarer und methodischer." Die junge Witwe hatte 1601 ihren Mann bei einem tragischen Jagdunglück verloren und war noch weit entfernt, in den Ordensstand einzutreten. Der hl. Franz von Sales verhalf ihr nun zu einem gottergebenen Leben — und wußte keinen besseren Buchtipp als den Geistlichen Kampf.

Auch später kam er mehrmals in seinen Briefen an Frau von Chantal auf Scupolis Abhandlung zu sprechen. In einem ergreifenden Brief über den Tod seiner eigenen Schwester, die mit 14 Jahren verstorben war, beschwor er die Adressatin, alles in großer Geduld der Vorsehung Gottes zu überlassen. Als probates Mittel dazu kam ihm wiederum Scupolis Werk in den Sinn: „Wir wollen aber jede Woche einmal eine besondere Übung machen, den Willen Gottes noch kraftvoller, ja ich gehe noch weiter, zärtlicher und liebevoller wie nichts sonst in der Welt zu wollen und zu lieben; und das nicht nur bei erträglichen Anlässen, sondern bei den unerträglichsten. Sie finden irgend etwas darüber in dem Buch vom Geistlichen Kampf, das ich Ihnen so oft empfohlen habe" (2. November 1607).

Was der Heilige empfiehlt, hat er natürlich zuvor selbst geprüft und angewandt. Wir müssen annehmen — nach allem, was darüber bekannt ist —, daß der Geistliche Kampf den hl. Franz von Sales auf seinem eigenen Weg zur Heiligkeit geprägt und geführt hat, wie sonst kaum ein Buch. In einem Brief vom 24. Juli 1607 an Johanna Franziska von Chantal findet sich dieses erstaunliche Bekenntnis: „Meine liebe Tochter, lesen Sie das 28. Kapitel des Geistlichen Kampfes, dieses mir so teuren Buches, das ich seit etwa 18 Jahren in meiner Tasche bei mir trage und niemals ohne Gewinn wieder lese. Halten Sie an dem fest, was ich Ihnen gesagt habe."

In einem Brief, den er ein paar Monate später (24. Januar 1608) an dieselbe Adressatin richtete, waren es in der Erinnerung des hl. Franz von Sales zwar nur noch 15 Jahre: „Ja, meine Tochter, der Geistliche Kampf 'ist ein großartiges Buch. Seit 15 Jahren trage ich es ständig in meiner Tasche mit mir herum und ich lese niemals darin, ohne daß ich Nutzen daraus ziehe."

Doch einiges spricht für die Richtigkeit der ersten Zeitangabe. Denn 18 Jahre vor Abfassung dieser Briefe befand sich der Heilige in Padua, wo er von 1589-1591 an der dortigen Hochschule Rechtswissenschaften studierte, und es sei in Padua gewesen, so berichtet uns Jean-Pierre Camus, wo der hl. Franz von Sales den Geistlichen Kampf kennengelernt habe. Camus war Bischof von Belley, der Nachbardiözese von Genf, und Zeitgenosse, Freund und geistlicher Sohn des hl. Franz von Sales. Dieser habe ihm folgendes erzählt: „Als ich in Padua studierte, lehrte mich ein Theatiner das Buch kennen und empfahl es mir zum Gebrauche; ich habe seinen Rat befolgt und mich wohl dabei befunden. Es ist von einem heiligmäßigen Ordensmann dieser berühmten Kongregation verfaßt, der seinen Namen nicht bekannt machte, sondern das Buch mit bloßer Angabe seines Instituts veröffentlichte."

Ob es im Jahre 1608 nun 15 oder gar 18 Jahre waren, seit der Heilige den Geistlichen Kampf in seiner Tasche trug — so oder so spricht die Tatsache für sich. Nicht jedermanns Taschen sind schließlich groß genug, um gute Bücher zu fassen. Und unter den zahlreichen geistlichen Werken schien es unserem Heiligen ausgerechnet Scupolis Abhandlung wert zu sein, daß er sie jahrzehntelang in der Tasche trug -und unentwegt in ihr las. Sein erster Biograph L. de la Riviere berichtet von dem Vorsatz des hl. Franz von Sales, einmal pro Monat den Geistlichen Kampf ganz durchzulesen, und da die (zweite) Ausgabe von 1589, die er besaß, erst 33 Kapitel enthielt, ergab dies pro Tag etwa ein Kapitel. Camus seinerseits bestätigt, der Bischof von Genf habe fast täglich ein Kapitel daraus gelesen.

Welch herausragende Bedeutung Scupolis Büchlein im Leben des Heiligen spielte, belegt auch folgendes Zeugnis. Camus fragte einmal seinen Mitbischof, wer denn eigentlich sein Seelenführer sei. Da zog der hl. Franz von Sales den Geistlichen Kampf aus der Tasche und sagte: „Dieser ist's, der mich seit meiner Jugend, nebst Gott, in den Übungen des inneren Lebens unterwiesen und belehrt hat." Offensichtlich geschah es also aus tiefer Überzeugung und eigener jahrelanger Erprobung, wenn der Heilige seinen Beichtkindern (sowohl den gottgeweihten als auch den eifrigen Christen in der Welt) den Geistlichen Kampf unablässig empfahl. Zum Beispiel Madame Brulart (2. November 1607): „Die 'Methode', die 'Vollkommenheit' und die 'Perle' sind reichlich dunkle Bücher, die auf dem Gebirgsgrat dahingehen; man soll kaum bei ihnen verweilen. Lesen Sie immer wieder den Geistlichen Kampf, das soll Ihr Lieblingsbuch sein, es ist klar und ganz durchführbar." Gut vier Jahre später (11. Februar 1612) weiß der hl. Franz von Sales noch immer keinen besseren Rat: „Lesen Sie wieder den Geistlichen Kampf und richten Sie Ihr besonderes Augenmerk auf die darin enthaltenen Dokumente, es wird Ihnen sehr von Nutzen sein."

Dieser Rat des weisen Seelenführers möge auch dem Leser der vorliegenden Neuausgabe zu Herzen gehen.

 



Dem allerhöchsten König und siegreichsten Herrn Jesus Christus, dem Sohne Mariens


Da dir alle Gaben und Opfer, wenn sie von uns sterblichen Menschen mit lauterem Herzen zu deiner Ehre angeboten werden, allezeit wohlgefällig waren und noch immer sind, so überreiche und weihe ich deiner göttlichen Majestät diese kleine Abhandlung über den „geistlichen Kampf". Daß diese Schrift nur unbedeutend ist, hält mich nicht davon ab, sie zu veröffentlichen, denn bekanntlich bist du der erhabene Herr allein, der sich an Geringem erfreut, Hochmut und Anmaßung der Welt aber verachtet.

Ja, wie hätte ich sie auch, ohne mir Tadel und Nachteil zuzuziehen, einem anderen als deiner Majestät, dem König des Himmels und der Erde, widmen können? Was diese kurze Abhandlung vorträgt, ist deine Lehre, in der du uns selbst unterwiesen hast: „Uns zu mißtrauen, auf dich aber zu vertrauen und zu kämpfen und zu beten!"

Ist schon bei jedem Kampfe ein erfahrener Führer notwendig, der die Schlacht leitet und die Krieger begeistert, damit sie umso mutiger kämpfen, wenn sie unter einem unbesiegbaren Anführer streiten, sollte da nicht auch der „geistliche Kampf" eines Führers bedürfen? Darum erwählen wir alle, die wir zum Kampfe und zum Sieg über jeden Feind entschlossen sind, dich, Jesus Christus, zu unserem Heerführer. Denn du hast die Welt und den Fürsten der Finsternis überwunden und mit deinen Wunden und dem Tod deines hochheiligen Leibes die Schwachheit des Fleisches aller jener besiegt, die opfermutig kämpfen und noch kämpfen werden.

Als ich diesen „Kampf" verfaßte, hatte ich beständig das Schriftwort vor Augen: „Nicht als ob wir fähig wären, aus eigener Kraft etwas auszudenken" (2 Kor 3, 5). Können wir nicht einmal ohne dich und ohne deinen Beistand einen guten Gedanken fassen, wie sollten wir dann allein wider so übermächtige Feinde kämpfen und ihren unzähligen und versteckten Fallstricken entgehen?

Dein ist daher, o Herr, in jeder Hinsicht dieser „Kampf"; denn dein ist die Lehre, und dein sind all die geistlichen Kämpfer, zu denen auch wir regulierte Kleriker des Theatinerordens gehören. Und wir alle bitten dich, niedergeworfen zu den Füßen deiner allerhöchsten Majestät, diesen „Kampf" anzunehmen und uns mit deiner wirksamen Gnade allzeit anzuspornen und zu ermutigen, damit wir immer hochherziger kämpfen, da wir nicht im geringsten daran zweifeln, daß wir zu deiner Ehre und zur Ehre deiner heiligsten Mutter, der allerseligsten Jungfrau Maria, siegen werden, wenn du in uns kämpfst.

Dein geringster, mit deinem heiligsten Blut erkaufter Diener

Lorenzo Scupoli, Reg. Kleriker

 


1. Vom Wesen der christlichen Vollkommenheit !

Um die christliche Vollkommenheit zu erringen, muß man kämpfen, wozu vier Dinge erforderlich sind.

Willst du, in Christus geliebte Seele, zum Gipfel der wahren Vollkommenheit aufsteigen und durch die Vereinigung mit Gott eins und eines Geistes mit ihm werden — etwas Erhabeneres, Besseres und Vorzüglicheres läßt sich nicht ausdenken —, dann mußt du vor allem wissen, worin das wahre und vollkommene geistliche Leben besteht.

Ohne reiflich darüber nachgedacht zu haben, glauben viele, daß die Vollkommenheit in einer strengen Lebensweise bestehe, in der Abtötung der Sinnlichkeit, in Geißelungen und Bußübungen, in Fasten, langen Nachtwachen und anderen körperlichen Bußwerken.

Andere, und namentlich Frauen, meinen, einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht zu haben, wenn sie viele mündliche Gebete verrichten, oft der heiligen Messe und dem Gottesdienst beiwohnen, häufig die Kirche besuchen und die heiligen Sakramente empfangen.

Wieder andere, und unter diesen hie und da auch Ordenspersonen, reden sich ein, daß die Vollkommenheit hauptsächlich vom eifrigen Besuch des Chorgebetes, dem Stillschweigen, der Zurückgezogenheit und einer genauen Beobachtung der Regel abhänge.

Auf diese Weise verlegen die einen die Vollkommenheit in diese, andere wieder in jene äußere Übung. Aber so verhält sich die Sache denn doch nicht! Wohl sind die angeführten Werke mitunter Mittel zur Erlangung der wahren Vollkommenheit und bisweilen auch Auswirkungen und Früchte einer bereits erworbenen Vollkommenheit. Dennoch darf man nie behaupten, daß in ihnen allein der wahre Geist der Vollkommenheit bestehe.

Ohne Zweifel sind sie für diejenigen, die sie recht zu gebrauchen wissen, äußerst wirksame Mittel, um sich den wahren Geist anzueignen, durch den sie Kraft und Stärke gegen ihre eigene Bosheit und Schwäche erlangen, gegen die Anfechtungen und Nachstellungen des höllischen Feindes gesichert werden und schließlich in den Besitz jener geistlichen Hilfsmittel gelangen, die allen Dienern Gottes und insbesondere den Unerfahrenen im geistlichen Kampfe so notwendig sind.

Bei wahrhaft geistlichen Personen sind sie in der Tat Auswirkungen und Früchte einer schon erworbenen Seelenhaltung. Eben weil ihr Leib Gott beleidigte, züchtigen sie ihn, um ihn in Unterwürfigkeit und Bereitwilligkeit für den Dienst Gottes zu halten. Um auch die geringste Gelegenheit zur Sünde zu meiden, verbringen sie ihr Leben in Einsamkeit und Stillschweigen und widmen sich dem göttlichen Dienst und den Werken der Frömmigkeit, damit sie des himmlischen Umganges teilhaftig werden. So beten sie und betrachten das Leiden Jesu Christi nicht aus Neugierde oder um eines fühlbaren Trostes willen, sondern um ihre eigene Bosheit und Verkehrtheit, sowie Gottes Güte und Milde immer besser kennenzulernen. Besonders aber auch, um in sich die Liebe zu Gott und den Abscheu gegen sich selbst immer stärker zu entflammen, indem sie in Selbstverleugnung dem Gottessohne das Kreuz ständig nachtragen. Und um der größeren Ehre und Verherrlichung des Herrn willen nahen sie sich oftmals den heiligen Sakramenten, um sich dadurch inniger mit ihm zu vereinen und um neue und wirksamere Kräfte wider die Feinde auf dem geistlichen Wege zu erlangen.

Jenen aber, welche die vorgenannten äußeren Werke zur alleinigen Grundlage ihrer Vollkommenheit machen, können diese oft mehr als selbst wirkliche Sünden eine Ursache zum Falle sein; nicht deshalb, weil diese Übungen etwa nicht gut wären, sondern ihrer fehlerhaften Einstellung wegen. Einzig auf derartige Äußerlichkeiten bedacht, vernachlässigen sie ihr Inneres und überlassen ihr Herz ganz seinen ungeordneten Neigungen und dem Einfluß des hinterlistigen bösen Feindes. Bei der Wahrnehmung, daß sie bereits vom rechten Weg der Vollkommenheit abgewichen sind, läßt der Feind sie nicht nur mit innerem Wohlgefallen in der erwähnten Übung fortfahren, sondern auch an derselben ein solches Ergötzen finden, daß sie schon die Wonne des Paradieses zu genießen glauben und meinen, sie seien bereits unter die Chöre der Engel versetzt und Gott rede vertraulich mit ihnen. Deshalb sind sie vielfach von so hochfahrenden Gedanken und Gefühlen derartig eingenommen, daß sie wähnen, sie wären aller Welt und Kreatur entledigt und bis in den dritten Himmel entrückt.

In welch großem Irrtum aber solche Menschen gefangen und wieweit sie noch von der wahren Vollkommenheit, nach der wir streben, entfernt sind, läßt sich ihrem Leben und Benehmen gut entnehmen. In allen großen wie kleinen Dingen wollen sie vorgezogen werden und allen vorangehen. Sie sind eigensinnig und ganz versessen auf ihre Meinung, und während sie für ihre eigenen Fehler kein Auge haben, beobachten sie den Nächsten aufs schärfste und werfen sich über alle seine Worte und Handlungen zum Richter auf.

Wenn du ihnen auch nur im geringsten in ihrer hohen Meinung, die sie von sich haben und in der sie bei anderen zu stehen wünschen, zu nahe trittst und versuchst, sie von ihren gewohnheitsmäßig und oberflächlich verrichteten Andachtsübungen abzubringen, so geraten sie gleich in Aufregung und heftigen Zorn.

Sucht sie nun Gott gar mit Trübsal, Schmerz und Krankheit heim und läßt sie einmal unter Verfolgungen leiden — was ja niemals ohne seinen Willen geschieht und womit er seine Getreuen prüft, um sie zur wahren Selbsterkenntnis und auf den rechten Weg der Vollkommenheit zu führen —, dann offenbaren sich schnell ihre verkehrten Grundsätze und ihr vom Hochmut verdorbenes Herz. Bei keinem Vorkommnis, mag es günstig oder ungünstig für sie sein, wollen sie sich in Demut und Ergebenheit unter Gottes mächtige Hand und unter seine allzeit gerechten, wenn auch verborgenen Ratschlüsse beugen. Ebensowenig wollen sie sich nach dem Beispiel des überaus demütigen und sanftmütigen Gottessohnes einem Geschöpf unterwerfen und ihre Verfolger und Feinde, die doch nur Werkzeuge der Barmherzigkeit Gottes und Helfer zu ihrer Vervollkommnung und ihrem Heile sind, wie willkommene Freunde lieben.

Darum schweben auch solche Seelen sichtlich in großer Gefahr. Da ihr inneres Auge, womit sie sich und ihre äußeren, scheinbar guten Werke betrachten, verdunkelt ist, erröten sie nicht, sich einen hohen Grad der Vollkommenheit zuzuschreiben. Auf diese Weise werden sie durch ihre ungemein große Einbildung noch hochfahrender und verfallen leicht darauf, andere zu verurteilen und zu verachten, so daß sie nichts davon befreien kann als Gottes außerordentliche Gnadenhilfe. Viel leichter ist es nämlich, einen offenkundigen Sünder auf den Weg der Wahrheit zurückzuführen, als einen geheimen Sünder, der im Gewand eingebildeter Tugenden daherkommt. Aus dem Gesagten kannst du klar und deutlich erkennen, daß in keinem der angeführten Werke das wahre und vollkommene geistliche Leben besteht.

Sei überzeugt: Die wahre Vollkommenheit besteht in nichts anderem als in der Erkenntnis der Größe und Güte Gottes, wie auch in der Erkenntnis unserer eigenen Nichtigkeit und unserer Hinneigung zum Bösen; in der Liebe zu Gott und dem Haß gegen uns selbst; in bereitwilliger Unterwürfigkeit nicht allein Gott gegenüber, sondern auch gegen jedes Geschöpf; im gänzlichen Verzicht auf unseren eigenen Willen und der völligen Hingabe in den Willen Gottes, und zwar so, daß der alleinige Beweggrund all unseres Wollens und Handelns einzig Gottes Ehre, seine Verherrlichung und sein Wohlgefallen sein darf, weil er es so will und weil er es verdient, daß er von allen Geschöpfen geliebt werde.

Das ist das Gesetz der Liebe, das von Gottes Hand in das Herz seiner getreuen Diener geschrieben ist.

Das ist die Selbstverleugnung, die er von uns fordert.

Das ist sein „süßes Joch" und seine „leichte Bürde".

Das ist jener Gehorsam, zu welchem unser Erlöser und Meister uns durch sein Wort und Beispiel ruft. -

Da du nun einmal nach einer so hohen Vollkommenheit strebst, mußt du dir auch beständig Gewalt antun, um alle deine Begierden und Wünsche, mögen sie groß oder klein sein, hochherzig niederzuzwingen und vollkommen abzutöten, wie es auch unerläßlich ist, daß du dich zu diesem geistlichen Kampfe rüstest und vorbereitest, denn nur dem tapferen Kämpfer wird die Krone des Sieges zuteil werden.

Da wir in diesem Kampfe gegen uns selbst streiten und zu gleicher Zeit auch von uns selbst bekämpft werden, ist derselbe schwieriger als jeder andere, wie auch der errungene Sieg ruhmreicher und Gott wohlgefälliger ist als jeder andere Sieg.

Verlegst du dich mit allem Eifer darauf, die ungeordneten Neigungen deines Herzens und auch die kleinste widerspenstige Leidenschaft zu ertöten und zu zertreten, so erweisest du Gott einen größeren und wohlgefälligeren Dienst, als wenn du dich bis aufs Blut geißeln und durch strenge Fasten und Enthaltsamkeit die alten Einsiedler und Mönche übertreffen oder Tausende von Seelen zu Gott bekehren würdest, dabei aber einige ungeregelte Neigungen freiwillig in dir unterhalten würdest.

Freilich ist die Bekehrung der Seelen an sich Gott lieber als die Bekämpfung irgendeiner Begierde. Nichtsdestoweniger darfst du nicht das wollen und ausführen, was erhabener und vorzüglicher ist, sondern das, was Gott in erster Linie fordert und will. Zweifellos verlangt und wünscht er von dir zuerst, daß du den Kampf aufnimmst und auf die Überwindung deiner Leidenschaften bedacht bist, als daß du bei irgendeiner freiwilligen, ungeordneten Neigung große und erhabene Werke vollbringst.

Christliche Seele! Nun kennst du das Wesen der christlichen Vollkommenheit und weißt, daß du zu ihrer Erlangung einen ununterbrochenen und hartnäckigen Kampf gegen dich beginnen mußt; darum ist es auch notwendig, daß du dich mit brauchbaren Waffen versiehst, die in diesem geistlichen Kampfe zum Siege unentbehrlich sind.

Dieselben sind folgende: Das Mißtrauen gegen dich selbst, das Vertrauen auf Gott, die Tugendübung und das Gebet.

Mit Gottes Hilfe wollen wir uns in den folgenden Kapiteln mit diesen beschäftigen.

 


2. Vom Mißtrauen gegen sich selbst

In diesem geistlichen Kampfe ist dir das Mißtrauen gegen dich selbst so notwendig, daß du ohne dasselbe — und davon sei fest überzeugt — nicht nur den erwünschten Sieg nicht zu erringen, sondern auch nicht einmal die geringste deiner Leidenschaften zu überwinden imstande bist.

Beherzige das wohl und vergiß es nie!

Infolge unserer verdorbenen Natur sind wir gar leicht geneigt, eine zu hohe Meinung von uns selbst zu haben. Obwohl wir an sich doch nur ein Nichts sind, reden wir uns ein, wir seien doch etwas, und überschätzen deshalb ohne jeglichen Grund unsere eigenen Kräfte und bauen vermessentlich auf uns selbst.

Dieser Fehler, den wir nur schwer erkennen, mißfällt Gott sehr, weil er von uns die aufrichtige Überzeugung von jener untrüglichen Wahrheit wünscht, daß jede Gnade und Tugend von ihm als dem Urquell alles Guten herrührt und daß von uns selbst nicht einmal ein guter Gedanke stammen kann, der ihm wohlgefällig wäre (vgl. 2 Kor 3, 5).

Ebenso ist auch dieses so notwendige Mißtrauen gegen uns selbst gleichfalls ein Werk seiner göttlichen Hand, die Gott seinen geliebten Freunden bald mittels heiliger, innerer Erleuchtungen, bald mittels harter Schicksalsschläge, bald in heftigen und fast unüberwindbaren Anfechtungen und bald in anderen, von uns nicht wahrnehmbaren Mitteln zu reichen pflegt. Nichtsdestoweniger will aber Gott, daß auch wir nach besten Kräften mitwirken.

Aus diesem Grunde biete ich dir im folgenden vier Mittel, mit welchen du dir ein solches Mißtrauen mit Gottes Hilfe aneignen kannst.

Das erste Mittel besteht darin, daß du dich durch eifriges Betrachten zu der festen Überzeugung von deiner Armseligkeit und deinem Unvermögen durchringst, wie du aus dir selbst überhaupt nichts Gutes auszuführen imstande bist, wodurch du dir den Himmel verdienen könntest.

Das zweite ist, daß du durch häufiges, inbrünstiges und demütiges Gebet ein solches Mißtrauen erflehst; denn es ist ja eine Gottesgabe. Um aber dieses Mißtrauen zu erlangen, mußt du selbst davon überzeugt sein, daß es dir gänzlich fehlt, und daß du dasselbe aus eigener Kraft nicht zu erlangen vermagst.

Deshalb nahe dich oftmals der göttlichen Majestät im Vertrauen, Gott werde es dir in seiner Güte gewiß geben, und erwarte mit Zuversicht die Stunde, welche die göttliche Vorsehung dafür bestimmt hat; zweifellos wirst du es erhalten!

Das dritte Mittel besteht darin, daß du dich daran gewöhnst, dich selbst und dein eigenes Urteil zu fürchten, besonders deine starke Neigung zur Sünde und deine unzähligen Feinde, denen du aus dir allein nicht den geringsten Widerstand entgegensetzen kannst. Außerdem mußt du auch die lange Erfahrung deiner Kampfesgegner, ihre Kriegslist, mit der sie sich in Engel des Lichtes verwandeln, und ihre ungezählten Kunstgriffe und Fallstricke kennen, die sie uns heimlicherweise auf dem Wege der Vollkommenheit legen.

Das vierte Mittel endlich ist, daß du dich noch stärker und nachhaltiger von deiner großen Schwäche überzeugen läßt, wenn du bisweilen in einen Fehler fällst. Darum ließ Gott deinen Fall zu, damit du, durch denselben innerlich gewarnt und noch mehr erleuchtet, dich als ein armseliges Geschöpf einzuschätzen und verachten lernst und wünschst, auch von anderen ebenso eingeschätzt zu werden. Ohne eine derartige Gesinnung gibt es kein wahres Mißtrauen gegen sich selbst, weil es sich eben nur auf wahre Demut und praktische Selbsterkenntnis gründet.

Es ist daher klar, daß einem jeden, der sich mit dem göttlichen Lichte und der unerschaffenen Wahrheit vereinen will, Selbsterkenntnis vonnöten ist.

Nicht selten verleiht Gott sie den Stolzen und Vermessenen auf dem Wege einer Niederlage, indem er sie in Fehler fallen läßt, vor denen sie sich sicher fühlten, damit sie sich auf diese Weise kennen und mißtrauen lernen.

Dieses empfindlichen Mittels bedient sich aber Gott nur dann, wenn die anderen, milderen, von denen im vorigen die Rede war, versagen und den von seiner Güte beabsichtigten Erfolg nicht zeitigen. Gottes Güte läßt den Menschen nämlich mehr oder weniger tief fallen, je nachdem sein Stolz oder seine Einbildung größer oder geringer sind, so daß kein Fall eintritt, wo gar keine Selbstüberhebung vorhanden ist, wie dies bei der allerheiligsten Jungfrau Maria zutraf.

Fällst du also in irgendeinen Fehler, so geh in demütiger Selbsterkenntnis in dich und flehe inständig zum Herrn, daß er dir in seiner Barmherzigkeit das Licht einer echten Selbsterkenntnis und ein wahres Mißtrauen wider dich selbst schenke, wenn du nicht aufs neue und nicht noch tiefer fallen willst.

 


3. Vom Gottvertrauen

Obschon, wie gesagt, das Mißtrauen gegen sich selbst in diesem Kampfe sehr notwendig ist, so würden wir dennoch, wenn wir nur damit allein ausgerüstet wären, entweder die Flucht ergreifen oder von den Feinden völlig besiegt und überwunden werden. Deshalb bedarfst du außerdem eines rückhaltlosen Gottvertrauens, indem du nur von Gott allein alles Gute, Beistand und Sieg erhoffst und erwartest.

Gleichwie wir von uns selbst, da wir nichts sind, nur Niederlagen zu fürchten haben und deshalb uns ganz und gar mißtrauen müssen, so dürfen wir dagegen von Gott zuversichtlich jeden Sieg erhoffen, sofern wir, um seines Beistandes sicher zu sein, unser Herz mit einem lebendigen Vertrauen auf ihn stärken. Dieses Gottvertrauen können wir uns ebenfalls auf eine vierfache Art zu eigen machen.

Erstens müssen wir Gott inständig darum bitten.

Zweitens sollen wir Gottes Allmacht und unendliche Weisheit mit den Augen des Glaubens betrachten. Gott ist nichts unmöglich oder zu schwer. Und da seine Güte kein Maß kennt, so ist er mit unaussprechlichem Verlangen stets bereit, uns zu jeder Stunde und in jedem Augenblick mit allem zu beschenken, dessen wir zum geistlichen Kampfe und zu einem völligen Siege über uns selbst bedürfen, wenn wir uns nur vertrauensvoll in seine Arme flüchten. Wie wäre es möglich, daß unser göttlicher Hirt, der dem verirrten Schäflein dreiunddreißig Jahre nachging, seine Stimme heiser rief und der rauhen und dornenvollen Wege nicht achtete, so daß er sein ganzes Blut vergoß und sein Leben ließ, dasselbe Schäflein verlassen könnte, das ihm nun durch Beobachtung seiner Gebote folgen will oder wenigstens ein wenn auch bisweilen schwaches Verlangen danach trägt, und das inständig bittet und fleht, er möge das Auge seines Erbarmens nicht von ihm abwenden? Wäre es möglich, daß er es jetzt nicht mehr erhören wollte, daß der gute Hirt es nicht auf seine Schultern nähme und sich nicht mit seinen Nachbarn, den Heiligen und Engeln im Himmel, erfreute? Wenn unser Herr kein Mittel, keine Sorge und Mühe scheute, um die Drachme des Evangeliums, den blinden und stummen Sünder, auffinden zu können, ist es da denkbar, daß er ihn jetzt im Stiche ließe, da derselbe gleich einem Schäflein nach seinem Hirten ruft und klagt?

Wer sollte je glauben, daß Gott, der mit Sehnsucht ständig an des Menschen Herz pocht, um bei ihm Einkehr und Mahl zu halten und ihm seine Gnade zu schenken, sich nun taub stellte und sich weigerte einzukehren, wo das Herz einladend offensteht?

Die dritte Art, um Gottvertrauen zu erlangen, besteht darin, daß wir uns die Wahrheit der Heiligen Schrift ins Gedächtnis rufen, die an so vielen Stellen uns ganz klar und deutlich beweist, daß niemand zuschanden wird, der auf Gott vertraut.

Die vierte Art, wie du Mißtrauen gegen dich selbst und dabei Gottvertrauen erlangen kannst, ist folgende:

Stehst du vor irgendeinem Unternehmen, vor einem Kampfe oder einer Gelegenheit zur Selbstüberwindung, so erinnere dich, bevor du dich entschließt und handelst, deiner Schwäche und wende dich, mißtrauisch gegen dich selbst, an Gottes Macht, Weisheit und Güte. Erst dann fasse vertrauensvoll den Entschluß, unerschrocken zu handeln und zu kämpfen, und, ausgerüstet mit diesen Waffen und mit Gebet (von welchem später die Rede sein wird), geh' ans Werk und in den Kampf.

Hältst du dich aber nicht an diese Regel, so mag es dir wohl vorkommen, als hättest du alles im Vertrauen auf Gott ausgeführt. Dennoch befindest du dich in einem großen Irrtum. Das Selbstvertrauen ist nämlich natürlich und menschlich und schleicht sich allzu gerne in unsere Handlungen ein, so daß es im Vertrauen, das wir auf Gott setzen, heimlicherweise beständig weiterlebt.

Um dieser Selbstüberhebung soviel als möglich zu entgehen und einerseits mit Mißtrauen wider sich selbst und anderseits mit Vertrauen auf Gott zu handeln, muß die Betrachtung deiner Schwäche der Betrachtung der Allmacht Gottes und beide Erwägungen dann zugleich deinen Handlungen vorausgehen.

 

4. Kennzeichen des Misstrauens gegen sich selbst und des Vertrauens auf Gott

Vielfach glaubt auch ein Vermessener, daß er Mißtrauen gegen sich selbst und Vertrauen auf Gott besitze; und dennoch ist dem nicht so.

Am besten wirst du dies aus den Wirkungen, die deine Sünden und Fehltritte hervorrufen, erkennen können.

Wirst du nämlich nach einem Fehltritte unruhig und traurig, daß du schier der Verzweiflung anheimfällst und fast alle Hoffnung auf einen Fortschritt im Guten verlierst, dann ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, daß du mehr auf dich selbst als auf Gott vertraut hast. Und je größer deine Betrübnis und deine Niedergeschlagenheit sind, umso größer war auch dein Vertrauen auf dich selbst und umso kleiner auch das Vertrauen auf Gott.

Wer nicht auf sich selbst, sondern auf Gott allein sein Vertrauen gründet, der wundert sich gar nicht über einen Fehltritt und wird auch nicht traurig und vergrämt, eben weil er weiß, daß er aus Schwäche und Mangel an Gottvertrauen gefallen ist. Nun, noch mißtrauischer als zuvor, demütigt er sich und setzt ein noch größeres Vertrauen auf Gott. Und bei allem Haß gegen die Sünde und die ungeordneten Leidenschaften, in denen er die Ursache seines Straucheins erblickt, empfindet er einen tiefen, aber gelassenen Reueschmerz über die Beleidigung Gottes und setzt unbeirrt seinen Weg fort, indem er mit mehr Mut und Entschiedenheit seine Feinde bis in den Tod bekämpft.

Wollte Gott, daß sich manche, die ein geistliches Leben führen wollen, dies mehr zu Herzen nähmen!

Fallen sie nämlich einmal in einen Fehler, so ist es um ihre Ruhe geschehen, die sie nimmer wiederfinden können noch wollen. Kaum vermögen sie die Stunde zu erwarten, wo sie ihren Beichtvater sprechen dürfen, mehr um ihre Angst und Unruhe, die ihrer Eigenliebe entspringen, loszuwerden, als aus einem anderen Beweggrund. Und doch sollten sie vorzüglich nur darum zu ihm hingehen, um sich durch Lossprechung vom Makel der Sünde zu reinigen und aus der heiligen Eucharistie neue Kraft zu schöpfen.

 


5. Von dem Irrtum vieler, die den Kleinmut als eine Tugend ansehen

Gar viele täuschen sich auch darin, daß sie den Kleinmut und die Unruhe, welche der Sünde folgen, als eine Tugend ansehen, zumal dieselben mit einem gewissen Unbehagen verbunden sind.

Sie sehen nicht ein, daß diese Unruhe nur einem geheimen Stolz entspringt, der sich auf ihrem vermessentlichen Selbstvertrauen gründet, womit sie sich allzusehr auf ihre eigenen Kräfte verließen.

Beim Anblick ihres Falles und der Erkenntnis, daß ihre Kräfte dennoch versagten, verlieren sie ihre ganze Ruhe. Sie verwundern sich wie über etwas ganz Neues und verfallen dem Kleinmut, weil ihre Stütze, auf die sie törichterweise so fest bauten, zusammengebrochen ist.

Einem Demütigen aber, der auf Gott allein sein ganzes Vertrauen setzt, kann ein Straucheln gar nichts anhaben. Trotz seines tiefen Reueschmerzes bleibt er ruhig. Ebenso verwundert er sich auch gar nicht darüber; denn er weiß wohl, daß ihm das alles nur infolge seiner eigenen Armseligkeit und Gebrechlichkeit zustieß, wie er ja auch alles im klaren Licht der Wahrheit betrachtet.

 


6. Weitere Mittel zur Erlangung des Mißtrauens gegen sich selbst und des Vertrauens auf Gott

Da alle Kraft zur Überwindung unserer Feinde aus dem Mißtrauen gegen uns selbst und aus dem Vertrauen auf Gott stammt, will ich dir noch einige Mittel an die Hand geben, damit du diese Tugenden mit Gottes Hilfe erlangen kannst.

Wisse und sei von der unumstößlichen Wahrheit gänzlich überzeugt, daß weder alle unsere Fähigkeiten — seien es angeborene oder erworbene — noch alle Gnadengaben, noch die Kenntnis der ganzen Heiligen Schrift, noch eine vieljährige Treue und Gewohnheit im Dienste Gottes uns befähigen, den göttlichen Willen zu erfüllen, wenn nicht bei jedem guten und Gott genehmen Werke, das wir verrichten sollen, bei jeder Versuchung, die wir überwinden müssen, und bei jedem Kreuz, das wir zu tragen haben, durch Gottes besonderen Beistand unser Herz unterstützt und aufgerichtet wird und Gott uns nicht seine Hand zum Handeln reicht.

Diese Wahrheit müssen wir uns unser ganzes Leben hindurch, jeden Tag und jeden Augenblick vor Augen halten, damit wir auf diese Weise niemals, auch nicht einmal in Gedanken, auf uns selbst vertrauen.

Hinsichtlich des Vertrauens auf Gott wisse, daß es dem allmächtigen Gott stets ein leichtes ist, alle Feinde zu überwinden; mögen es ihrer nun viele oder wenige, alte und erprobte oder neue und unerfahrene sein.

Mag daher eine Seele noch so sehr mit Sünden belastet sein; mag sie auch die Fehler der ganzen Welt an sich tragen; mag sie noch so verunstaltet sein, daß man es nicht zu schildern vermag; mag sie sich noch so sehr bemüht haben, die Sünde auszurotten und das Gute zu tun und trotzdem nichts erreicht haben und sich sogar noch stärker zum Bösen hingezogen fühlen: Dennoch darf sie das Gottvertrauen nicht sinken lassen und die Waffen nicht strecken, noch die geistlichen Übungen aufgeben, sondern sie muß hochherzig weiter kämpfen. Denn sie muß bedenken, daß der in diesem geistlichen Kampfe nicht unterliegt, welcher im Kampfe nicht nachläßt und beständig sein Vertrauen auf Gott setzt. Gott läßt es zwar mitunter zu, daß seine Kämpfer verwundet werden, aber er versagt ihnen niemals seine Hilfe.

Darauf kommt alles an, daß man im Kampfe ausharrt. Den Kämpfern, die Gott und seine Hilfe suchen, stehen ja die Hilfsmittel zur Verfügung, und gerade dann, wenn sie es am wenigsten vermuten, liegen die Feinde bereits überwunden am Boden.

 


7. Von der Tugendübung und zwar zunächst der des Verstandes, den man vor Unwissenheit und Vorwitz bewahren soll

Wie notwendig in diesem geistlichen Kampfe das Mißtrauen gegen sich selbst und das Vertrauen auf Gott auch sein mögen, so würden wir dennoch, falls wir diese allein besäßen, nicht nur keinen Sieg über uns selbst davontragen, sondern dazu noch in viele Fehler fallen. Deshalb ist uns das dritte Mittel, das wir oben angegeben haben, vonnöten, nämlich die entsprechende Tugendübung.

Vor allem aber müssen unser Verstand und unser Wille ertüchtigt werden. Was den Verstand angeht, so muß er vor zwei Feinden behütet werden, welche ihn zu gefährden pflegen.

Der eine Feind ist die Unwissenheit, die ihn verdunkelt und die Erkenntnis der Wahrheit hindert, welche sein eigentliches Ziel ist.

Durch beständige Übung soll der Verstand erhellt und geschärft werden, damit er unsere Bedürfnisse erkenne und unterscheide, um die Seele von den ungeordneten Leidenschaften zu reinigen und mit heiligen Tugenden zu schmücken.

Dieses Licht kann man auf zweifache Weise erlangen.

Zuerst und vorzüglich durch Gebet, indem wir den Heiligen Geist anflehen, damit er unser Herz erleuchte.

Dies wird er immer tun, wenn wir Gott allein suchen und bestrebt sind, seinen Willen zu erfüllen und in allem unser eigenes Urteil dem unseres Seelenführers unterwerfen.

Zweitens durch tiefschürfende und ernste Betrachtung, damit wir erkennen, inwieweit die Dinge dieser Welt gut oder böse sind, und um sie nicht nach ihrem äußeren Schein und der Meinung der Welt zu beurteilen, sondern wie der Heilige Geist sie bewertet.

Stellen wir diese Betrachtung auf die richtige Weise an, so erkennen wir deutlich, daß alle jene Dinge, welche die verblendete und verdorbene Welt liebt und sucht und sich auf mannigfache Weise und durch die verschiedensten Mittel zu verschaffen strebt, nur Eitelkeit und Trug sind. Wir erkennen auch, daß die Ehren und Freuden dieser Welt wie ein Traum verfliegen und nur Geistesplagen erzeugen, daß dagegen die Schmach und Beschimpfung, womit uns die Welt verfolgt, wahren Ruhm und die Drangsale wahren Frieden eintragen. Wir sehen ein, daß uns nichts mehr veredelt und Gott ähnlicher macht, als seinen Feinden zu verzeihen und ihnen Gutes zu erweisen, und daß es köstlicher ist, die Welt zu verachten, als sie zu beherrschen, daß es erhabener und wertvoller ist, dem geringsten Geschöpfe zu gehorchen, als über Könige und Kaiser zu gebieten. Eine demütige Selbsterkenntnis steht weit höher als die höchste Wissenschaft, und es ist lobenswürdiger, die geringsten unserer Leidenschaften zu bezwingen und zu ertöten, als Städte zu erobern, gewaltige Heere mit der Waffe in der Hand zu besiegen, Wunder zu wirken und selbst Tote zu erwecken.

 


8. Warum wir die Dinge nicht richtig einschätzen und wie wir zur rechten Erkenntnis gelangen können

Der Grund, warum wir die obengenannten Dinge und viele andere nicht richtig erkennen, liegt darin, daß wir uns nach dem ersten Eindruck, den sie in uns erwecken, entweder zur Liebe oder zur Abneigung bestimmen lassen, wodurch unser Verstand beeinflußt wird und infolgedessen über ihren wirklichen Wert nicht richtig urteilt.

Darum sei auf der Hut und halte deinen Willen von jeder ungeordneten Neigung möglichst frei und unabhängig, damit du einer derartigen Täuschung nicht zum Opfer fällst. Begegnet dir irgendeine Sache, so prüfe sie reiflich und besonnen und ohne Voreingenommenheit mit dem Verstande, bevor du dich, je nachdem sie in deinen natürlichen Neigungen Widerwillen oder Vorliebe erweckt, für oder gegen sie beeinflussen und bestimmen läßt.

Auf diese Weise wird der Verstand von keiner Leidenschaft verblendet und umgarnt. Er bleibt unabhängig und ungetrübt, und so vermag er stets das Wahre zu erkennen und sowohl das Böse, das sich hinter einer trügerischen Lust verbirgt, wie auch das Gute, das unter dem Schein des Bösen verdeckt ist, zu entdecken.

Ist aber der Wille bereits von vorneherein zur Liebe oder zur Abneigung bestimmt oder entschlossen, so kann der Verstand die Sache nicht mehr nach ihrem eigentlichen Wert beurteilen, weil diese entstandene Voreingenommenheit ihn derart verblendet, daß er sie für etwas ganz anderes ansieht, als sie in Wirklichkeit ist.

Durch diese falsche Belichtung wird der Wille noch stärker angetrieben, dieselbe wider alle Ordnung und jedes Gesetz der Vernunft entweder zu lieben oder zu verabscheuen.

Infolge dieser stärkeren Willenseinstellung wird der Verstand noch mehr verdunkelt, der dann die Sache dem Willen umso liebenswürdiger oder verabscheuungswürdiger erscheinen läßt.

Wird also die eben angegebene Regel nicht beobachtet, die für die ganze Tugendübung von größter Wichtigkeit ist, dann bewegen sich die beiden so edlen und hervorragenden Seelenkräfte, der Verstand und der Wille, beständig in verkehrtem Kreislauf und geraten infolgedessen in immer dichtere Finsternis und in größere Irrtümer.

Hüte dich also mit aller Sorgfalt vor jeglicher Anhänglichkeit an irgendeine Sache, bevor du sie nicht mit der Leuchte des Verstandes untersucht und nach ihrem wahren Werte erkannt hast. Aber nicht allein mit der Leuchte des Verstandes, sondern vor allem im Lichte des Glaubens und der Gnade und nach dem Urteil deines Seelenführers sollst du den wahren Wert der Dinge zu erkennen trachten.

Diese Ordnung ist ganz besonders bei gewissen äußeren Übungen, die gut und heilig sind, zu beobachten. In solchen liegt die Gefahr näher als in anderen, daß man sich täuscht oder ohne weise Unterscheidung zu Werke geht. Nicht selten können dieselben wegen eines Umstandes der Zeit, des Ortes oder des Maßes, ja mitunter wegen mangelnden Gehorsams sehr großen Schaden verursachen.

Die Erfahrung beweist es ja zur Genüge, wie viele bei den lobenswertesten und heiligsten Übungen zugrunde gegangen sind.

 


9. Von einem anderen Übel, vor dem wir den Verstand bewahren sollen, um richtig zu urteilen

Das andere Übel, vor dem wir den Verstand bewahren müssen, ist die vorwitzige Neugier. Wenn wir ihn nämlich mit schädlichen, törichten und ungehörigen Dingen belasten, machen wir ihn unfähig, das zu erfassen, was eigentlich zur wahren Selbstüberwindung und Vervollkommnung gehört. Darum sollst du wie abgestorben sein für alles Forschen nach weltlichen, wenn auch erlaubten Dingen, deren Kenntnis nicht notwendig ist. Halte deshalb deinen hochfahrenden Geist möglichst innerhalb bestimmter Grenzen, wie sie die Torheit des Kreuzes liebt.

Neuigkeiten und Zeitströmungen, die unbedeutenden sowohl wie die bedeutenden, sollen für dich nicht vorhanden sein.

Auch im Verlangen nach der Kenntnis himmlischer Dinge sei maßvoll und demütig und wünsche nichts anderes zu wissen als Jesus Christus, den Gekreuzigten, sein Leben und seinen Tod, wie auch seine Forderungen an dich.

Alles andere halte fern von dir! Dann wirst du Gott wohlgefällig sein; denn jene sind seine bevorzugten Lieblinge, die nach ihm verlangen und nur diejenige Kenntnis zu erlangen trachten, welche dazu dient, um ihn, das höchste Gut, zu lieben und seinen heiligen Willen zu erfüllen. Jedes andere Verlangen und Forschen ist Eigenliebe, Stolz und ein Fallstrick des Teufels.

Befolgst du diese Ratschläge, dann wirst du vielen Nachstellungen der listigen Schlange entgehen.

Sobald der böse Feind merkt, daß in jenen, die sich dem geistlichen Leben widmen, der Wille entschlossen und stark ist, greift er sie aufseiten der Erkenntnis an, um durch diese auch Herr über den Willen zu werden.

Deshalb flößt er namentlich solchen, die einen scharfen und durchdringenden Verstand besitzen und aus diesem Grunde leicht zum Hochmut geneigt sind, hohe und außerordentliche Gedanken ein, in die sie sich mit Lust vertiefen, so daß sie meinen, bereits Gott zu genießen. Darüber vergessen sie, ihr Herz zu läutern und sich auf Selbsterkenntnis und wahre Abtötung zu verlegen. Und auf diese Weise geraten sie in die Fallstricke des Stolzes und erheben schließlich ihren Verstand zum Abgott. Ja, allmählich kommen sie, ohne sich dessen bewußt zu werden, so weit, daß sie sich einbilden, keines Rates und keiner Belehrung vonseiten anderer Menschen mehr zu bedürfen, weil sie sich bereits daran gewöhnten, sich bei jeder Gelegenheit an den Abgott ihrer eigenen Urteilskraft zu wenden. Das ist ein ungemein gefährliches Übel und fast kaum mehr zu heilen.

Der Stolz des Verstandes ist nämlich viel gefährlicher als der des Willens, da der letztere durch die Übung des Gehorsams geheilt werden kann, sobald der Verstand ihn erkannt hat.

Von wem und wie kann aber derjenige geheilt werden, welcher der festen Überzeugung huldigt, sein Urteil wäre besser als das eines jeden anderen? Wie wird ein solcher sich dem Urteil eines anderen unterwerfen, das er niemals für so gut wie sein eigenes hält?

Ist das Auge der Seele, nämlich der Verstand, mit dem man die Wunde des hochfahrenden Willens erkennen und heilen sollte, selbst krank, blind und vollen Stolzes, wer wird dann imstande sein, sie zu heilen? Ist die Leuchte Finsternis und die Richtschnur zum Irrtum geworden: Was soll dann aus dem übrigen werden?

Widerstehe also dem Stolze beizeiten, bevor sein Gift in dein Inneres bis ins Mark der Seele dringt. Ziehe deinem Verstande Grenzen und unterwirf dein Urteil gerne dem eines anderen; ja, werde töricht um Christi willen, und du wirst weiser sein als Salomo.

 


10. Von der Übung des Willens und dem Endziel, auf das alle unsere inneren und äußeren Handlungen eingestellt sein sollen

Neben der Übung deines Verstandes ist es notwendig, daß du auch deinen Willen in Zucht und Ordnung hältst, damit er seinen Neigungen nicht überlassen bleibt, sondern in allem dem göttlichen Wohlgefallen gleichförmig wird.

Merke dir wohl, daß du dich nicht damit begnügen darfst, nur das zu wollen und auszuführen, was Gott wohlgefällig ist, sondern du mußt das alles wollen und vollbringen wie von Gott geführt und angetrieben und in der reinen und lauteren Absicht, ihm allein zu gefallen.

Hierbei erfahren wir einen noch heftigeren Widerstand vonseiten unserer Natur als bei der vorhin besprochenen Übung des Verstandes. Unsere Natur ist nämlich so veranlagt, daß sie in allem — und bisweilen in guten und geistlichen Dingen noch mehr als in anderen – ihren eigenen Vorteil und Genuß sucht. Sie unterhält sich damit und labt sich begierig, ohne irgendeinen Verdacht zu schöpfen.

So kommt es, daß wir ein gutes Werk, das wir verrichten sollen, mit Feuereifer beginnen, aber nicht, als wären wir angetrieben vom Willen Gottes, auch nicht in der Absicht, ihm allein zu gefallen, sondern wegen der Freude und Genugtuung, die wir finden, wenn wir wollen, was auch Gott will.

Diese Täuschung ist umso verborgener, je besser die gewollte Sache an sich ist. Darum pflegen sich selbst in das Verlangen nach Gott Täuschungen der Eigenliebe einzuschleichen, indem wir oftmals mehr auf unser eigenes Interesse und den erwarteten Vorteil schauen als auf den Willen Gottes, der uns jenes Gut einzig seiner Verherrlichung wegen schenkt. Deswegen verlangt er auch, daß wir all unser Lieben, Wünschen und Verlangen und unsere ganze Bereitwilligkeit ihm allein darbieten.

Um dich aber vor diesem Fallstrick, der dir den Weg zur Vollkommenheit versperren würde, zu bewahren und dich daran zu gewöhnen, alles nur unter Gottes Eingebung und in der reinen Absicht zu wollen und zu vollbringen, um Gott allein die Ehre zu geben und ihm wohlzugefallen, der ja auch der Ursprung und das Ziel all unseres Denkens und Handelns sein will, so gehe folgendermaßen vor:

Bietet sich dir etwas von Gott Gewolltes dar, dann laß deinem Willen nicht eher die Freiheit, es zu begehren, als bis du dein Gemüt zu Gott erhoben und erkannt hast, daß dies sein Wille ist und daß du es nur willst, weil er es wollte, und in der Absicht, ihm allein zu gefallen.

Ist dein Wille also vom göttlichen Willen angetrieben und angezogen, dann laß ihn dasselbe verlangen, aber nur aus dem Grunde, weil Gott es will und weil es ihm so wohlgefällt und ihn ehrt.

Desgleichen, wenn es sich darum handelt, Dinge, die Gott nicht will, zu verwerfen; verwirf sie nicht, bevor du das Auge deines Verstandes auf den göttlichen Willen gerichtet hast, welcher eben will, daß du sie einzig nach seinem Wohlgefallen zurückweisest.

Doch wisse, daß es nicht leicht ist, die Heimtücke unserer schlauen Natur zu durchschauen. Obwohl sie zu jeder Zeit nur sich selbst sucht, spiegelt sie uns vielfach vor, als ob uns als der einzige Beweggrund und Zweck das Wohlgefallen Gottes vor Augen schwebe; was aber keineswegs der Fall ist.

Daher kommt es, daß wir scheinbar wollen oder nicht wollen, um Gott zu gefallen oder nicht zu mißfallen, während wir im Grunde genommen nur in eigenem Interesse etwas begehren oder nicht wünschen.

Das beste und geeignetste Mittel, um diesen Irrtum zu vermeiden, ist die Lauterkeit des Herzens, auf die ja auch der ganze geistliche Kampf hinzielt, der darin besteht, daß wir den alten Menschen aus- und den neuen Menschen anziehen.

Damit du aber in dieser Kunst eine gewisse Fertigkeit erlangst, da du von dir selbst allzu sehr eingenommen bist, so sei zu Beginn deines Handelns stets darauf bedacht, soviel als möglich jede Neigung deines eigenen Ichs zu entfernen und auf diese Weise nichts zu wollen, noch zu vollbringen oder zurückzuweisen, als das, wozu du dich innerlich durch eine reine Liebe zu Gott angetrieben fühlst.

Kannst du dir aber im Augenblick bei all deinen Handlungen, namentlich bei den inneren Bewegungen der Seele oder äußeren schnell zu erledigenden Verrichtungen diesen Beweggrund nicht förmlich vergegenwärtigen, so bemühe dich, ihn wenigstens in der guten Absicht zu bewahren, indem du beständig an der aufrichtigen Absicht festhältst, in allem nur Gott allein zu gefallen.

Bei solchen Handlungen aber, die längere Zeit beanspruchen, ist es gut, wenn du nicht nur zu Anfang diese Meinung erweckst, sondern auch, wenn du sie mit Bedacht wiederholt erneuerst und bis zum Schlusse wirksam erhältst. Andernfalls läufst du Gefahr, in eine andere Schlinge unserer natürlichen Selbstsucht zu fallen, welche, mehr zum eigenen Ich als zu Gott hinneigend, unversehens im Verlauf der Zeit gar leicht den Vorsatz und das Ziel verwechselt.

Ein Diener Gottes, der hierin nicht sehr auf der Hut ist, beginnt manchmal ein Werk in der guten Meinung, einzig dem Herrn zu gefallen; aber allmählich empfindet er, fast ohne es gewahr zu werden, eine so große Freude an demselben, daß er, des göttlichen Willens uneingedenk, sich ganz seinen Stimmungen und Gefühlen hingibt und im Geiste an dem Vorteil und der Ehre, die ihm daraus erwachsen, haften bleibt. Und wenn dann Gott dem Werke durch eine Krankheit oder ein anderes Ereignis oder durch ein Geschöpf ein Hindernis in den Weg legt, wird er gleich verwirrt und unruhig und fängt wohl auch an, bald gegen diesen, bald gegen jenen, ja selbst wider Gott zu murren. Das ist ein sicheres Zeichen, daß seine Absicht nicht rein auf Gott allein zielte, sondern einer faulen Wurzel und einem schlechten Boden entsproß.

Wer nur, um Gott zu gefallen und von Gott angetrieben, sich zu etwas entschließt, will das eine nicht mehr als das andere; denn er verlangt es ja nur insofern, wie und wann Gott es will und es ihm genehm ist. Mag er es erlangen oder nicht; er bleibt zufrieden und gelassen, weil er auf jeden Fall sein Ziel erreicht, das kein anderes ist als das Wohlgefallen Gottes.

Deshalb nimm dich zusammen und strebe danach, alle deine Werke stets auf jenes vollkommene Ziel zu richten.

Zuweilen wirst du dich, um den Strafen der Hölle zu entgehen, oder aus der Hoffnung auf den Himmel, zu guten Werken angetrieben fühlen. Aber auch dabei muß deine letzte Absicht der Wille und das Wohlgefallen Gottes sein, weil du seinem Willen gemäß nicht zur Hölle fahren, sondern in sein Reich eingehen sollst.

Niemand ist imstande, die außerordentliche Kraft und Wirkung dieses Beweggrundes voll zu erfassen. Denn auch das unbedeutendste und geringste Werk, das um des Wohlgefallens und der Ehre Gottes willen verrichtet wird, gilt unendlich mehr als viele andere, überaus verdienstvolle und erhabene Werke, denen jener Beweggrund mangelt.

Deshalb ist es Gott wohlgefälliger, wenn ein kleines Geldstück einem Armen, um der göttlichen Majestät zu gefallen, gereicht wird, als wenn jemand aus einem anderen Beweggrund, wäre es auch der himmlischen Freude wegen (was doch eine nicht nur gute, sondern sogar höchst lobenswerte Absicht wäre), sich aller seiner Güter, wie groß diese auch sein mögen, entäußerte.

Diese Übung, alles in der Meinung zu tun, um Gott allein zu gefallen, mag wohl für den Anfang schwierig sein. Allein, sie wird angenehm und leicht, wenn man sich dieselbe zur Gewohnheit macht und mit großer Herzenssehnsucht nach Gott, als dem vollkommensten und höchsten Gut, verlangt und strebt, das um seiner selbst willen verdient, von jeglicher Kreatur umfangen, verehrt und über alles geliebt zu werden.

Je aufmerksamer und eifriger wir bedenken, daß Gott unserer Liebe unendlich würdig ist, desto inniger und häufiger werden auch die erwähnten Akte des Willens sein. Umso schneller und leichter werden wir uns auch die Gewohnheit aneignen, jedes Werk im Aufblick auf Gott und aus Liebe zu ihm zu verrichten, der ja allein aller Ehre würdig ist.

Um sich diese Ausrichtung auf Gott schneller anzueignen, rate ich dir noch zum Schluß, Gott inständig darum zu bitten und oft die unzähligen Wohltaten zu betrachten, die er uns bereits erwiesen hat und uns noch immer aus reiner Liebe und ohne seinen eigenen Vorteil erweist.

 


11. Erwägungen, die den Willen anspornen, in allen Dingen das Wohlgefallen Gottes zu suchen

Um deinen Willen mit größerer Leichtigkeit dahin zu lenken, daß er in allen Dingen nur das Wohlgefallen Gottes und seine Ehre suche, erinnere dich häufig daran, daß Gott dich zuerst auf mannigfache Weise bevorzugt und geliebt hat:

durch die Erschaffung, indem er dich aus dem Nichts zu seinem Ebenbild gemacht und alle anderen Geschöpfe zu deinem Dienste bestimmt hat;

durch die Erlösung, indem er nicht einen Engel, sondern seinen eingeborenen Sohn sandte, um dich nicht mit einem vergänglichen Preise von Gold und Silber zu erkaufen, sondern durch sein kostbares Blut und einen qualvollen und schimpflichen Tod.

Jede Stunde, ja jeden Augenblick beschützt er dich bereitwillig vor deinen Feinden, streitet für dich mit seiner Gnade und hält zu deinem Schutz und zu deiner Stärkung im Sakrament des Altars seinen vielgeliebten Sohn beständig bereit.

Ist dies alles nicht ein Zeichen einer unbeschreiblichen Hochachtung und Liebe, die der unendliche Gott für dich hegt?

Kein Mensch vermag zu begreifen, wie hoch dieser erhabene Herr uns arme Menschenkinder achtet, wie er sich unseres Elends und unserer Niedrigkeit annimmt, und wie sehr wir deshalb seiner unaussprechlichen Majestät gegenüber verpflichtet sind, die für uns so Vieles und so Großes getan hat.

Wenn die Großen dieser Welt sich verpflichtet fühlen, die ihnen von anderen, wenn auch armen und kleinen Leuten erwiesenen Ehrenbezeugungen dankbar zu erwidern, wie müssen erst wir Armselige uns dem höchsten König des Weltalls gegenüber verhalten, von dem wir uns so hoch geehrt und so innig geliebt sehen?

Außerdem mußt du in dauernder und lebendiger Erinnerung behalten, daß die göttliche Majestät schon in sich selbst unserer Verehrung und unserer Dienste, weil es ihr so gefällt, unendlich würdig ist.

 


12. Von den verschiedenen sich widerstreitenden Willensneigungen

Man kann wohl sagen, daß in diesem Kampfe der Wille von zwei verschiedenen Seelenkräften bewegt werden kann. Wird der Wille von der Vernunft geleitet, nennt man ihn den vernünftigen oder höheren, da er der höchsten Seelenkraft folgt. Die andere Willensneigung folgt den niederen Seelenkräften, die man auch als Begierlichkeit, Fleischeslust, Sinnlichkeit oder Leidenschaft bezeichnet.

Die letztere verdient im eigentlichen Sinne nicht die Bezeichnung Wille, denn da wir durch die Vernunft zu Menschen erhoben sind, kann man nicht behaupten, daß wir das wirklich wollen, was die Sinne uns vorhalten, solange wir nicht mit dem höheren Willen zustimmen.

Unser ständiger geistlicher Kampf hat infolgedessen hauptsächlich darin seine Ursache, daß unser vernünftiger Wille zwischen dem höheren Willen Gottes und dem niederen, sinnlichen hingestellt ist und fortwährend von beiden bestürmt wird, da jeder ihn auf seine Seite zur Unterwürfigkeit und zum Gehorsam zu ziehen versucht.

Deshalb erleiden Anfänger, die noch mit verkehrten Gewohnheiten behaftet sind, viele Mühen und Beschwerden, wenn sie sich entschließen, ihr sündhaftes Leben zu bessern, der Welt und der Sinnenlust zu entsagen und sich ganz der Liebe und dem Dienste Jesu Christi hinzugeben. Denn die Angriffe, die ihr vernünftiger Wille vom göttlichen Willen und von ihren sinnlichen Willensneigungen, die einander beständig bekämpfen, zu ertragen hat, sind überaus heftig und empfindlich und nicht ohne große Pein.

So ergeht es jedoch nicht denen, welche bereits an die Tugend oder ans Laster gewohnt und entschlossen sind, ihren Weg fortzusetzen. Denn die Tugendhaften gehen leicht auf den Willen Gottes ein, während die Lasterhaften ohne Widerstand der Sinnlichkeit nachgeben.

Niemand soll sich aber einbilden, er werde eine echte, christliche Tugend erlangen und dem lieben Gott auf echte Weise dienen, wenn er nicht entschlossen ist, sich energisch Gewalt anzutun und tapfer das Weh zu ertragen, das der Mensch empfindet, wenn er nicht nur auf die größeren, sondern auch auf die kleinen Genüsse verzichten muß, in die er durch seinen erdhaften Sinn verstrickt ist.

Daher kommt es, daß nur sehr wenige das Ideal der Vollkommenheit erreichen.

Viele, die mit Mühe die größeren Laster überwunden haben, wollen sich nicht beständig Gewalt antun und das Unangenehme der andauernden Kämpfe mit den unzähligen kleineren Gelüsten und Leidenschaften auf sich nehmen, die dann in ihnen derartig wachsen, daß sie schließlich die Oberhand gewinnen und die Herrschaft und Gewalt über ihr ganzes Herz an sich reißen.

Unter ihnen befinden sich solche, die allerdings kein fremdes Gut anrühren, aber mit Leidenschaft an ihrem Besitz haften. Oder solche, die sich zwar nicht mit unerlaubten Mitteln Ehrenstellen verschaffen, jedoch dieselben nicht gebührend verachten und nicht aufhören, nach denselben zu verlangen und sie auf anderem Wege zu suchen. Wieder andere, die zwar die vorgeschriebenen Fasten beobachten, aber sonst ihre Gaumenlust nicht abtöten, sondern sich der Unmäßigkeit im Essen hingeben und mit Gier nach ausgesuchten Speisen ausschauen. Ebenso jene, die wohl ein enthaltsames Leben führen, aber gewissen Vergnügen nicht entsagen, welche der Vereinigung mit Gott und einem geistlichen Leben sehr im Wege stehen und für jede auch noch so heilige Seele, besonders aber für jene, die dieselben weniger fürchtet, von großer Gefahr und darum von jedermann möglichst zu meiden sind.

Infolgedessen werden auch ihre übrigen guten Werke im Geiste der Lauheit verrichtet und sind von starker Ichsucht und geheimer Unvollkommenheit begleitet, namentlich von einem gewissen Ehrgeiz und dem Verlangen, für die guten Werke von den Leuten gelobt und geachtet zu werden.

Wer in einem derartigen Zustand lebt, macht nicht nur keine Fortschritte auf dem Wege des Heiles, sondern geht sogar rückwärts und schwebt in großer Gefahr, in die alten Sünden zurückzufallen. Ein solcher liebt keineswegs die wahre Tugend und erweist sich wenig dankbar gegen den Herrn, der ihn der Tyrannei des bösen Feindes entrissen hat. Zudem ist er unwissend und blind; er will die Gefahr nicht sehen, in welcher er schwebt, indem er sich fälschlich einredet, er sei in einer guten Seelenverfassung.

Hier offenbart sich eine umso gefährlichere Selbsttäuschung, je weniger sie beachtet wird. Viele, die sich dem geistlichen Leben widmen, sich selbst aber mehr lieben als sie sollten (obwohl sie nicht einmal sich selbst wahrhaft zu lieben verstehen), verlegen sich meistens auf jene Übungen, die ihrem Geschmack zusagen, und unterlassen dann jene, welche sie in ihren natürlichen Neigungen und sinnlichen Trieben empfindlich treffen würden. Und doch sollte vernünftigerweise gerade gegen diese ihre ganze Kampfesbegeisterung gerichtet sein!

Und darum ermahne ich dich, meine christliche Seele, recht eindringlich, die Mühe und das Weh, welches die Selbstüberwindung mit sich bringt, liebzugewinnen. Denn hierauf kommt alles an.

Der Sieg wird umso sicherer und näher sein, je entschlossener du die Schwierigkeiten auf dich nimmst, die der Kampf um die Tugend den Anfängern verursacht.

Wenn du die Mühen und Opfer des Kampfes mehr liebst als den Sieg und die Tugendkrone, dann wirst du alles umso schneller erlangen.

 


13. Vom Kampfe gegen sinnliche Triebe und von den Akten des Willens, um in der Tugendübung Fertigkeit zu erlangen

Sooft die sinnliche Neigung einerseits und der göttliche Wille anderseits um den Sieg über deinen vernunftbegabten Willen streiten, mußt du verschiedene Übungen vornehmen, damit der göttliche Wille in dir jederzeit die Oberhand gewinnt.

Erstens: Sobald dich die sinnlichen Triebe anfallen und bestürmen, leiste ihnen energischen Widerstand, damit dein höherer Wille denselben nicht nachgebe.

Zweitens: Haben sie wieder nachgelassen, dann erwecke sie in dir aufs neue, um sie mit doppelter Energie und Kraft zu unterdrücken. Fordere sie dann zu einem dritten Kampfe auf, um dich daran zu gewöhnen, sie immer mit Entrüstung und Abscheu zu vertreiben. Diese doppelte Herausforderung zum Kampfe darf man bei jeder ungeordneten Sinnesregung tun. Ausgenommen sind jedoch die Regungen des Fleisches, von welchen an geeigneter Stelle (Kap. 19) im besonderen die Rede sein wird.

Schließlich mußt du Tugendakte erwecken, die deiner ungeordneten Neigung entgegengesetzt sind.

Angenommen, du wirst von Regungen der Ungeduld befallen. Wenn du dich innerlich sammelst und wohl acht gibst, dann wirst du bemerken, wie diese den höheren Willen ständig angehen, um ihn zur Einwilligung zu bewegen.

Durch die erste Übung widersetze dich also mit entgegengesetzten Willensakten jeder Regung und wirke nach besten Kräften dahin, daß der Wille nicht zustimme. Du darfst dann von diesem Kampfe nicht ablassen, bis du merkst, daß der Feind, gleichsam ermattet und getötet, sich besiegt gibt.

Nun aber vergiß nicht die Hinterlist des bösen Feindes! Sobald er nämlich wahrnimmt, daß wir uns der Regungen einer Leidenschaft energisch erwehren, sieht er nicht nur davon ab, sondern sucht sie sogar, nachdem sie wach geworden sind, zu beschwichtigen, damit wir uns durch diese Übung nur ja keine Fertigkeit in der jener Leidenschaft widerstrebenden Tugend aneignen und damit wir überdies in die Schlingen der Hoffart und Eitelkeit geraten, indem er uns raffiniert die Meinung beizubringen sucht, wir hätten als tüchtige Krieger unsere Feinde schnell überwunden.

Aus diesem Grunde mußt du jetzt zum zweiten Kampfe übergehen.

Rufe dir jene Gedanken, die dich zur Ungeduld reizten, wieder ins Gedächtnis zurück und erwecke sie aufs neue, damit sich dein sinnliches Begehrungsvermögen wieder erregt. Dann aber unterdrücke durch wiederholte Willensakte und mit noch größerer Gewalt als das erste Mal diese Regungen.

Freilich, so sehr wir auch unsere Feinde abweisen und damit Gutes tun und Gott gefallen, wir laufen dennoch Gefahr, bei einer anderen Gelegenheit überwunden zu werden, wenn wir die Gegner nicht aus tiefster Seele hassen. Deshalb rücke ihnen mit einem dritten Angriff zu Leibe und vertreibe sie nicht allein mit Unwillen, sondern auch mit Abscheu von dir, bis sie dir schließlich ganz verhaßt und verächtlich geworden sind.

Endlich mußt du, um deine Seele zu vervollkommnen und mit dem Kleid der Tugend zu schmücken, innere Akte erwecken, die deinen ungeordneten Neigungen gerade zuwiderlaufen.

Willst du dir beispielsweise eine vollkommene Fertigkeit in der Geduld erwerben und reizt dich jemand durch Verachtung zur Ungeduld, dann ist es nicht genug, daß du dich durch den dreifachen Kampf ertüchtigst, sondern du mußt auch die widerfahrene Geringschätzung wollen und lieben, indem du danach verlangst, aufs neue auf dieselbe Weise und von derselben Person beleidigt zu werden. Mach dich auch auf noch Schlimmeres gefaßt und nimm dir vor, es zu erdulden.

Der Grund, warum solche entgegengesetzten Akte notwendig sind, um uns in der Tugend zu vervollkommnen, liegt darin, daß die anderen Übungen, so zahlreich und wirksam sie auch sein mögen, gar nicht hinreichen, um auch die Wurzel auszurotten, aus der die Laster hervorsprießen.

Willigen wir bei der uns zugefügten Kränkung nicht in die Regungen der Ungeduld ein und bekämpfen wir dieselben auf die im vorigen angegebene dreifache Weise, so werden wir uns trotzdem niemals von dem Fehler der Ungeduld, der in unserer Neigung zur eigenen Hochschätzung und unserer Scheu vor Verachtung seine Wurzel hat, freimachen, wenn wir uns nicht durch häufige und öfters wiederholte Akte daran gewöhnen, die Geringschätzung selbst liebzugewinnen und uns ihrer zu erfreuen.

Solange noch die Wurzel des Fehlers lebt, wuchert sie beständig weiter, so daß sie die Tugend zum Welken bringt und bisweilen sogar ganz erstickt. Außerdem setzt sie uns der Gefahr aus, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit wieder zurückzufallen. Daraus folgt, daß wir ohne entgegengesetzte Akte eine wahre Festigkeit in der Tugend nie erlangen werden. Des weiteren mußt du beachten, daß diese Akte so häufig und so zahlreich sein müssen, daß sie imstande sind, die üble Gewohnheit vollständig zu zerstören. Denn gerade wie eine solche durch viele sündhafte Akte von unserem Herzen Besitz genommen hat, so muß sie auch durch viele entgegengesetzte Akte mit der Wurzel herausgerissen werden, damit eine tugendhafte Gewohnheit Eingang finden kann.

Ja, ich behaupte noch mehr. Es sind viel mehr gute Akte erforderlich, um eine tugendhafte Gewohnheit zu bilden, als sündhafte zu einer üblen, weil jene nicht wie diese von einer durch die Sünde verdorbenen Natur unterstützt wird.

Zu dem Gesagten bemerke ich außerdem, daß bei einer Tugendübung auch äußere, den inneren entsprechende Akte gesetzt werden müssen, indem man sich (um bei dem angeführten Beispiel zu bleiben) zur Übung der Geduld sanfter und liebevoller Worte bedient und sich dem gehässigen Urheber des Verdrusses gegenüber möglichst entgegenkommend und gefällig erweist.

Und sollten diese inneren wie äußeren Akte tatsächlich oder scheinbar mit einer derartigen Interesselosigkeit gesetzt werden, daß es dir vorkommt, als ob du sie nur widerwillig ausführtest, so darfst du sie trotzdem nicht unterlassen. Denn, so schwach sie auch sein mögen, sie verleihen dir dennoch Kraft und Ausdauer im Kampfe und bahnen dir den Weg zum Siege.

Aber nicht bloß die großen und heftigen, sondern auch die geringfügigen sündhaften Triebe sollst du mit innerer Aufmerksamkeit bekämpfen, weil diese für jene die Bahn freimachen, woraus dann allmählich die üblen Gewohnheiten entstehen.

Gar manche ließen es sich zu wenig angelegen sein, auch die schwächeren Triebe einer Leidenschaft mit der Wurzel aus ihrem Herzen zu reißen, nachdem sie die stärkeren Gelüste derselben Leidenschaft bereits überwunden hatten. Und so kam es, daß sie, als sie es am wenigsten ahnten, von denselben Feinden heftiger und gefährlicher angegriffen wurden als zuvor.

Des weiteren gebe ich dir zu bedenken, daß du darauf achtest, bisweilen dein Verlangen in erlaubten, aber nicht notwendigen Dingen zu bezähmen und abzutöten, woraus viel Gutes erwächst. Denn dadurch wirst du immer fähiger und bereitwilliger, dich auch in anderen Dingen zu überwinden. Du machst dich stärker und erfahrener im Kampfe gegen die Versuchungen und wirst vielen Nachstellungen des bösen Feindes entgehen und dem Herrn einen überaus wohlgefälligen Dienst erweisen.

Aufrichtig sage ich es dir, christliche Seele: Fährst du in diesen guten und heilsamen Übungen in der angegebenen Weise fort, um dich zu vervollkommnen und deiner Herr zu werden, dann gebe ich dir die Versicherung, daß du in kurzer Zeit große Fortschritte machst und nicht nur dem Scheine nach, sondern in Wahrheit ein geistliches Leben führen wirst.

Auf andere Weise aber und bei anderen Übungen — mögen sie nach deinem Dafürhalten noch so vorzüglich sein und deinem Geschmack noch so stark zusagen, daß es dir scheint, als wärest du dabei in tiefster Sammlung und in süßes Zwiegespräch mit dem Herrn versunken — darfst du niemals erwarten, jemals eine Tugend und den wahren Geist zu erlangen. Dieser besteht ja nicht, wie ich dir bereits im ersten Kapitel darlegte, in Übungen, welche unseren Sinnen schmeicheln und ihnen angenehm sind; auch wird er nicht aus ihnen geboren, sondern aus solchen, welche unsere Sinne mit ihren Werken ans Kreuz heften, wodurch der in den Tugenden des Evangeliums gefestigte und erneuerte Mensch mit dem Gekreuzigten und seinem Schöpfer vereint wird.

Wie sich alle sündhaften Gewohnheiten durch viele und wiederholte Akte des höheren Willens, der den Trieben der Sinnlichkeit nachgibt, bilden, so steht es anderseits außer Zweifel, daß umgekehrt auch die Fertigkeit in den Tugenden des Evangeliums durch häufige Akte erworben wird, die mit dem göttlichen Willen übereinstimmen und von ihm bald zu der einen und bald wieder zu einer anderen Tugendübung angeregt werden.

Mag unser Wille auch noch so heftig von den niederen Trieben und der Sünde angefallen werden, er wird niemals sünd- und erdhaft, solange er weder nachgibt noch sich selbst ihnen frei zuwendet. Ebenso wird er auch nie tugendhaft und eins mit Gott, wie sehr er von göttlichen Einsprechungen und Gnadenerweisen aufgefordert und bestürmt wird, wenn er sich nicht durch innere und äußere Akte mit dem göttlichen Willen gleichförmig macht.

 


14. Von dem Verhalten, wenn der Wille scheinbar von den niederen Seelenkräften und anderen Feinden

überwunden und unterdrückt ist

Wenn es dir zuweilen scheint, der höhere Wille vermöge nichts wider den niederen und wider seine Feinde, weil du in dir kein wirksames Wollen verspürst, dann harre dennoch ruhig aus und gib den Kampf nicht auf! Du darfst dich nämlich nicht für überwunden halten, solange du dir nicht klar bewußt bist, daß du wirklich nachgegeben hast.

Gleichwie unser höherer Wille der niederen Triebe nicht bedarf, um seine eigenen Akte zu setzen, so kann er auch niemals, trotz heftiger Angriffe, ohne seine Zustimmung gezwungen werden, sich ihnen als besiegt zu ergeben. Gott hat ja unseren Willen mit Freiheit und einer solchen Energie ausgestattet, daß — mögen sich auch alle sinnlichen Triebe, alle Teufel und die ganze Welt miteinander gegen ihn verschwören und rüsten, um ihn mit aller Macht anzugreifen und zu bedrängen — er trotz ihrer Anfeindungen vollkommen frei das wollen und nicht wollen kann, was er will oder nicht will, und zwar sooft und solange (und in solcher Weise) und in der Absicht, wie es ihm beliebt.

Sollten dich bisweilen jene Feinde mit solcher Heftigkeit anfallen und dir so zusetzen, daß deinem Willen, gleichsam wie erstickt, der Atem vergeht: Laß den Mut nicht sinken und wirf die Waffen nicht zu Boden! Bediene dich in diesem Falle deiner Zunge zur Verteidigung und sprich: „Ich gebe nicht nach! Ich will nichts mit dir zu tun haben!" Mache es wie ein Krieger, der wenigstens mit dem Schwertknauf zuschlägt, wenn der Feind ihm auf dem Nacken sitzt und er ihn nicht mit des Schwertes Spitze zu treffen vermag. Und wie er dann, um den Feind mit der Spitze töten zu können, zurückspringt, so ziehe dich auf deine Selbsterkenntnis zurück: daß du nichts bist und nichts vermagst. Und im Vertrauen auf Gott, der alles vermag, versetze der feindlichen Leidenschaft mit den Worten einen Hieb: „Hilf mir, Herr! Hilf mir, o Gott! Helft mir, Jesus und Maria, damit ich ihr nicht nachgebe." Läßt der Feind dir Zeit, dann kannst du der Schwäche deines Willens zu Hilfe kommen, indem du dir verschiedene Gedanken vor die Seele führst, aus deren Betrachtung der Wille wieder Atem und Kraft wider seine Feinde schöpfen kann.

Du wirst zum Beispiel durch irgendeine Versuchung oder eine sonstige Drangsal in einer Weise von der Ungeduld bestürmt, daß dein Wille kaum zu widerstehen vermag; da kannst du ihn stärken, indem du in deinem Geiste folgende oder ähnliche Gedanken erwägst:

Erstens: Prüfe dich, ob du das Übel, das du leiden mußt, vielleicht verdienst, weil du selbst dazu den Anlaß gegeben hast. Hast du es verdient, dann mußt du eben das Harte und Unangenehme, das du dir selber zugefügt hast, wie es die Gerechtigkeit verlangt, auch geduldig in Kauf nehmen.

Zweitens: Hast du keine Schuld daran, dann denke einmal an andere Fehltritte, für die dich Gott noch nicht gestraft hat und für die du nicht genügend Buße getan hast. Erkennst du dann, daß Gottes Barmherzigkeit die Strafe, welche entweder die ewige oder die zeitliche im Fegfeuer wäre, in eine unbedeutende in diesem Leben umwandelt, so mußt du diese Strafe nicht nur gerne, sondern auch dankbar hinnehmen.

Drittens: Sollte es dir scheinen, als hättest du zuviel Buße getan und die göttliche Majestät nur ein wenig beleidigt, was du dir aber durchaus nicht einbilden darfst, so bedenke, daß man nur durch die enge Pforte der Trübsale ins Himmelreich eingeht.

Viertens: Selbst wenn du auf einem anderen Weg dahin gelangen könntest, so dürftest du schon um des Gesetzes der Liebe willen nicht einmal daran denken, da doch der Sohn Gottes und all seine geliebten Freunde nur durch Dornen und Kreuze in das Himmelreich eingegangen sind.

Fünftens: Du mußt dir bei dieser und jeder anderen Gelegenheit vor allem den Willen Gottes vor Augen halten, der bei der Liebe, die er zu dir hegt, ein überaus großes Wohlgefallen an jedem Werk der Tugend und Abtötung hat, das du, um seine Liebe zu erwidern, als treuer und hochherziger Streiter vollbringst. Sei auch überzeugt, daß, je unsinniger diese Unbill an sich ist und je unangemessener vonseiten desjenigen, der sie dir zufügt, und je lästiger und schwerer es dir daher fällt, sie zu ertragen, du desto angenehmer dem Herrn sein wirst, wenn du selbst in solchen Dingen, die außer der Ordnung scheinen und dir daher umso bitterer sind, den göttlichen Willen und die Pläne seiner Vorsehung erkennst und liebst, die jedes Ereignis – so widersinnig es scheinen mag — zu einem guten und äußerst vollkommenen Ende zu ordnen und zu lenken weiß.

 


15. Ratschläge für die Art des Kampfes

Du hast nun gesehen, in welcher Weise du kämpfen mußt, um dich selbst zu überwinden und mit Tugenden zu schmücken.

Außerdem mußt du dich überzeugen lassen, daß du, um über deine Feinde mit größerer Schnelligkeit und Leichtigkeit den Sieg davonzutragen, wie es sich geziemt, Tag für Tag besonders gegen deine Eigenliebe zu kämpfen hast und dich gewöhnst, die Verachtung und Widerwärtigkeiten, welche die Welt dir antut, als liebenswerte Wohltaten zu betrachten.

Vernachlässigst du diesen Kampf und legst ihm zu wenig Gewicht bei, so bleibt der Sieg schwierig und nur vereinzelt, unvollkommen und unsicher.

Auch darauf mache ich dich aufmerksam, daß du den Kampf mit Starkmut führen mußt. Die Tugend wirst du von Gott leicht erlangen, wenn du darum inständig flehst und einerseits die Wut und den unversöhnlichen Haß deiner Feinde sowie die große Zahl ihrer Schlachtreihen und Heere bedenkst, anderseits aber auch erwägst, daß Gottes Güte und Liebe zu dir unendlich größer ist und unvergleichlich mehr Engel und Heilige des Himmels mit ihrem Gebet an unserer Seite kämpfen.

Dieser Gedanke ist von solcher Wirkung, daß eine Menge schwach scheinender Personen die gesamte Macht und Weisheit der Welt, alle Angriffe des Fleisches und die ganze Wut der Hölle überwand und besiegte.

Deshalb brauchst du nie zu erschrecken und mutlos zu werden, wenn es dir auch scheint, als würde der Ansturm deiner Feinde immer heftiger und als sollte der Kampf dein ganzes Leben andauern und als drohten dir gleichsam von vielen Seiten sichere Niederlagen. Außer dem oben Gesagten vergiß nicht, daß alle Macht und List unserer Feinde in der Hand unseres göttlichen Herrn ruhen, für dessen Ehre wir ja streiten. Da dieser uns unsagbar liebt und uns selbst mit strengem Befehl zum Kampfe ruft, wird er nicht zulassen, daß wir überwältigt werden, sondern auch selbst für dich kämpfen und dir deine Feinde unterwerfen, wann es ihm gefällt und falls es dir von größerem Nutzen ist; sollte er damit auch bis zum letzten Tage deines Lebens zögern.

Deine Sache ist es also, hochherzig zu kämpfen, niemals die Waffen zu strecken und die Flucht zu ergreifen, auch wenn du verwundet wirst. Um tapfer streiten zu können, merke dir noch zum Schlusse, daß niemand dem Kampfe entfliehen kann und daß jeder, der nicht kämpft, unausweichlich gefangen oder getötet wird. Überdies haben wir es in diesem Kampfe mit Feinden zu tun, die mit einem derartigen Haß gegen uns erfüllt sind, daß wir in keinem Falle Frieden oder Waffenstillstand zu erwarten haben.

 


16. Ein Streiter Christi soll sich schon in früher Morgenstunde auf dem Kampfplatze stellen

Das erste, was deine geistigen Augen beim Erwachen beobachten sollen, ist, daß du dich auf einen geschlossenen Kampfplatz gestellt siehst, wo das Gesetz gilt, daß, wer nicht kämpft, für immer stirbt.

Stelle dir vor, du sähest vor dir als bewaffneten Feind die bösen Neigungen, die du zu bekämpfen dir vorgenommen hast, bereit, dich zu verwunden und zu töten; auf der rechten Seite aber deinen siegreichen Feldherrn Jesus Christus mit seiner heiligsten Mutter, der Jungfrau Maria, zugleich mit ihrem geliebten Bräutigam, dem heiligen Joseph, und vielen Schlachtreihen von Engeln und Heiligen, vor allem dem heiligen Erzengel Michael, und auf der linken Seite den höllischen Feind mit seinem Anhang, wie er die erwähnte Leidenschaft zum Nachgeben reizt.

Dabei stelle dir weiter vor, du hörtest die Stimme deines heiligen Schutzengels zu dir sprechen: „Heute hast du wider diesen und deine anderen Feinde zu kämpfen. Dein Herz zage nicht und verliere nicht den Mut. Du darfst keineswegs aus Furcht oder einer anderen Rücksicht wegen nachgeben, denn unser Herr steht dir mit seiner ganzen glorreichen Heerschar zur Seite, um gegen alle deine Feinde zu kämpfen, und er wird nicht zugeben, daß sie dich überwältigen oder überlisten. Steh unerschütterlich fest! Tu dir Gewalt an und ertrage den Schmerz, den du bisweilen unter dem Ansturm erleidest."

Aus tiefstem Herzensgrunde flehe und rufe oft zum Herrn, zur allerseligsten Jungfrau Maria und zu allen Heiligen um Hilfe. Zweifellos wirst du den Sieg davontragen. Bist du auch schwach und mit sündhaften Gewohnheiten behaftet und sind auch deine Feinde stark und zahlreich, so sind der Hilfsmittel deines Schöpfers und Erlösers ungemein viele. Ja, über alle Maßen und unvergleichlich stärker ist dein Gott, der dich mehr zu retten wünscht, als dein Feind dich zu verderben verlangt.

So kämpfe denn und laß dich durch die Mühe nicht verdrießen, denn aus der Anstrengung und Energie, die man gegen die sündhafte Neigung anwendet, und aus der Qual, die man der schlechten Gewohnheiten wegen empfindet, erwachsen der Sieg und der große Schatz, mit dem man das Himmelreich erwirbt und durch den die Seele auf ewig mit Gott vereint wird.

Im Namen des Herrn beginne dann den Kampf mit den Waffen des Mißtrauens wider dich selbst und des Vertrauens auf Gott und mit Gebet und frommer Übung. Fordere jenen Feind und jene Neigung, die du in der oben (Kapitel 13) angegebenen Weise zu überwinden dir vornahmst, zum Kampfe heraus, bald durch Widerstand, bald durch Verachtung und bald durch einen Akt der entgegengesetzten Tugend. Versetze ihm weitere tödliche Streiche, um dadurch deinem Herrn zu gefallen, der mit der ganzen triumphierenden Kirche deinem Kampfe zuschaut.

Nochmals sage ich dir: Du darfst nicht nachlassen im Kampfe! Gedenke der Pflicht, die uns allen obliegt, Gott zu dienen und ihm zu gefallen, und der Notwendigkeit des Kampfes, dem wir nicht entrinnen können, ohne uns Wunden, ja selbst den Tod zuzuziehen.

Aber noch mehr lege ich dir ans Herz: Wolltest du auch wie ein Fahnenflüchtiger Gott verlassen und dich der Welt und der Sinnenlust ergeben, du müßtest trotzdem mit endlosen Widerwärtigkeiten kämpfen, so daß Schweiß dein Antlitz bedecken und Todesangst dein Herz erfassen würden.

Darum bedenke, wie töricht es wäre, eine Mühsal und Qual auf sich zu laden, die mit dem Tod zugleich eine nie endende Pein nach sich zieht, um auf diese Weise einem Schmerz zu entfliehen, der bald endet und uns in die ewige und unendliche Glückseligkeit führt, in der wir auf immer unseres Gottes genießen.

 


17. Von der Schlachtordnung wider unsere sündhaften Neigungen

Es kommt viel darauf an, daß man die Schlachtordnung kennt, in der man kämpfen muß, um auf die rechte Weise zu streiten, nicht unüberlegt und energielos, wie es gar viele zu ihrem größten Nachteil tun. Die Kampfordnung wider deine Feinde und ungeordneten Neigungen besteht darin, daß du dein Inneres durchforschst und sorgfältig prüfst, von welchen Gedanken und Gefühlen es umdrängt und von welcher Leidenschaft es am meisten eingenommen und tyrannisiert wird. Und dagegen mußt du dann vor allem die Waffen ergreifen und den Kampf beginnen.

Wirst du aber dabei von einem anderen Feind angefallen, dann mußt du immer wider den Gegner kämpfen, der dich gerade und zunächst bekriegt, um nachher wieder zu deiner ersten Aufgabe zurückzukehren.

 


18. Vom Widerstände gegen plötzliche, leidenschaftliche Regungen

Da du bis jetzt noch nicht verstehst, dich gegen unerwartete Anwürfe von Beleidigungen oder anderen Widerwärtigkeiten zu schützen, so gewöhne dich, solche vorauszusehen, sie allmählich zu wünschen und mit vorbereitetem Herzen zu erwarten.

Um sie vorauszusehen, erwäge die Beschaffenheit deiner Leidenschaften und beachte die Personen, mit denen du zu tun hast und die Orte, an denen du dich aufhältst. Und daraus kannst du mit Leichtigkeit schließen, was dir vielleicht zustoßen wird.

Begegnet dir aber eine unvorhergesehene Widerwärtigkeit, so kannst du dir damit helfen, daß du dein Augenmerk auf andere vorausgesehene richtest und dich dabei des folgenden Verfahrens bedienst.

In dem Augenblicke, wo du die ersten Auswirkungen einer Beleidigung oder einer anderen üblen Sache zu verspüren beginnst, suche dich zu beherrschen und entschieden deinen Geist zu Gott zu erheben. Richte deinen Blick auf seine unaussprechliche Güte und Liebe zu dir, mit der er dir die Trübsal sandte, damit du sie aus Liebe zu ihm trägst und dich dadurch noch mehr läuterst und ihm auf diese Weise näher kommst und dich mit ihm vereinst.

Hast du erkannt, wie sehr es ihm gefällt, wenn du sie duldest, dann wende dich an dich selbst und tadle dich, indem du zu dir sprichst: „Ach, warum willst du dieses Kreuz nicht tragen, das nicht ein Mensch, sondern dein himmlischer Vater dir schickt?" Und zum Kreuze gewandt, umfasse es mit möglichst großer Geduld und Freude, und sprich: „O Kreuz, das die göttliche Vorsehung für mich bereitet hat, bevor ich war! O Kreuz, versüßt durch die milde Liebe meines Gekreuzigten! Hefte mich nunmehr an dich, damit ich mich ganz dem ergebe, der an dir gestorben ist und mich durch dich erlöst hat!"

Sollte die Leidenschaft aber zu Anfang die Oberhand in dir gewinnen, daß du dich nicht zu Gott aufzuschwingen imstande warst und verwundet wurdest, dann versuche, dies sobald als möglich zu tun, wie wenn du nicht verwundet worden wärest.

Das wirksamste Hilfsmittel gegen die plötzlichen Regungen ist, daß du sogleich die Ursache entfernst, aus der sie entspringen.

Du weißt zum Beispiel, daß du wegen einer Zuneigung, die du zu einer Sache hegst, in plötzliche Gemütsbewegung gerätst, sobald du von ihr belästigt wirst. Das Mittel, um dem vorzubeugen, ist, daß du dich eben gewöhnst, die Neigung auszurotten.

Geht aber die Beunruhigung nicht von einer Sache, sondern von einer Person aus, an der dir auch die unbedeutendste Handlung Abneigung und Unwillen erregt, weil sie dir so unsympathisch ist, dann besteht das Gegenmittel darin, daß du dich bemühst, deinen Widerwillen zu brechen, um sie lieb und teuer zu finden. Abgesehen davon, daß sie ein Geschöpf Gottes ist und gleich dir von der Hand des Herrn gebildet und durch dasselbe göttliche Blut erlöst wurde, bietet sie dir Gelegenheit, sofern du sie erträgst, deinem Herrn ähnlich zu werden, der gegen alle so liebevoll und gütig ist.

 


19. Vom Kampfe wider die Fleischeslust

Gegen dieses Laster mußt du auf eine besondere Weise und so ganz anders als gegen die anderen kämpfen.

Damit du zu kämpfen verstehst, mußt du drei Zeitabschnitte wohl beachten, nämlich die Zeit, bevor wir versucht werden, während wir versucht werden und nachher, wenn die Versuchung vorüber ist.

Vor der Versuchung richtet sich dein Kampf gegen die Ursachen, die diese Versuchung hervorzurufen pflegen.

Erstens: Du darfst dieses Laster nicht dadurch bekämpfen, daß du ihm die Stirne bietest, sondern du mußt soviel als möglich jede Gelegenheit und jede Person meiden, von der dir die geringste Gefahr droht.

Mußt du notgedrungen mit einer solchen Person sprechen, dann tue es möglichst kurz und mit zurückhaltender und ernster Miene. Auch deine Worte sollen dann mehr Sachlichkeit als Freundlichkeit und Zuneigung verraten.

Halte dich nur nicht für sicher, wenn du den Stachel des Fleisches nicht verspürst und sogar seit Jahren nicht empfunden hattest. Was nämlich dieses fluchwürdige Laster nicht in vielen Jahren bewirkte, bringt es oft in einer einzigen Stunde fertig. Meistens trifft es seine Vorbereitungen ganz im geheimen. Es schadet dann umso mehr und schlägt schwerer zu heilende Wunden, je freundlicher es sich gab und je weniger es Argwohn erregte.

Die Erfahrung hat es oft genug bewiesen und beweist es beständig, daß noch mehr zu fürchten ist, wenn der Umgang mit gewissen Personen unter dem Vorwand erlaubter Gründe fortgesetzt wird, wie zum Beispiel aus Verwandtschaft, einer Verpflichtung oder des tugendhaften Wandels wegen, den die geliebte Person führt. Denn mit dem übertriebenen und unvorsichtigen Umgang vermischt sich meistens das Gift sinnlichen Vergnügens, das unvermerkt nach und nach einträufelt und bis ins Mark der Seele eindringt. Dadurch wird das ruhige und vernünftige Denken immer mehr verfinstert, so daß man anfängt, Gefahren wie z.B. verliebte Blicke, gegenseitige Liebesbeteuerungen und sinnliche Freude am Beisammensein nicht zu beachten. So geht man beiderseits immer weiter und gleitet allmählich ins Verderben oder in eine heftige und schwer zu überwindende Versuchung. Drum sage ich es nochmals: Fliehe! Du bist wie Stroh beim nahen Feuer.

Verlaß dich nicht darauf, du wärest überströmt von der Flut eines guten und festen Willens und entschlossen und bereit, eher zu sterben als Gott zu beleidigen. Denn durch den häufigen Verkehr trocknet die Glut des Feuers unmerklich das Wasser des guten Willens und überrumpelt ihn, ehe man sich dessen versieht, so daß man jede Rücksicht auf Verwandtschaft oder Freundschaft außer acht läßt, Gott nicht mehr fürchtet und weder Ehre noch Leben noch alle Strafen der Hölle achtet. Deshalb: Fliehe! Fliehe, wenn du nicht wirklich überfallen, gefangen und getötet werden willst.

Zweitens: Fliehe den Müßiggang! Sei behutsam und bei deinen Gedanken und Handlungen auf die Pflichten deines Standes bedacht.

Drittens: Widersetze dich niemals deinen Vorgesetzten; sondern gehorche ihnen gerne, indem du bereitwillig ihre Aufträge ausführst, besonders aber jene, die dich verdemütigen und deinen Wünschen und Neigungen zuwider sind.

Viertens: Fälle nie ein freventliches Urteil über deinen Nächsten, namentlich nicht in bezug auf dieses Laster. Ist er offenkundig gefallen, so habe Mitleid mit ihm und ereifere dich nicht wider ihn. Verachte und verspotte ihn nicht, sondern ziehe daraus die Frucht der Demut und Selbsterkenntnis: Daß du nicht vergißt, daß du erdhaft und nichts bist. Wende dich hilferufend im Gebet an Gott und fliehe mehr als je einen Verkehr, auf dem auch nur ein Schatten Gefahr ruht.

Wenn du andere so schnell verurteilst und verachtest, wird Gott dich auf deine Kosten heilen, indem er zuläßt, daß du in denselben Fehler fällst, damit du auf diese Weise deinen Hochmut einsehen lernst, dich verdemütigst und dich um Heilmittel für beide Laster umsiehst.

Und solltest du auch nicht fallen, noch deine Sinnesart ändern, dann sei versichert, daß man an der Vortrefflichkeit deines seelischen Zustandes doch sehr zweifeln muß.

Fünftens endlich: Bemerkst du in dir irgendeine Gnadengabe und Freude an geistlichen Dingen, so gib wohl darauf acht, daß du dich nicht einer gewissen eitlen Selbstgefälligkeit hingibst und dir einbildest, du wärst wunder was und deine Feinde würden dich nicht mehr angreifen, weil du scheinbar mit Ekel, Widerwillen und Abneigung auf sie herabsiehst. Bist du hier unbelehrbar, dann kommst du leicht zu Fall.

Während der Versuchung sieh zu, ob dieselbe einer inneren oder äußeren Ursache entspringt.

Unter der äußeren verstehe ich die Neugierde der Augen und Ohren, unpassende Kleidung, Umgang und Unterhaltungen, welche zu diesem Laster Anlaß geben.

Das Heilmittel in diesen Fällen sind Ehrbarkeit und Sittsamkeit, daß man nichts zu sehen, noch zu vernehmen begehrt, was zu diesem Laster reizt, und, wie oben gesagt, die Flucht.

Die innere Ursache geht entweder auf den starken körperlichen Trieb oder auf Gedanken und Vorstellungen zurück, welche von unseren schlechten Gewohnheiten oder den Einflüsterungen des bösen Feindes herrühren.

Der starke Trieb unseres Körpers muß durch Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung, körperliche und sonstige Abtötungen, aber nur wie sie weise Unterscheidung und der Gehorsam eingeben, im Zaume gehalten werden.

Wider Gedanken und Vorstellungen — mögen sie von irgendwelcher Seite herkommen — helfen folgende Mittel: Ernstliche Beschäftigung und Arbeit, wie sie dem einzelnen Stand entsprechen, Gebet und Betrachtung.

Das Gebet soll folgendermaßen beschaffen sein. Sobald du merkst, daß sich wenn auch nicht derartige Gedanken, sondern erst ihre Vorboten nahen wollen, wende eiligst deinen Geist zum Gekreuzigten und sprich: „O mein Jesus! Mein liebreichster Jesus, hilf! Hilf mir, daß ich nicht von diesem Feinde gefangen werde!" Umarme mitunter das Kreuz, an dem dein Herr hängt; küsse öfters die Wundmale der heiligen Füße und flehe mit heißer Inbrunst: „O herrliche Wundmale, o unschuldige Wunden, o heilige Wunden! Verwundet doch mein armes und unreines Herz und bewahret mich vor der Sünde!"

Als Betrachtung möchte ich dir dann nicht als Gegenmittel empfehlen, daß du in dem Augenblick, wo die Versuchungen der Fleischeslust sich einstellen, gewisse Erwägungen über dieses Laster anstellst, wie über seine Verwerflichkeit und unersättliche Gier, den Ekel und Überdruß, die ihm folgen, und die Gefahren und Schäden für die Gesundheit, Leben und Ehre und ähnliche Sachen.

Dieses Mittel ist nämlich nicht immer sicher wirksam, um die Versuchungen zu überwinden. Es kann sogar zum Schaden gereichen; denn während dieses Nachdenken auf der einen Seite die bösen Gedanken vertreibt, bietet es auf der anderen Seite eine gefährliche Gelegenheit, an denselben Ergötzen zu finden und in die böse Lust einzuwilligen.

Daher gibt es nur ein Heilmittel, nämlich, daß man nicht allein die Gedanken, sondern auch alles andere flieht, was dieselben wecken könnte, wie sehr es auch mit ihnen im Widerstreit stände.

Daher betrachte dieser Folgen wegen lieber das Leben und Leiden unseres gekreuzigten Herrn.

Sollten aber während der Betrachtung die Gedanken gegen deinen Willen wieder kommen und dich, was leicht möglich ist, mehr als gewöhnlich belästigen, so werde nicht verwirrt! Gib die Betrachtung ja nicht auf, noch wende dich wider die Vorstellungen, um sie zu bekämpfen, sondern fahre mit möglichst größerer Aufmerksamkeit in der Betrachtung ruhig fort und kümmere dich gar nicht um dieselben, gerade als ob sie dich durchaus nichts angingen. Es gibt kein besseres Verfahren, sich denselben zu widersetzen, als das genannte, selbst wenn die Gedanken dich andauernd belästigen würden.

Beschließe dann deine Betrachtung mit folgender oder ähnlicher Bitte: „Befreie mich, o mein Schöpfer und Erlöser, von meinen Feinden zur Ehre deines Leidens und deiner unaussprechlichen Güte!"

Denke überhaupt nicht an das Laster, denn schon die bloße Erinnerung daran ist nicht ohne Gefahr.

Bei solchen Versuchungen sollst du auch nicht weiter nachdenken, ob du eingewilligt hast oder nicht; denn dies ist unter dem Schein des Guten nur eine Hinterlist des bösen Feindes, der dich dadurch beunruhigen und mutlos oder kleinmütig machen will. Andernfalls hofft er dich zur Einwilligung in die böse Lust zu verleiten, wenn du weiter darüber nachgrübelst.

Bist du dir nicht ganz klar bewußt, eingewilligt zu haben, so genügt es bei solchen Versuchungen, daß du den Zweifel deinem Seelenführer kurz offenbarst und dich mit seinem Urteil zufriedengibst, ohne weiter darüber nachzudenken (da jedenfalls keine schwere Sünde vorliegt).

Vertraue ihm auch mit aller Aufrichtigkeit deine ganzen Gedanken an und laß dich nicht durch irgendeine Ausflucht oder falsche Scham davon abhalten.

Ist uns zur Überwindung all unserer Feinde die Tugend der Demut äußerst notwendig, dann müssen wir uns gerade in bezug auf dieses Laster weit mehr als bei einem anderen verdemütigen, weil es fast immer eine Strafe für den Hochmut ist.

Nach der Versuchung mußt du, so unbelastet und sicher du dich auch fühlst, deinen Geist vollständig von jenen Gegenständen, die deine Versuchungen verursachen, fern halten; selbst wenn du dich um einer Tugend oder eines anderen geistlichen Nutzens willen angetrieben fühlst, anders zu handeln. Das wäre nämlich nur eine Selbsttäuschung unserer verderbten Natur und eine Falle unseres schlauen Gegners, der sich in einen Engel des Lichtes verwandelt, um uns in die Finsternis zu führen.

 


20. Die Kampfesweise wider die Trägheit

Um nicht in die elende Sklaverei der Trägheit zu geraten, die dir nicht nur den Weg zur Vollkommenheit versperrt, sondern dich auch in die Hände deiner Feinde überliefert, mußt du die Neugierde und jede Bindung ans Irdische sowie alle Beschäftigung fliehen, die für deinen Stand nicht passen.

Ferner gib dir alle Mühe, jeder guten Einsprechung und allen Anordnungen deiner Vorgesetzten Folge zu leisten, indem du alles der Zeit und dem Wunsch gemäß ausführst, wie sie es gerne wollen.

Zögere auch keinen Augenblick damit! Denn der erste kleine Aufschub zieht einen zweiten nach sich, und dieser einen dritten und die weiteren, denen die Sinnlichkeit sich viel leichter zuwendet und nachgibt als dem ersten, weil sie von der Lust, die sie dabei empfindet, angelockt und gefangen ist. So fängt man ein Werk entweder zu spät an oder unterläßt es zuweilen aus Widerwillen ganz.

Auf diese Weise bildet sich allmählich der Hang zur Trägheit. Dieser führt dahin, daß wir selbst in dem Augenblick, wo wir von ihr gefesselt sind, uns vornehmen, ein anderes Mal sehr emsig und fleißig sein zu wollen, weil wir uns schämen, bisher so träge gewesen zu sein.

Die Trägheit erfaßt dann alles. Sie steckt mit ihrem Gift nicht nur den Willen an und macht ihn arbeitsscheu, sondern sie verblendet dazu noch den Verstand, daß er nicht einsieht, wie töricht und schlecht begründet der Vorsatz ist, später schnell und sorgfältig vollbringen zu wollen, was man eben jetzt tun sollte, was man aber jetzt freiwillig ganz unterläßt oder doch auf eine andere Zeit verschiebt.

Es genügt auch nicht, eine Arbeit, die du zu verrichten hast, schnell zu erledigen, sondern du mußt sie zu der nach ihrer Beschaffenheit und Art gewünschten Zeit und mit der ganzen dafür notwendigen Sorgfalt ausführen, damit sie in jeder Weise möglichst vollkommen ausfällt.

Ebenso ist es kein Fleiß, sondern eine sehr durchsichtige Trägheit, eine Arbeit vor der Zeit zu verrichten und sie mit Eilfertigkeit und ohne Sorgfalt zur Ausführung zu bringen, um nachher bequem die Ruhe pflegen zu können, mit welcher wir schon in Gedanken rechneten, als wir die Arbeit schnell zu erledigen suchten.

Dieses große Übel kommt daher, daß man den hohen Wert eines guten Werkes nicht zu schätzen weiß, das zur rechten Zeit und in der entschiedenen Absicht ausgeführt wird, sich der Mühe und Schwierigkeit zu unterziehen, welche die Bekämpfung des Lasters der Trägheit einem Neuling im Kampfe bereitet.

Darum beherzige es wohl, daß eine einzige Erhebung des Gemütes zu Gott, ja eine bloße Kniebeugung zu seiner Ehre mehr wert ist, als alle Schätze der Welt, und daß die Engel eine glorreiche Siegeskrone aus dem Himmelreiche unserer Seele bereiten, so oft wir uns selbst und unseren sündhaften Trieben Gewalt antun.

Andererseits bedenke, daß Gott den Trägen die Gnaden, die er ihnen verliehen hat, nach und nach entzieht und den Eifrigen dieselben vermehrt, um sie in die Herrlichkeit und Wonne eingehen zu lassen, die er selbst genießt.

Fehlt dir der Mut, den Mühen und Schwierigkeiten sogleich hochherzig zu begegnen, dann halte dieselben gleichsam vor dir verborgen, damit sie dir geringer erscheinen, als sie von den Trägen angesehen werden.

Um dich in einer Tugend zu üben und sie zu erlangen, bedarf es einer großen Menge von Tugendakten; es ist die Arbeit vieler Tage und die zu überwindenden Feinde sind zahlreich und stark. Fange so an, als ob du nur wenige Tugendakte zu setzen und nur kurze Zeit dich anzustrengen hättest. Kämpfe nur wider einen Feind, als müßtest du sonst mit keinem anderen kämpfen, und zwar mit dem festen Vertrauen, daß du mit Gottes Hilfe stärker seist als sie alle. Auf diese Weise wird die Trägheit allmählich zurückgehen und die entgegengesetzte Tugend Schritt für Schritt ihren Einzug halten.

Dasselbe Verfahren gilt auch vom Gebet. Deine Ertüchtigung verlangt hie und da eine Gebetsstunde, was deiner Trägheit lästig erscheint. Beginne, als wolltest du nur eine halbe Viertelstunde dem Gebete widmen, dann wirst du leicht die andere Hälfte und den übrigen Teil erfüllen.

Empfindest du aber manchmal in der zweiten Hälfte oder in der folgenden Zeit ein heftiges Widerstreben und Überdruß, so verschiebe die Übung, damit sie dich nicht ganz anwidere, und nimm sie nach geraumer Zeit wieder auf. Das nämliche Verfahren beobachte auch bei der körperlichen Arbeit, wenn du zufällig einmal mehrere zu erledigen hast, was deiner Trägheit überaus schwierig zu sein scheint, so daß du darüber in völlige Verwirrung gerätst. Gleichwohl beginne in aller Gemütsruhe wenigstens mit einer derselben, wie wenn du sonst gar nichts zu tun hättest. Läßt du es dabei nicht an Eifer fehlen, dann wirst du auch die übrigen Arbeiten mit leichterer Mühe bewältigen, als es deiner Trägheit vorkam.

Handelst du aber nicht nach diesem Verfahren und begegnest du der Mühe und der Schwierigkeit, die sich dir entgegenstellen, nicht gleich energisch, dann wird das Laster der Trägheit so in dir die Oberhand gewinnen, daß nicht allein eine gegenwärtige Mühe und Schwierigkeit, wie sie die Tugendübung anfangs zu bereiten pflegt, sondern auch eine von weitem drohende dich derartig ängstigen und peinigen, daß du immer in der Furcht lebst, gleich als wollten Feinde dich belästigen und überfallen und stände fortwährend jemand hinter dir, der dir eine neue Last aufbürde, weshalb du selbst im größten Frieden nie zur Ruhe kämest.

Merke dir, daß dieses Laster der Trägheit mit seinem heimlichen Gift nach und nach nicht allein die ersten zarten Wurzeln, aus denen die Fertigkeit in der Übung der Tugenden erwachsen soll, sondern auch die bereits erzielte Fertigkeit vernichtet.

Wie der Holzwurm, so nagt und zehrt das Laster der Trägheit ganz still am Mark des geistlichen Lebens. Gerade so versucht es auch der böse Feind, jedem, besonders denen, die ein geistliches Leben führen wollen, Nachstellungen zu bereiten und Fallstricke zu legen. Wache darum im Gebet und in guten Werken und säume nicht, das Tuch deines Hochzeitsgewandes zu wirken, mit dem du geschmückt dem Bräutigam entgegengehen sollst.

Erinnere dich jeden Tag, daß, wer dir den Morgen schenkt, den Abend nicht verspricht, und wenn er den Abend gibt, der Morgen dir nicht zugesichert ist. Verwende darum jeden Augenblick deiner Zeit nach Gottes Wohlgefallen, wie wenn dir keine weitere Zeit zur Verfügung stände, und das umso mehr, als du von jedem Augenblick wirst strenge Rechenschaft ablegen müssen.

Zum Schluß ermahne ich dich, jeden Tag für verloren zu halten — hättest du auch viele Arbeit geleistet —, an dem du keinen Sieg über deine ungeordneten Neigungen und deinen Eigenwillen davongetragen und an dem du deinem Herrn nicht gedankt hast für seine Wohltaten, besonders für sein bitteres Leiden, das er für dich erduldet hat, und für seine väterliche und liebevolle Heimsuchung, daß er dich der Teilnahme an dem unvergleichlichen Schatz verschiedener Trübsale würdigte.

 


21. Von der Beherrschung der äußeren Sinne; wie wir dadurch zur Betrachtung des göttlichen Wesens vordringen

Große Anspannung und andauernde Übung sind vonnöten, um unsere äußeren Sinne zu beherrschen und in Schranken zu halten. Denn das triebhafte Begehren unserer verderbten Natur sieht es darauf ab, maßlos seine Lust und Befriedigung zu suchen.

Da es aus sich nicht imstande ist, dieselbe zu erreichen, bedient es sich der Sinne als seiner Soldaten und natürlichen Werkzeuge, um durch sie alles, was sich ihnen bietet, zu erfassen und dessen Bild der Seele einzuprägen, indem es dasselbe wahrnimmt und sich aneignet. Hieraus entsteht die Lust, die sich infolge der innigen Verbindung zwischen Geist und Leib auf alle Sinne ausdehnt, soweit sie des Genusses fähig sind, und die dann weiter auf Seele und Körper gleichmäßig verderblich übergreift und den ganzen Menschen verseucht.

Du weißt um das verderbliche Übel; lerne jetzt auch das Heilmittel dagegen kennen.

Sei wohl auf der Hut und lasse deinen Sinnen keinen freien Spielraum! Bediene dich ihrer niemals zu bloß sinnlichem Vergnügen, sondern nur wenn eine edle Absicht oder dein Interesse und Bedürfnis die Triebfeder deines Tuns sind.

Sind sie unversehens zu weit gegangen, dann bringe sie wieder ins rechte Geleise oder zügle sie, daß sie nicht mehr als armselige Sklaven törichter Lust dienen, sondern von allem, was ihnen begegnet, köstliches Gut als Beute der Seele zuführen. So kann sie in tiefster Sammlung ihre Schwingen weiten und ihr Auge himmelwärts auf Gott richten.

Auf folgende Weise kannst du dabei vorgehen: Bietet sich deinen äußeren Sinnen irgendein Gegenstand dar, dann trenne in Gedanken von dem Geschöpf den innewohnenden Geist (seines Daseins letzten Grund) und erwäge, daß es nichts von all dem, was deine Sinne wahrnehmen, aus sich hat, sondern daß es Gottes Werk ist, der mit seinem unsichtbaren Odem ihm das Dasein, Gute und Schöne, das es besitzt, geschenkt hat. Dabei freue dich, daß der Herr allein die Ursache und der Ursprung so vieler und so verschiedenartiger Vollkommenheiten der Dinge ist und daß er alle Vollkommenheiten, die nur ein verschwindend kleiner Grad seiner unendlichen und erhabenen göttlichen Eigenschaften sind, im höchsten Maße in sich begreift.

Merkst du, daß ein schöner und kostbarer Gegenstand deine Aufmerksamkeit weckt, dann führe dieses Geschöpf auf sein Nichts zurück, indem du dein Seelenauge auf den gegenwärtigen, allerhöchsten Schöpfer, der ihm das Dasein gab, richtest, und, dich in ihm allein erfreuend, sprich: „O göttliches und über alles liebenswürdiges Wesen! Wie beglückt es mich, daß du allein der unendliche Urgrund aller geschaffenen Wesen bist!"

Ebenso, wenn du Bäume, Pflanzen und dergleichen erblickst, suche mit deinem geistigen Auge wahrzunehmen, daß sie ihre Lebenskraft nicht aus sich, sondern von jenem unsichtbaren und alles belebenden Geiste haben, und du magst hierbei sprechen: „Sieh da das Leben, von dem, in dem und durch das alles Leben und Wachstum hat; o lebendige Wonne meines Herzens!"

So wirst du auch beim Anblick der vernunftlosen Tiere dein Herz zu Gott erheben, der ihnen Instinkt und Bewegungsfreiheit gibt, und sprechen: „O Ursprung aller Bewegung, der du alles bewegst, selbst aber unbeweglich bist; wie freue ich mich über deine Unwandelbarkeit und Unveränderlichkeit!"

Fühlst du dich von der Schönheit der Geschöpfe angezogen, dann sondere das Wahrgenommene vom Geiste, den du nicht siehst, und bedenke, daß alles nach außen tretende Schöne einzig von dem unsichtbaren Geiste stammt, der jene äußere Schönheit schafft, und sprich voller Freude: „Siehe das Bächlein des unerschaffenen Quells; sieh die Tröpflein des unermeßlichen Ozeans alles Guten. O, wie freue ich mich von Herzensgrund, wenn ich der ewigen, unendlichen Schönheit gedenke, die der Urquell aller erschaffenen Schönheit ist!"

Beobachtest du am Nächsten Güte, Weisheit, Gerechtigkeit oder andere Tugenden, dann mache dieselbe Trennung und sprich zu deinem Gott: „O überreicher Tugendschatz! Wie groß ist meine Freude, daß von dir und durch dich allein alles Gute hervorgeht und daß alles im Vergleich mit deiner göttlichen Vollkommenheit wie nichts ist. Ich danke dir, o Herr, für alles Gute, das du meinem Nächsten erwiesen hast. Gedenke, Herr, auch meiner Armut, daß ich der Tugend der ... sehr bedarf". Nimmst du eine Arbeit in Angriff, dann vergiß nicht, daß Gott die erste Ursache zu dieser Handlung ist und daß du nichts bist als ein in seiner Hand lebendes Werkzeug. Erhebe deine Gedanken darauf folgendermaßen zu Gott: „O höchster Herr des Weltalls, mit innigster Freude bekenne ich, daß du vor allem und in erster Linie bei jedem Werke mitwirkst."

Genießt du Speise oder Trank, dann erinnere dich, daß Gott der Nahrung den Wohlgeschmack verleiht. Und dich im Geber allein erfreuend, sollst du also sprechen: „Freue dich, meine Seele, außer Gott gibt es keine wahre Freude; nur in ihm allein kannst du an den Dingen Ergötzen finden."

Erfreut ein lieblicher Duft deinen Geruchsinn, bleibe am Genuß nicht hängen, sondern wende deine Seele hin zu Gott, von dem aller Wohlgeruch seinen Ursprung hat, und sprich im Gefühl seelischer Tröstung: „Ach Herr, wie erfreut es mich, daß alle Lieblichkeit von dir ausgeht; gib, daß meine Seele, aller erdhaften Neigung entkleidet und ledig, sich emporschwinge und wie ein lieblicher Wohlgeruch vor deinem Angesicht erscheine."

Dringen liebliche Weisen voll süßer Harmonie an dein Ohr, dann erhebe dein Gemüt zu Gott und sprich: „O mein Gott und Herr, wie beglücken mich deine unendlichen Vollkommenheiten, die nicht nur zu einer himmlischen Harmonie zusammenklingen, sondern auch im einhelligen Chor der Engel, im Himmel und in der ganzen Schöpfung eine wunderbare, jubelnde Melodie auslösen."

 


22. Wie uns die sichtbaren Dinge durch die Betrachtung des menschgewordenen Wortes in den Geheimnissen seines Lebens und Sterbens zur Beherrschung unserer Sinne verhelfen

Im Vorhergehenden habe ich gezeigt, wie wir unseren Geist von den sichtbaren Dingen zur Betrachtung des göttlichen Wesens erheben können. Nun erlerne auch das Verfahren, an dieselben die Betrachtung des menschgewordenen Wortes durch die Erwägung der heiligsten Geheimnisse seines Lebens und Leidens anzuknüpfen.

Alle Dinge der Welt können diesem Zwecke dienen, wenn man, wie oben gesagt wurde, in ihnen den allerhöchsten Gott als die einzige und erste Ursache erblickt, die denselben alles Sein, alle Schönheit und alle Vorzüge, die sie besitzen, verliehen hat, und dann weiter erwägt, wie groß und unermeßlich seine Güte ist, daß er, der alleinige Urheber und Herr der ganzen Schöpfung, sich so erniedrigte, daß er Mensch wurde und für uns Menschen leiden und sterben wollte und sogar zuließ, daß seine eigenen Geschöpfe sich wider ihn erhoben und ihn ans Kreuz schlugen.

Viele Dinge sind besonders geeignet, die heiligen Geheimnisse vor unserem geistigen Auge zu vergegenwärtigen, wie beispielsweise Waffen, Stricke, Geißeln, Säulen, Dornen, Schilfrohre, Hämmer usw., welche Werkzeuge seines Leidens waren.

Ärmliche Wohnungen werden dir den Stall und die Krippe des Herrn ins Gedächtnis rufen. Beim Regen sollen wir des göttlichen Blutregens gedenken, der im Ölgarten von seinem heiligsten Leibe niedertropfte und zur Erde niederrann. Steine, die wir erblicken, werden uns jene Felsen vergegenwärtigen, die sich bei seinem Tode spalteten; die Erde erzählt uns von dem Beben, das sie erzittern machte; die Sonne von der Finsternis, die sie verdunkelte; und sehen wir Wasser, so möge es uns an jenes Wasser erinnern, das aus seiner heiligsten Seite floß. — Ähnliches kann man auch von anderen Dingen sagen.

Genießt du Wein oder ein anderes Getränk, so denke an den Essig und die Galle, womit man den Herrn tränkte.

Reizen dich Wohlgerüche, dann erinnere dich des Leichengeruches, den die Toten auf dem Kalvarienberge ausströmten und der den Herrn belästigte.

Legst du deine Kleider an, dann denke an das ewige Wort, das die menschliche Natur annahm, um seine Gottheit zu verhüllen.

Ziehst du deine Kleider aus, dann erinnere dich, wie dein Heiland seiner Gewänder beraubt wurde, um nackt und bloß für dich gegeißelt und gekreuzigt zu werden.

Hörst du das Volk schreien und toben, dann gedenke der abscheulichen Rufe, die ans Ohr deines göttlichen Heilandes drangen: „Ans Kreuz! Ans Kreuz! Hinweg mit ihm! Hinweg mit ihm!"

Vernimmst du den Schlag einer Uhr, dann erinnere dich jener qualvollen Herzschläge, die dein Jesus empfand, als er im Ölgarten wegen des nahen Leidens und Sterbens zu zittern begann; oder stelle dir vor, jene grausamen Hammerschläge zu vernehmen, mit welchen man ihn ans Kreuz schlug.

Bei jeder Gelegenheit, wo sich bei dir oder anderen Trauer oder Weh melden, erwäge, daß dieses Leid im Vergleich zu jenen unfaßbaren Qualen, die den Leib und die Seele deines Herrn peinigten und niederdrückten, nichts ist.

 


23. Von anderen Hilfen, unsere Sinne bei den verschiedenen Gelegenheiten zu beherrschen

Wir haben gesehen, wie wir unseren Geist von den sichtbaren Dingen aus zur Betrachtung Gottes und der Geheimnisse des menschgewordenen Wortes erheben können. Nun füge ich noch einige andere Arten von Erwägungen hinzu, damit jede Seele je nach ihrem Geschmack und Bedürfnis reichliche und entsprechende Nahrung findet.

Das wird nicht bloß schlichten Seelen, sondern auch jenen, die sich zur höheren Erkenntnis aufgeschwungen haben und bereits auf dem geistlichen Wege weiter vorangeschritten sind, ebenfalls zum Nutzen gereichen. Denn niemand ist beständig und im gleichen Maße zu den erhabensten Betrachtungen fähig und disponiert.

Übrigens brauchst du aber nicht zu fürchten, durch die Mannigfaltigkeit verwirrt zu werden, sofern du dich an die Regel der Unterscheidung und an den Rat eines andern (deines Seelenführers) hältst, die du nicht nur in diesem Falle, sondern auch in bezug auf alle Winke, die ich dir gebe, in Demut und mit Vertrauen befolgen mußt.

Beim Anblick so vieler reizender Dinge, die dem Auge gefallen und von der Welt so geschätzt werden, bedenke, daß alle überaus armselig und schmutzig im Vergleich zu den himmlischen Reichtümern sind, nach welchen du (die ganze Welt für nichts erachtend) mit ganzer Seele trachten sollst.

Wendest du deinen Blick zur Sonne, dann stelle dir vor, daß deine Seele im Stande der Gnade deines Schöpfers viel leuchtender und herrlicher ist als das Himmelsgestirn; anderseits aber ohne Gottes Gnade viel dunkler und abscheulicher als die höllische Finsternis ist. Erhebst du deine leiblichen Augen zum Himmelsgewölbe, das sich über dir spannt, dann dringe mit deinen Seelenaugen höher hinauf bis zum höchsten Himmel und verweile in Gedanken an dem Orte, der dir zur ewigen und unendlich beseligenden Wohnung bereitet ist, sofern du hier auf Erden in Reinheit und Heiligkeit wandelst.

Hörst du der Vögel Gesang oder andere Weisen, dann erhebe deinen Geist zu den Chören des Himmels, wo ein ewiges Alleluja erschallt, und bitte den Herrn, daß er dich würdige, ihn mit den himmlischen Geistern auf ewig zu loben und zu preisen.

Merkst du, daß irdische Schönheit dich zu umgarnen sucht, dann übersieh nicht, daß die höllische Schlange sich darin verbirgt, darauf bedacht und bereit, dich zu töten oder wenigstens zu verwunden. „O du verfluchte Schlange!" so magst du zu ihr reden, „wie hinterlistig stellst du mir nach, um mich zu verschlingen!" — Und zu Gott gewandt sprich: „Gepriesen seist du, mein Gott, daß du mir den Feind entdeckt und mich vor seinem grimmigen Rachen errettet hast!" — Alsdann flüchte vor der lockenden Gefahr eilig in die Wundmale des Gekreuzigten. Betrachte dieselben und erwäge, wieviel der Herr an seinem heiligsten Leibe erlitten hat, um dich von der Sünde zu erlösen und dir einen tiefen Abscheu wider die Sinnenlust einzuflößen.

Noch an ein anderes Mittel, um der gefährlichen Lockung aus dem Wege zu gehen, erinnere ich, nämlich daß du dich innerlich von dem ernsten Gedanken erfassen läßt, was wohl aus dem Geschöpf nach seinem Tode wird, das dich jetzt mit seiner Schönheit so reizt.

Während du wandelst, erinnere dich daran, daß du mit jedem Schritt dem Tode näher kommst.

Siehst du die Vögel die Luft durcheilen und Wasser dahinfließen, denke daran, daß dein Leben mit noch größerer Schnelligkeit dem Ende zueilt.

Wenn Orkane losbrechen oder Blitze zucken und die Donner rollen, gedenke des schreckvollen Gerichtstages. Beuge anbetend deine Knie und flehe zu Gott, er möge dir Gnade und Zeit schenken, um gut vorbereitet vor seiner höchsten Majestät erscheinen zu können. Bei den verschiedenartigen Ereignissen, die jedem im Leben begegnen, kannst du dich auf ähnliche Weise üben.

Fühlst du dich zum Beispiel von Schmerz und Traurigkeit niedergedrückt oder hast du unter Hitze, Kälte oder einem anderen Ungemach zu leiden, richte deinen Blick empor auf Gottes ewigen Willen, dem es zu deinem Besten gefiel, dich gerade in dem Maße und zu der Zeit diese Trübsal erdulden zu lassen. Erfreue dich deshalb der Liebe, die Gott dir zeigt, und der Gelegenheit, die er dir bietet, ihm zu seinem größeren Wohlgefallen zu dienen, und sprich zu deinem Herzen: „Sieh, so erfüllt sich an mir der Wille Gottes, der von Ewigkeit bestimmte, daß ich jetzt diese Drangsal erleide. Gepriesen sei darum auf ewig mein liebreicher Herr!"

Taucht in deinem Herzen ein guter Gedanke auf, so kehre ihn sogleich zu Gott hin und erkenne mit Dankbarkeit an, daß er von ihm ausging.

Liesest du, dann stelle dir vor, als ob der Herr selbst zu dir sprechen würde, und nimm die Worte auf, wie wenn sie aus seinem göttlichen Munde fließen würden.

Fällt dein Blick auf ein Kruzifix, sieh es als die Standarte deines Kriegsdienstes an. Verläßt du dieselbe, dann gerätst du in die Hände grausamer Feinde; folgst du ihr, dann wirst du mit reicher Siegesbeute in den Himmel einziehen.

Siehst du das liebliche Bild Mariens, der Jungfrau, wende dein Herz zur Königin des Himmels hin und sag' ihr Dank, daß sie Gottes Willen allzeit so treu erfüllte; daß sie den Erlöser der Welt geboren, mit ihrer Milch genährt hat und heranwachsen ließ, und daß in unserem geistlichen Kampfe ihre Gnadenhilfe niemals versagt.

Die Heiligenbilder zeigen dir ebenso viele tapfere Streiter, die ihren Lauf vollendeten und dir den Weg bahnten, den du ebenfalls gehen mußt, um mit ihnen der ewigen Siegeskrone teilhaft zu werden.

Erblickst du eine Kirche, so kannst du unter anderem erwägen, daß deine Seele ein Tempel Gottes ist, den du als seine Wohnung rein und unentweiht erhalten sollst.

Sooft du das dreimalige Glockenzeichen zum „Englischen Gruße" vernimmst, magst du folgende kurze Erwägungen anstellen, die den Worten entsprechen, die man vor jedem Himmelsgruß zu beten pflegt: Beim ersten Zeichen danke Gott für die Botschaft, die er als Anfang unserer Erlösung vom Himmel auf die Erde sandte. Beim zweiten freue dich mit Maria, der Jungfrau, über ihre hohe Würde, zu der sie aus ihrer außerordentlichen und überaus tiefen Demut erhoben wurde. Beim dritten Zeichen bete mit der überglücklichen Mutter und dem Erzengel Gabriel das eben fleischgewordene göttliche Kindlein an.

Vergiß auch nicht bei allen drei Glockenzeichen, namentlich beim letzten, aus Ehrfurcht ein wenig dein Haupt zu neigen.

Diese Erwägungen, auf die drei Glockenzeichen verteilt, eignen sich für jede Zeit des Tages.

Die folgenden Erwägungen verteilen sich auf den Abend, Mittag und Morgen und beziehen sich auf das Leiden des Herrn. Um uns nicht undankbar zu zeigen, sollen wir als ihre grossen Schuldner oftmals der Schmerzen Unserer Lieben Frau gedenken, die sie wegen des Leidens ihres Sohnes erduldet hat.

Am Abend gedenke der Todesangst, die die reinste Jungfrau wegen des blutigen Schweisses, der Gefangennahme und der geheimen Not ihres gebenedeiten Sohnes in jener Nacht erlitt. Am Morgen habe Mitleid mit ihrer Betrübnis, die sie empfand, als ihr Sohn vor Pilatus und Herodes geführt, zum Tode verurteilt und mit dem schweren Kreuze beladen wurde. Am Mittag betrachte mit Andacht das Schwert der Schmerzen, das das Herz der betrübten Mutter bei der Kreuzigung und dem Tode des Herrn und der grausamen Durchbohrung seiner heiligsten Seite durchdrang.

Diese Betrachtungen über die Schmerzen Mariens magst du vom Donnerstagabend bis zum Samstagmittag anstellen; die übrigen an den anderen Tagen. Richte dich aber dabei ganz nach dem frommen Zug deines Herzens und den äußeren Umständen, wie sie sich gerade ergeben.

Nun zum Schluß in aller Kürze, um deine Sinne recht zu beherrschen: Sei allen Dingen, Ereignissen und Vorfällen gegenüber auf der Hut, daß du dich nicht gleich durch Zu- oder Abneigung, die sie in dir erwecken, beeinflussen oder bestimmen läßt. Laß dich nur insofern darauf ein oder lehne sie ab, wie du sie nach dem Willen Gottes ergreifen oder abweisen sollst.

Laß es dir auch gesagt sein, daß ich die obigen Weisungen über die Art, wie du deine Sinne beherrschen sollst, nicht gegeben habe, daß du dich einzig damit beschäftigst. Vielmehr sollst du deinen Geist in beständiger Sammlung auf Gott einstellen und nach seinem Willen durch häufige Tugendakte deine Feinde zu überwinden und deinen sündhaften Trieben durch entgegengesetzte Tugendübungen zu widerstehen trachten. Nur deshalb gab ich dir die bezeichneten Winke, damit du dich klug und vernünftig danach zu richten weißt. Denn, wie du wissen mußt, ist es keineswegs nützlich, sich mit zu vielen Übungen, auch wenn sie noch so vortrefflich sind, zu überladen, weil dadurch gar oft der Geist gehemmt und die Eigenliebe, die Unbeständigkeit und die Nachstellungen des Teufels gefördert werden.

 


24. Von der Beherrschung der Zunge

Die Zunge muß vor allem beherrscht und im Zaume gehalten werden, denn die Menschen sind zu sehr geneigt, ihr freien Lauf zu lassen und von Dingen zu sprechen, die den Sinnen schmeicheln.

Das viele Reden hat meistens seine Wurzel in einem gewissen Hochmut, daß wir uns einbilden, mehr zu wissen, uns in unseren Gedanken und Vorstellungen bespiegeln und uns wie Lehrmeister bemühen, dieselben anderen beizubringen, als ob sie es nötig hätten, von uns zu lernen.

Die Übel, die aus dem vielen Reden entstehen, lassen sich mit wenigen Worten gar nicht beschreiben.

Die Schwatzhaftigkeit ist die Mutter der Trägheit, ein Beweis für Dummheit und Albernheit, die Türe für die Verleumdung, die Dienerin der Lüge und der Rauhreif für den religiösen Eifer.

Durch das viele Reden werden die sündhaften Leidenschaften bestärkt, die dann die Zunge wiederum anreizen, noch leichtsinniger mit unbesonnenen Reden fortzufahren.

Führe keine langen Gespräche weder mit solchen, die dich ungern anhören, um ihnen nicht lästig zu fallen, noch mit jenen, die dir gerne lauschen, um nicht die Grenzen der Bescheidenheit zu überschreiten.

Vermeide alles aufdringliche und laute Reden, denn beides wirkt unangenehm und zeugt von Anmaßung und Torheit.

Sprich ohne vernünftigen Grund niemals von deiner Person und deinen Arbeiten, noch von deinen Angehörigen. Ist es jedoch notwendig, dann nur kurz und zurückhaltend.

Redet ein anderer scheinbar etwas zuviel von sich, so suche daraus geistigen Gewinn zu ziehen. Ahme ihn auch dann nicht nach, wenn seine Worte auf eigene Verdemütigung und Selbstanklage abzielen.

Von deinem Nächsten und seinen Angelegenheiten sprich möglichst wenig; es sei denn, du kannst gelegentlich etwas Gutes von ihm aussagen.

Rede dagegen gerne von Gott, vor allem von seiner Liebe und Güte, jedoch mit einer gewissen Furcht, auch dabei irren zu können. Höre lieber zu, wenn andere davon sprechen, und bewahre ihre Worte im Grunde deines Herzens.

Von den Gesprächen anderer darf nur der Schall ihrer Stimme an dein Ohr dringen; dein Herz soll nämlich ständig auf den Herrn eingestellt bleiben. Mußt du aber unbedingt auf das Gespräch eines anderen aufmerken, um ihn zu verstehen und ihm Antwort zu geben, dann unterlasse es nicht, hie und da in Gedanken einen Blick zum Himmel zu richten, wo dein Gott wohnt, und gedenke seiner erhabenen Größe, wie auch er stets auf deine Niedrigkeit herabschaut.

Überlege zuvor sorgfältig, ehe deine Gedanken und Einfälle von deinen Lippen fließen, denn bei vielen wirst du erkennen, daß sie besser unausgesprochen bleiben.

Ferner ist es angebracht, daß du manches von dem, was dir zu sagen wert erscheint, mit Stillschweigen begräbst. Sicherlich wirst du dies auch einsehen, wenn du nach dem Gespräch darüber nachdenkst.

Das Stillschweigen, meine christliche Seele, ist eine große Macht im geistlichen Kampf und ein sicheres Unterpfand für den Sieg.

Es ist eine unentbehrliche Freundin für den, der sich selbst mißtraut und sein Vertrauen auf Gott setzt. Es ist die Hüterin des Gebetsgeistes und die vortrefflichste Helferin in der Übung der Tugenden.

Um dich ans Stillschweigen zu gewöhnen, erwäge öfters die Schäden und Gefahren der Geschwätzigkeit und die großen Vorteile des Stillschweigens.

Suche diese Tugend liebzugewinnen und — um in ihr Fertigkeit zu erlangen — schweige zuweilen auch, wenn es nicht Unrecht ist zu reden, sofern dir oder dem Nächsten daraus kein Schaden erwächst.

Darum wird es dir auch von Nutzen sein, wenn du dich von Unterhaltungen fernhältst. Anstelle der Menschen werden die Engel und Heiligen, ja Gott selbst dir Gesellschaft leisten. Vergiß schließlich nicht des Kampfes, den du zu führen hast; denn wenn du weißt, welch große Aufgabe deiner harrt, wirst du kein Verlangen danach tragen, dich mit müßigen Reden zu befassen.

 


25. Ein Streiter Christi muß, um wider die Feinde gut zu kämpfen, die Verwirrung und Unruhe des Herzens möglichst fliehen

Nach besten Kräften müssen wir uns bemühen, den verlorenen Herzensfrieden wiederzugewinnen. Ebenso muß es dir einleuchten, daß kein Ereignis, das uns im Leben begegnet, uns denselben wirklich rauben oder auch nur stören darf.

Allerdings haben wir triftigen Grund, unsere Sünden zu beklagen, aber das dürfen wir nur mit einem ruhigen Schmerz, wie ich es bereits an mehreren Stellen ausgeführt habe. In gleicher Weise soll man ohne Herzensunruhe jeden Sünder mit wohlwollender Liebe bemitleiden und dessen Schuld wenigstens im Herzen beweinen.

Andere harte und kummervolle Schicksalsschläge wie Krankheit, Verletzungen, Todesfälle unserer Angehörigen, Pest, Krieg, Feuersbrünste und ähnliche Übel werden von den Weltleuten als naturwidrig meistens verabscheut; wir aber können sie mit Gottes Gnade nicht nur wünschen, sondern sogar als eine gerechte Strafe für die Bösen und als eine Gelegenheit zur Tugendübung für die Gerechten liebgewinnen. In dieser Hinsicht sind sie ja auch unserem Herrgott wohlgefällig. Und richten wir uns hierin nach seinem Willen, dann werden wir ruhigen und heiteren Gemütes durch alle Bitterkeiten und Widerwärtigkeiten dieses Lebens hindurchgehen.

Sei darum versichert, daß jede Art von Unruhe in uns dem lieben Gott mißfällt, weil sie immer von Unvollkommenheit begleitet ist und stets aus der häßlichen Wurzel unserer Selbstliebe hervorgeht.

Stelle deshalb immer eine Wache auf, die dir sogleich ein Zeichen gibt, wenn sie irgend etwas entdeckt, was dich verwirren oder beunruhigen könnte, damit du zur Verteidigung die Waffen ergreifst und dir sagst, daß alle erwähnten Leiden und viele ähnliche trotz ihres äußeren Scheines gar keine wahren Übel sind und uns auch nicht die eigentlichen Güter zu rauben imstande sind, und daß Gott selbst sie alle aus den besagten guten Gründen fügt oder aus anderen uns unbekannten, aber zweifellos höchst gerechten und heiligen Absichten zuläßt.

Wenn man so bei jedem Unglücksfall sein Herz in Ruhe und Frieden bewahrt, dann kann man daraus viel Nutzen ziehen; andernfalls fruchten unsere Übungen wenig oder gar nichts.

Zudem ist unser Herz wegen seiner Unruhe den mannigfachen Angriffen des bösen Feindes ständig ausgesetzt, und wir sind in einem solchen Zustande auch nicht in der Lage, den geraden Pfad und den sicheren Weg der Tugend zu erkennen.

Unser Feind kann diesen Frieden in der Seele nicht leiden, weil er in ihm die Wohnstätte des göttlichen Geistes erblickt, wo Gott Großes wirken will. Deswegen versucht er, ihn uns durch falsche Vorspiegelungen zu rauben, indem er uns scheinbar fromme Wünsche eingibt. Den Betrug vermagst du unter anderem daran zu erkennen, daß diese Wünsche dich um den Frieden des Herzens bringen.

Um einen so großen Schaden zu verhindern, öffne, wenn die Wache wieder einen Wunsch meldet, die Türe deines Herzens nicht eher, als bis du, frei von allem Eigenwillen, ihn zuerst Gott dargestellt und den Herrn mit dem Bekenntnis deiner Blindheit und Unwissenheit aufs inständigste gebeten hast, er möge in seinem Lichte dich erkennen lassen, ob derselbe von ihm oder dem Widersacher stamme. Wenn möglich, hole auch das Urteil deines Seelenführers ein.

Auch wenn der Wunsch von Gott herrührt, bemühe dich, deinen allzu großen Eifer vor seiner Ausführung zu zügeln. Denn ein Werk, dem eine solche Abtötung vorausgeht, ist Gott genehmer, als wenn es mit natürlichem Ungestüm vollbracht wird; ja, bisweilen ist ihm die Abtötung sogar wohlgefälliger als das Werk selbst.

Du wirst die Festung deines Herzens in Frieden und Sicherheit halten, wenn du deine unguten Wünsche vertreibst und die guten nicht eher ausführst, als bis du die natürlichen Antriebe zuvor zurückgedrängt hast.

Um dein Herz in tiefstem Frieden zu bewahren, mußt du es vor gewissen Selbstvorwürfen und Gewissensbissen schützen, die von Gott zu kommen scheinen, weil sie dich eines Fehlers beschuldigen, in Wirklichkeit aber vielfach vom Teufel eingegeben sind.

An ihren Früchten wirst du erkennen, woher sie eigentlich stammen.

Machen sie dich demütig und eifrig fürs Gute und zerstören sie nicht das Gottvertrauen, dann nimm sie als von Gott kommend in Dankbarkeit an. Machen sie dich unruhig, kleinmütig, mißtrauisch, träge und nachlässig im Guten, dann kannst du bestimmt annehmen, daß sie vom Widersacher herrühren. Schenke ihnen deshalb kein Gehör und fahre ruhig in deinen Übungen fort.

Öfters als aus den angegebenen Ursachen entspringt die Unruhe unseres Herzens den Widrigkeiten, die uns zustoßen. Um dich gegen solche Schläge zu sichern, mußt du zweierlei beachten. Zunächst gib acht und sieh zu, wem diese Ereignisse zuwider sind; der Seele oder bloß der Eigenliebe und dem Eigenwillen. Sind sie deinen Hauptfeinden, dem Eigenwillen und der Eigenliebe, zuwider, dann darfst du sie nicht als Widerwärtigkeiten ansprechen, sondern als Gnadenerweise und Hilfeleistungen vonseiten des allerhöchsten Gottes, die wir mit freudigem Herzen und mit Dankbarkeit annehmen müssen.

Sind sie der Seele zuwider, so darfst du ihretwegen den Frieden des Herzens nicht verlieren, wie ich es dir im folgenden Kapitel darlegen werde.

Zweitens mußt du dein Herz ganz auf Gott einstellen und blindlings, ohne Weiteres wissen zu wollen, alles aus der liebevollen Hand der göttlichen Vorsehung als reiches Gnadengeschenk annehmen, dessen Wert dir im Augenblick noch unbekannt ist.

 


26. Unser Verhalten bei Verwundungen

Fühlst du dich verwundet, weil du aus Schwachheit oder sogar mit Wissen und Willen fehltest, dann werde nicht kleinmütig und unruhig, sondern kehre auf der Stelle zu Gott zurück und sage zu ihm: „Siehe, Herr, da habe ich wieder gezeigt, was ich bin; von mir aus war ja nichts anderes als ein Fehltritt zu erwarten."

Denke etwas darüber nach und verdemütige dich vor dir selbst. Bereue die Beleidigung Gottes und verabscheue, ohne die Fassung zu verlieren, deine sündhaften Leidenschaften, namentlich jene, die dich zur Sünde führten. Und fahre dann fort: „Herr, auch hier wäre ich weiter gegangen, wenn deine Güte mich nicht zurückgehalten hätte."

Sage ihm jetzt Dank. Umfasse ihn mit noch innigerer Liebe und bewundere seine Güte, daß er dir trotz deiner Sünde seine Rechte bot, um dich vor weiterem Falle zu bewahren.

Und voll Vertrauen auf seine unendliche Barmherzigkeit sprich: „Herr, zeige dich, wie du bist: Verzeihe mir und laß nie zu, daß ich mich je im Leben von dir trenne; daß ich von dir weggehe und dich noch einmal beleidige." Dann aber grüble nicht mehr darüber nach, ob Gott dir auch wirklich verziehen hat oder nicht; denn das wäre nur Hochmut, Beunruhigung des Geistes, Zeitvergeudung und Hinterlist des bösen Feindes, der dich durch scheinbar gute Vorstellungen täuschen will.

Überlaß dich rückhaltlos Gottes liebevoller Vatersorge und fahre in deinen Übungen gerade so fort, als ob du gar nicht gestrauchelt wärest. Und solltest du tagsüber wiederholt fallen und verwundet werden, dann tu, was ich dir gesagt habe, mit nicht geringerem Vertrauen ein zweites, drittes und auch das letzte Mal genau so wie das erste Mal. Und mit größerer Selbstverachtung und wachsendem Abscheu vor der Sünde gib dir Mühe, behutsamer zu wandeln. Diese Übung mißfällt dem bösen Feind ungemein, weil er weiß, wie wohlgefällig sie Gott ist, und weil er sich von dem beschämt und überwunden sieht, den er vorher besiegt hatte. Darum bemüht er sich, uns durch mannigfache heimtückische Kunstgriffe davon abzuhalten, was ihm leider wegen unserer Fahrlässigkeit und geringer Wachsamkeit über uns selbst vielfach gelingt. Stößt du daher auf Schwierigkeiten, dann mußt du dir noch mehr Gewalt antun, indem du diese Übung auch bei einem einzigen Fehltritt öfters wiederholst.

Bist du nach einem Fehler unruhig, verwirrt und verzagt, dann mußt du zuallererst den Frieden und die Ruhe des Herzens zugleich mit dem Vertrauen wieder zu erlangen trachten. Die Unruhe, die du nämlich der Sünde wegen empfindest, hat ihren Grund nicht in der Beleidigung, die du Gott, sondern in dem Schaden, den du dir selbst zugefügt hast.

Das Mittel, um diesen Frieden wiederzugewinnen, besteht darin, daß du dir für den Augenblick den Fehltritt ganz aus dem Sinn schlägst und einzig die unaussprechliche Güte Gottes betrachtest, wie er mit unsagbarem Verlangen bereit ist, dir jede, auch die schwerste Sünde zu vergeben, und wie er den Sünder auf die verschiedenste Weise und auf vielerlei Wegen ruft, damit er komme und sich in diesem Leben durch die heiligmachende Gnade und im Jenseits durch die ewig beseligende Glorie mit ihm vereine.

Hast du durch solche oder ähnliche Erwägungen dein Herz beruhigt, dann führe dir deinen Fehltritt wieder vor die Seele und verfahre, wie ich es dir oben sagte.

Kommt die Stunde zum Empfang des Bußsakramentes — dessen häufigen Empfang ich dir nicht genug ans Herz legen kann —, dann überdenke wieder alle deine Fehltritte und bekenne sie aufrichtig deinem Beichtvater mit erneutem Reueschmerz und Mißfallen über die Gott angetane Beleidigung und mit dem Vorsatz, ihn nicht mehr zu beleidigen.

 


27. Wie der Teufel die Tugendhaften und die Sklaven der Sünde zu bekämpfen und zu betrügen sucht

Das mußt du dir merken, daß der Teufel auf nichts anderes als auf unseren Untergang ausgeht und daß er nicht alle auf dieselbe Weise bekämpft.

Um dir einige seiner Kampfarten und Täuschungsversuche zu schildern, will ich dir vorerst die Seelenverfassung aufdecken, in welcher sich manche Menschen befinden.

Die einen leben in der Sklaverei der Sünde und denken gar nicht daran, sich von ihr zu befreien.

Andere wollen sich allerdings freimachen, aber fangen niemals damit an.

Wieder andere glauben auf dem Wege der Tugend zu wandeln, gehen aber dennoch abseits.

Andere endlich waren bereits im Besitz der Tugend, fallen jedoch in noch größeres Unglück.

Von diesen allen wollen wir der Reihe nach berichten.

 


28. Die Kampfesart und Hinterlist des Teufels wider die Sklaven der Sünde

Hält der böse Feind jemand in der Knechtschaft der Sünde gefangen, dann sinnt er nur darauf, ihn noch mehr zu verblenden und jeden Gedanken von ihm fernzuhalten, der ihn zur Erkenntnis seiner unglücklichen Lage führen könnte.

Aber nicht genug damit, daß er die Gedanken und Eingebungen, die ihn zur Umkehr bringen würden, durch widersprechende Vorstellungen verdrängt. Er sucht ihn durch geschickt herbeigeführte Gelegenheiten in die gleichen oder andere, noch größere Sünden zu stürzen. Infolgedessen wächst und verschlimmert sich seine Verblendung ständig, so daß er immer tiefer fällt und sich ganz an die Sünde gewöhnt. Auf diese Weise gleitet sein unglückliches Leben gleichsam wie im Kreislauf eilends von der größeren Sünde in größere Verblendung und von dieser in größere Schuld und zuletzt in den Tod — wenn Gott nicht mit seiner Gnade vorsorgt.

Das Gegenmittel, soweit es in unserer Macht liegt, besteht darin, daß derjenige, der sich in einer so unglücklichen Lage befindet, den Vorstellungen und Eingebungen, die ihn vom Dunkel ins Licht rufen, bereitwillig Gehör schenkt und aus ganzem Herzen zu seinem Schöpfer fleht: „O mein Herr, hilf mir; komme mir eilends zu Hilfe und laß mich nicht länger in dieser Sündennacht liegen!" Unablässig soll er auf diese oder ähnliche Weise zu Gott flehen und rufen.

Wenn es ihm möglich ist, eile er schnellstens zu einem Beichtvater, um Rat und Hilfe zu holen, wie er sich aus den Händen des Feindes befreien könne.

Ist es ihm aber unmöglich, dies sofort zu tun, dann nehme er eilig seine Zuflucht zum Gekreuzigten und werfe sich in Demut zu dessen Füßen nieder. Auch bitte er die allerseligste Jungfrau Maria um Erbarmen und Beistand.

Sei überzeugt: In der raschen Entschlossenheit liegt der Sieg, wie du es im nächsten Kapitel hören wirst.

 


29. Wie hinterlistig der Teufel jene gefangen hält, die ihr Elend erkennen und sich freimachen wollen — Die Gründe, warum unsere Vorsätze oft so unwirksam sind

Gewöhnlich werden jene, die ihre schlimme Lage erkennen und gerne ändern möchten, vom bösen Feind mit der hinterlistigen Waffe besiegt, nämlich daß sie ihre Bekehrung auf morgen, auf später verschieben sollten.

„Ich will eine Sache noch erledigen und das Hemmnis erst beseitigen, um mich später mit mehr Ruhe dem geistlichen Leben widmen zu können..."; eine Grube, in die viele fielen und noch immer fallen.

Unsere Trägheit und Bequemlichkeit tragen die Schuld, daß man in einer Angelegenheit, bei der doch das Seelenheil und Gottes Ehre auf dem Spiel stehen, nicht rasch und entschlossen die siegreichen Waffen ergreift: „Jetzt, sogleich, warum denn erst später?... Heute noch; ja heute, warum denn erst morgen?" und nicht zu sich selbst sagt: „Sollte mir das »Später« und das »Morgen« auch gewährt sein; ist das wirklich der rechte Weg zum Heil und Sieg, daß man sich vorher verwunden lassen und aufs neue schuldig machen will?"

Du siehst also, das beste Gegenmittel, um dieser und der im vorigen Kapitel besprochenen Täuschung zu entgehen und den Feind zu überwinden, liegt im unverzüglichen Gehorsam gegen die göttlichen Vorstellungen und Eingebungen.

Rasche Entschlossenheit und keine bloßen Vorsätze; denn diese versagen meistens. Viele wurden bei verschiedenen Anlässen gerade durch dieselben getäuscht.

Der erste schon vorhin erwähnte Grund ist der, daß unsere Vorsätze nicht das Mißtrauen gegen uns selbst und das Vertrauen auf Gott zum Fundament haben. Unser hochfahrender Sinn läßt uns ja auch nicht die Quelle unserer Täuschung und Verblendung erkennen.

Das Licht zur Erkenntnis und das Mittel zum Heile entstammen der Güte Gottes, der unseren Fehltritt zuläßt und uns durch unseren Fall von unserem Selbstvertrauen zum Gottvertrauen und von unserem Hochmut zur Selbsterkenntnis verhilft.

Willst du also, daß sich deine Vorsätze verwirklichen, dann müssen sie fest sein. Und fest werden sie, wenn sie keine Spur von Selbstvertrauen an sich tragen und nur auf demütigem Gottvertrauen aufgebaut sind.

Der zweite Grund ist, daß wir bei unseren Vorsätzen besonders auf die Schönheit und den Wert der Tugend schauen, die unseren allzu schwachen und energielosen Willen für sich einnehmen, weshalb er bei eintretenden Schwierigkeiten, die wir zur Gewinnung einer Tugend überwinden müssen, versagt und zurückschreckt, eben weil er so schwach und ungeübt ist.

Deshalb nimm, um deinen Eifer zu entflammen, für gewöhnlich nicht die Tugend selbst, als vielmehr vor allem die Schwierigkeiten, die mit ihrem Erwerb verknüpft sind, aufs Korn.

Mit derlei Schwierigkeiten mußt du — bald weniger, bald mehr — deinen Willen erziehen, sofern du wirklich in den Besitz der Tugenden gelangen willst. Und sei überzeugt, daß du dich selbst und deine Feinde viel schneller und gründlicher besiegen wirst, je hochherziger und inniger du die Schwierigkeiten annimmst und sogar liebgewinnst.

Der dritte Grund endlich ist der, daß unsere Vorsätze vielfach weniger die Tugend und den Willen Gottes, als unser eigenes Interesse im Auge haben. Das ist gewöhnlich bei solchen Vorsätzen der Fall, die wir in Zeiten geistlichen Trostes oder schwerer und harter Bedrängnis fassen, in welcher uns nur der Vorsatz, uns ganz Gott und der Übung der Tugend widmen zu wollen, eine Linderung gewährt.

Um dieser Täuschung nicht zu unterliegen, sei in Zeiten seelischen Gehobenseins mit Vorsätzen besonders vorsichtig und zurückhaltend, vor allem mit Versprechen und Gelübden.

Und bist du niedergeschlagen, dann erwecke nur den einen Vorsatz, nach dem Willen Gottes dein Kreuz geduldig zu tragen und unter Verzicht auf jeden irdischen, ja selbst himmlischen Trost in ihm zu frohlocken. Deine einzige Bitte und dein einziger Wunsch seien dann, daß du mit Gottes Hilfe und mit der unversehrten Tugend der Geduld und ohne Fehl jede Widerwärtigkeit ertragen kannst.

 


30. Von der Täuschung jener, die auf dem Wege der Vollkommenheit zu wandeln glauben

Hat der Widersacher beim ersten und zweiten Angriff und Täuschungsversuch eine Niederlage erlitten, dann versucht es der Böse mit einem dritten, daß er nämlich unsere Aufmerksamkeit von unseren eigentlichen Feinden, die uns wirklich bekämpfen und schädigen, ablenkt und uns mit Plänen und Wünschen nach einer höheren Vollkommenheit überrumpelt.

Infolgedessen tragen wir beständig neue Wunden davon, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Wir halten derartige Pläne schon für Wirklichkeit und schwelgen in stolzem Selbstgefühl.

Während wir nicht die geringste Mühsal oder einen Widerspruch ertragen mögen, vergeuden wir mitunter die Zeit mit langen Betrachtungen und Vorsätzen, wie wir große Leiden, ja selbst die des Reinigungsortes erdulden wollen.

Weil unsere Sinnlichkeit dagegen, wie bei einer fernliegenden Erscheinung, keinen Widerwillen empfindet, bilden wir Armselige uns ein, schon auf gleicher Stufe mit denen zu stehen, die in der Tat Großes mit Geduld ertragen haben.

Um diesem Irrtum aus dem Weg zu gehen, bekämpfe vorsätzlich nur solche Feinde, die dich aus der Nähe und Wirklichkeit bekriegen. Dann wirst du dich überzeugen, ob deine Vorsätze echt oder unecht, wirksam oder unwirksam sind, und du wirst auf dem gebahnten und königlichen Wege zur Tugend und Vollkommenheit voranschreiten.

Gegen solche Feinde aber, die dich gewöhnlich nicht belästigen, rate ich dir ab, einen Kampf zu unternehmen; es wäre denn, daß du einen baldigen Angriff von ihrer Seite aus zu erwarten hast. In diesem Falle tust du recht daran, im voraus Vorsätze zu fassen, um dann gerüstet und stark angetroffen zu werden.

Betrachte deine Vorsätze jedoch niemals als Tatsachen, selbst wenn du dich pflichtgemäß eine Zeitlang in der Tugend geübt hast. Bleibe demütig und in Sorge deiner Schwäche wegen! Vertrau auf Gott und nimm zu ihm in häufigem Gebet deine Zuflucht, damit er dich stärke und vor aller Gefahr behüte, namentlich vor jeder Vermessenheit und dem leisesten Selbstvertrauen.

Unter dieser Voraussetzung dürfen wir im voraus wohl Vorsätze fassen, um eine höhere Stufe der Vollkommenheit zu ersteigen, auch wenn wir einige kleinere Fehler nicht ablegen können, die der Herr zu unserer Verdemütigung und Selbsterkenntnis und zur Bewahrung irgendeines Gutes zuläßt.

 


31. Von dem listigen Versuch des Teufels, uns vom Weg der Tugend abzubringen

Sieht der böse Geist uns auf dem geraden Wege zur Tugend, so fällt er uns, wie oben gesagt wurde, mit einer vierten List an, indem er in uns fromme Wünsche verschiedenster Art weckt, um uns von der Übung der Tugend ins Laster zu stürzen.

Eine kranke Person erduldet beispielsweise ihr Unwohlsein mit Geduld und Ergebung. Der heimtückische Widersacher weiß sehr wohl, daß sie sich dadurch die Fertigkeit in der Übung der Geduld aneignet. Er stellt ihr darum all die guten Werke vor, die sie in einer anderen Lage auszuführen imstande wäre, und versucht ihr einzureden, sie könnte gesund Gott viel besser dienen und sich wie auch dem Nächsten mehr nützen.

Hat er ihr einmal solche Wünsche angeregt, so fördert und steigert er dieselben immer mehr, bis schließlich die Person darüber unruhig wird, dieselben nicht zur Ausführung bringen zu können, wie sie es gerne möchte. Und je größer und stärker ihr Verlangen wird, umso mehr wächst auch ihre Unruhe.

Und weiter verleitet der böse Feind sie ganz unbemerkt zur Ungeduld über ihre Krankheit, zwar nicht über diese als solche, sondern als Hindernis zu jenen Werken, deren Ausführung sie um eines höheren Gutes willen so sehnsüchtig verlangt.

Hat er sie so weit, dann entzieht er mit derselben Schlauheit ihren Augen das Ziel, in allem Gott zu dienen und gute Werke zu tun, und läßt ihr nur das bloße Verlangen, von ihrer Krankheit befreit zu werden.

Findet ihr Wunsch dann keine Erfüllung, so wird sie derartig beunruhigt, daß sie vollständig die Geduld verliert. Und so fällt sie, ohne sich dessen zu versehen, von der Tugend, die sie bislang übte, in das entgegengesetzte Laster. Das Mittel, um sich vor einem derartigen Betrug zu schützen und ihm wirksam zu begegnen, besteht darin, daß du dich in jeder widrigen Lage, in der du dich befindest, wohl davor hütest, irgendwelche frommen Wünsche zu hegen, die du zur Zeit nicht verwirklichen kannst und die dich wahrscheinlich nur in Unruhe versetzen würden.

In aller Demut, Geduld und Ergebenheit sei überzeugt, daß deine verwirklichten Wünsche ohnehin nicht jene Wirkung haben, die du dir einbildest, da du viel unvermögender und unbeständiger bist, als du dich selbst einschätzt.

Bedenke auch ferner, daß Gott in seinem geheimen Ratschluß, vielleicht auch deiner Sünden wegen, jenes Gute nicht einmal von dir begehrt, sondern nur von dir verlangt, daß du dich in Ergebung unter die liebevolle und mächtige Hand seiner Vorsehung beugst und verdemütigst.

Bist du durch deinen Seelenführer oder infolge einer anderen Ursache verhindert, deine Andachtsübungen wunschgemäß zu verrichten und namentlich die heilige Kommunion zu empfangen, dann laß dich nicht durch unzeitige Wünsche verwirren und beunruhigen. Befreie dich von deinem Eigenwillen und bekleide dich mit Gottes heiligem Willen und sprich zu dir selbst:

„Erblickte das Auge der göttlichen Vorsehung in mir keinen Undank und keine Mängel, dann wäre ich jetzt der Gnade, das allerheiligste Altarsakrament zu empfangen, keineswegs beraubt. Hieraus erkenne ich, daß der Herr mir meine Unwürdigkeit kundtun will; darum sei er immerdar gelobt und gepriesen! Fest baue ich, o mein Gott, auf die Forderung deiner unendlichen Güte, daß ich mich dir in allem unterwerfe, dir gehorche und mein Herz bereitwillig und ganz deinem Willen erschließe, damit du geistigerweise bei mir einkehren, es trösten und wider die Feinde stärken kannst, die es dir entfremden wollen. Alles möge geschehen, was gut in deinen Augen ist! Dein Wille, mein Schöpfer und Erlöser, sei mir jetzt und allezeit Speise und Stütze! Nur um eine Gnade, o ewige Liebe, bitte ich, daß meine Seele, geläutert und befreit von allem, was dir mißfällt, mit dem Schmuck heiliger Tugenden geziert, stets auf dein Kommen und auf alles, was du über mich zu verhängen für gut findest, gerüstet sei."

Befolgst du diese Weisungen, dann darfst du versichert sein, daß du bei jedem frommen Wunsche, den du auch nicht verwirklichen kannst, immer Gelegenheit hast, deinen Herrn auf diese Weise zufriedenzustellen, wie es ihm am besten entspricht; mag nun dieser Wunsch von der Natur oder vom bösen Feind herkommen, welcher dich zu beunruhigen und vom Weg der Tugend abzubringen sucht, oder von Gott selbst stammen, der deine Ergebung in seinen heiligen Willen zu prüfen begehrt. Denn darin besteht die wahre Gottverbundenheit und der echte Gehorsam, den Gott von uns verlangt.

Insbesondere ermahne ich dich, bei Heimsuchungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, nie ungeduldig zu werden. Falls du die erlaubten Mittel, wie sie die Diener Gottes zu gebrauchen pflegen, dagegen anwendest, so tu dies nicht allein in der Absicht und in der Erwartung auf Befreiung, sondern deshalb, weil Gott es will, daß wir uns ihrer bedienen. Wir wissen ja auch nicht, ob es seiner göttlichen Majestät genehm ist, uns gerade durch diese Mittel zu befreien.

Handelst du anders, dann werden dir noch mehr Übel widerfahren; denn gelingt die Sache nicht nach Wunsch und Willen, so gerätst du sicher in Ungeduld oder deine Geduld wird fehlerhaft, Gott weniger genehm und dir nur geringes Verdienst eintragen.

Zum Schluß mache ich dich noch auf eine versteckte Täuschung aufmerksam, die von unserer Eigenliebe erzeugt wird, welche unsere Fehler bei gewissen Gelegenheiten zudeckt und in Schutz nimmt.

So verhüllt zum Beispiel ein Kranker, der über seine Krankheit recht verdrießlich ist, seine Ungeduld mit dem Vorhang des Eifers für etwas scheinbar Gutes. Sein Mißmut, sagt er, sei keine wirkliche Ungeduld über die Beschwerden, welche ihm das Unwohlsein verursachen, sondern ein berechtigter Kummer, daß er selbst dazu Anlaß gegeben habe, oder daß andere der Pflege oder anderer Ursachen wegen durch ihn Unannehmlichkeiten erlitten.

Ähnlich macht es auch ein Ehrgeiziger, der sich über eine nicht erhaltene Ehrenstelle ärgert. Er schreibt diesen Ärger durchaus nicht seinem Hochmut und seiner Einbildung, sondern anderen Gründen zu, die ihm aber bekanntlich bei anderen Gelegenheiten gar keinen Kummer bereiten, solange ihm dabei kein Nachteil erwächst. Geradesowenig hat der Kranke, den es angeblich so schmerzt, daß andere seinetwegen sich abmühen sollen, ein Gefühl, wenn dieselben bei anderen Kranken die gleichen Beschwerden auf sich nehmen müssen.

Das beweist deutlich, daß die Wurzel ihrer Klagen nicht in der Rücksicht auf andere zu suchen ist, sondern nur in ihrer Abneigung, die sie gegen alles hegen, was ihren Neigungen zuwider ist.

Damit du nicht in denselben oder einen ähnlichen Fehler fällst, trage in Geduld jede Mühsal und Pein, welche Ursache sie auch immer haben mögen.

 


32. Von den hinterlistigen Versuchen des Teufels, uns mittels bereits erworbener Tugenden zu Falle zu bringen

Die arglistige und böse Schlange findet selbst in unseren bereits erworbenen Tugenden ein gutes Mittel, um uns zu überlisten und durch sie zu Falle zu bringen, nämlich dadurch, daß wir ihretwegen an uns Gefallen finden und uns überheben und schließlich dem Laster des Hochmutes und der Ruhmsucht verfallen.

Als Schutz wider diese Gefahr führe deine Kämpfe stets auf dem ebenen und gesicherten Felde einer wahren und tiefen Selbsterkenntnis: Daß du nichts bist, nichts weißt, nichts vermagst, nichts hast als Armseligkeiten und Gebrechen und nichts verdienst als die ewige Verdammnis.

Hast du einmal innerhalb der Grenzen dieser Wahrheit eine feste und gesicherte Stellung bezogen, dann laß dich durch keinen Plan oder irgendeine Rücksicht auch nur einen Fußbreit hinauslocken. Sei überzeugt, es ist alles Mache deiner schlimmsten Feinde, die dich bestimmt verwunden oder sogar töten würden, wenn du in ihre Hände fallen würdest.

Um dich zu einem planmäßigen Vorgehen auf dem genannten Felde der Erkenntnis deiner Armseligkeit zu erziehen, bediene dich folgender Regel:

Sooft du einen prüfenden Blick auf dich und deine Werke richtest, fasse stets nur das ins Auge, was wirklich von dir ist und nicht von Gott und seiner Gnade stammt, und nach dem, was du als dein Ureigen entdeckst, beurteile dich selbst.

Gedenkst du der Zeit, bevor du warst, dann wirst du inne, daß du im tiefen Abgrund der Ewigkeit ein reines Nichts gewesen bist, und daß du nichts fertiggebracht hast, noch tun konntest, um das Dasein zu erhalten.

Läßt du in der Zeit, in der du einzig durch Gottes Güte das Dasein hast, das außer acht, was sein Eigen ist — wie er dich auch beständig durch seine Vorsehung erhält —, was ist denn dein Eigen, als gleichfalls ein Nichts? Zweifellos würdest du sofort in dein ursprüngliches Nichts, aus dem dich seine allmächtige Hand herausgezogen hat, zurückfallen, wenn er dich auch nur für einen Augenblick dir selber überließe.

Es ist demnach völlig einleuchtend, daß du hinsichtlich deines natürlichen Daseins durchaus keinen Grund hast, dich selbst hoch einzuschätzen und die Achtung der Leute zu verlangen, wenn du deine eigenen Verdienste nach objektiven Maßstäben mißt.

Was dann das übernatürliche Leben der Gnade und der guten Werke betrifft, wärst du wohl imstande, mit deinen natürlichen Anlagen und Kräften, frei von aller Hilfe Gottes, aus dir selbst auch nur das geringste Gute und Verdienstliche zu tun? — Ganz gewiß nicht! Anderseits, wenn du die vielen Fehltritte deines vergangenen Lebens und dabei noch das viele Böse in Erwägung ziehst, das du sicher begangen hättest, hätte Gottes mildreiche Hand dich nicht zurückgehalten, dann wirst du finden, daß deine Sünden durch die Menge nicht nur der Tage und Jahre, sondern auch der bösen Handlungen und üblen Gewohnheiten (denn ein Laster zieht das andere nach sich) zu einer fast endlosen Zahl angewachsen wären.

Willst du nicht zum Freibeuter an der Güte Gottes werden, sondern fest mit dem Herrn verbunden bleiben, dann mußt du dich von Tag zu Tag geringer einschätzen.

Sorge dafür, daß dein Urteil, das du über dich selbst fällst, stets der Gerechtigkeit entspricht, sonst könnte es dir sehr zum Schaden gereichen.

Angenommen, du übertriffst durch die Erkenntnis deiner Bosheit einen anderen, der sich in seiner Verblendung wer weiß was einbildet, so machst du dich schließlich schlechter als jener durch die Anstrengungen deines Willens, von den Leuten als das geachtet und behandelt zu werden, was du nach deiner eigenen Überzeugung nicht bist.

Willst du durch die Erkenntnis deiner Bosheit und Armseligkeit deine Feinde von dir fernhalten und dich Gott wohlgefällig machen, dann genügt es keineswegs, daß du dich selbst verachtest und dich alles Guten für unwert und jeden Übels für wert erachtest, sondern du mußt auch die Verachtung vonseiten anderer lieben, die Ehrungen verabscheuen, dich der Beleidigungen erfreuen und gelegentlich gerne Arbeiten verrichten, die andere mit Verachtung verschmähen.

Auf das abfällige Urteil der Leute darfst du durchaus keinen Wert legen, um solche heilsamen Arbeiten zu unterlassen, falls du sie nur in der Absicht, um dich zu verdemütigen und zu ertüchtigen, und nicht aus einem gewissen geistigen Dünkel und schlecht erkannten Hochmut verrichtest, wie man ja bisweilen unter allerlei recht bequemen Vorwänden sich um die Meinung anderer wenig oder gar nicht kümmert.

Wirst du einmal wegen einer guten Eigenschaft, die Gott dir verliehen hat, von den Leuten gern gesehen und gelobt, dann laß dich nicht gehen und weiche kein Tüpfelchen von der eben ausgesprochenen Wahrheit und Ehrlichkeit ab. Wende dich gleich zu Gott und beteuere ihm von Herzen: „Ferne sei es von mir, o Herr, daß ich ein Dieb an deiner Ehre und Gnade werde; dir sei Lob und Preis und Ehre, mir aber Schmach und Schande!" Und zu deinem Lobredner sprich im Herzen: „Wie kommt es, daß jener mich für gut hält, da doch nur Gott und seine Werke gut sind?" Handelst du auf diese Weise und gibst Gott so das Seine, dann hältst du deine Feinde von dir fern und bereitest dich zum Empfang größerer Gnaden und Hulderweise vonseiten Gottes vor.

Bringt dich die Erinnerung an gute Werke in die Gefahr der Selbstgefälligkeit, dann sieh jene geschwind nicht als deine, sondern als Gottes Werke an und, dich gleichsam an sie wendend, sprich in deinem Herzen: „Ich verstehe nicht, wie ihr vor mir erscheint und vor meinen Augen Gestalt angenommen habt, denn nicht ich bin euer Urheber, sondern der allgütige Gott hat euch in seiner Gnade geschaffen, genährt und erhalten. Ihn allein will ich deshalb als euren wahren und eigentlichen Vater anerkennen, ihm Dank sagen und alles Lob dafür spenden."

Ferner bedenke, daß alle deine Werke nicht allein der Erleuchtung und der Gnade, die dir zu ihrer Erkenntnis und Ausführung verliehen worden waren, wenig entsprachen, sondern dazu noch sehr unvollkommen und allzuweit von jener reinen Absicht, Sorgfalt und schuldigem Eifer entfernt waren, von welchen sie hätten begleitet und ausgeführt werden sollen.

Überlegst du das wohl, so hast du mehr Grund zur Scham als zu törichtem Spaß. Denn es ist leider allzu wahr, daß die Gnaden, die wir von Gott rein und vollkommen empfangen, durch unsere Unvollkommenheiten bei ihrem Gebrauch beschmutzt werden.

Weiter vergleiche deine Werke mit denen der Heiligen und anderer Diener Gottes, und bei diesem Vergleich wirst du mit aller Klarheit erkennen, daß deine besten und größten Werke an Gehalt und Wert sehr niedrig stehen.

Vergleichst du sie sodann mit den Werken, die Christus in den Geheimnissen seines Lebens und ständigen Leidens vollbrachte, und betrachtest du sie ohne Rücksicht auf seine göttliche Person ganz für sich allein und nach der Selbstlosigkeit und Lauterkeit seiner Liebe, mit welcher er sie ausführte, dann siehst du, daß alle deine Werke dagegen geradezu ein reines Nichts sind.

Richtest du endlich deine Gedanken auf das Wesen und die unendliche Majestät deines Gottes und auf die ihm gebührende Verehrung, dann merkst du deutlich, daß dir von allen deinen Werken statt Selbstgefälligkeit nichts anderes als Furcht und Schrecken übrigbleiben. Während deines ganzen Lebens und bei all deinem Tun kannst du nur aus ganzem Herzen zu deinem Herrn beten: „Herr, sei mir armen Sünder gnädig! "Auch warne ich dich, die Gnaden, die Gott dir verliehen hat, leichtsinnig zu offenbaren. Fast immer mißfällt dies deinem Herrn, wie er es deutlich in folgender Unterweisung zu erkennen gibt.

Einmal erschien er einer frommen Seele nur wie ein Geschöpf in der Gestalt eines kleinen Kindes. In aller Einfalt bat sie ihn, den Englischen Gruß zu beten, und sogleich begann er: „Gegrüßet seist du, Maria, du bist voll der Gnaden: Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen" — dann hielt er inne, denn er wollte mit den folgenden Worten sein eigenes Lob nicht aussprechen. Als sie ihn bat fortzufahren, verschwand er und ließ seine Dienerin getröstet zurück, da er ihr durch sein Beispiel diese himmlische Lehre kundgetan hatte.

Lerne also auch du dich zu erniedrigen und mit all deinen Werken als das Nichts zu erkennen, das du in der Tat bist. Das ist das Fundament aller anderen Tugenden.

Gerade wie Gott uns, ehe wir waren, aus dem Nichts erschuf, so will er jetzt, da wir durch ihn sind, auf dieser unserer Erkenntnis von unserem Nichts das ganze Gebäude unseres geistlichen Lebens gründen. Und je tiefer wir dieses Fundament legen, umso höher wird der Bau wachsen. Denn in dem Maße, als wir das Erdgeröll unserer Armseligkeiten ausgraben, umso stärkere und festere Steine wird der göttliche Bauherr einfügen, um den Bau gewaltig aufsteigen zu lassen. Bilde dir nicht ein, du könntest in dieser Selbsterniedrigung jemals zu tief gehen; im Gegenteil: Sei überzeugt, deine Armseligkeit wäre abgrundlos, wenn es an einem Geschöpf etwas Unendliches geben könnte.

Haben wir uns eine solche Erkenntnis angeeignet und handeln wir danach, so besitzen wir alles Gute. Ohne dieselbe sind wir noch weniger als nichts, selbst wenn wir die Werke aller Heiligen zusammen verrichteten und ständig mit Gott beschäftigt wären.

O beseligende Erkenntnis, die uns auf Erden beglückt und im Himmel verherrlicht!

O Licht, das aus der Finsternis aufsteigt und der Seele Schönheit und Glanz verleiht!

O verborgenes Kleinod, das aus dem Unrat unserer Armseligkeiten aufleuchtet!

O erkanntes Nichts, das uns zu Herren der Welt macht!

Nie werde ich müde, von ihm zu dir zu sprechen: Willst du Gott loben, so beschuldige dich selbst und wünsche von anderen beschuldigt zu werden. Willst du Gott in dir und dich in ihm erhöhen, so verdemütige dich vor allen und unter alle. Wünschst du ihn zu finden, dann erhöhe dich nicht; denn sonst flieht er.

Erniedrige und verdemütige dich, soviel du es vermagst; dann wird er kommen, um dich heimzusuchen und zu umarmen.

Umso lieber wird er sich dir nahen und mit umso zärtlicherer Liebe dich umfangen, je geringer du dich in deinen eigenen Augen einschätzt und je mehr du von allen Menschen verachtet und wie das verabscheuungswürdigste Geschöpf verworfen zu werden verlangst.

Eines so großen Gnadengeschenkes, daß dein Gott, der deinetwegen mit Schmach überhäuft wurde, sich mit dir vereinen will, halte dich für unwürdig und vergiß nicht, ihm für diesen Hulderweis oftmals zu danken. Fühle dich auch dem gegenüber zu Dank verpflichtet, der dir Anlaß zur Verdemütigung gegeben, namentlich aber jenen gegenüber, die dich mit Füßen traten oder gar glauben, daß du es nur unwillig und ungern littest. Wäre letzteres der Fall, dann laß es dir äußerlich nicht anmerken. Sollten trotz dieser so wahren und wirksamen Erwägungen die Arglist des Teufels, wie auch unsere eigene Unklugheit und Begierlichkeit dennoch in uns übermächtig sein, daß die Gedanken der Selbstüberhebung nicht aufhören, uns zu beunruhigen und unser Herz zu bestürmen, dann ist es noch mehr an der Zeit, uns in unseren Augen umso tiefer zu verdemütigen, als wir aus der Erfahrung wissen, wie wenig wir auf dem Wege des geistlichen Lebens und in der Selbsterkenntnis vorangeschritten sind, da wir uns von derartigen Belästigungen, die ihre Wurzel in unserem törichten Hochmut haben, nicht frei zu machen imstande sind.

Auf diese Weise werden wir aus dem Gift Honig und aus den Wunden Gesundheit gewinnen.

 


33. Weitere Ratschläge, um die bösen Leidenschaften zu bezwingen und in den Tugenden voranzuschreiten

Soviel ich dir bereits über die Art gesagt habe, wie du dich selbst überwinden und dich mit Tugenden schmücken sollst, so bleibt mir in dieser Beziehung doch noch manches übrig, auf das ich dich aufmerksam machen möchte.

Erstens: Willst du dir wirklich Tugenden aneignen, dann darfst du dich nicht dazu verleiten lassen, die geistlichen Übungen sozusagen nach einem starren Plan auf die einzelnen Tage der Woche zu verteilen, daß du den einen Tag für diese, den anderen für jene Tugend bestimmst.

Die Ordnung im Kampfe und in den Übungen ist vielmehr die, daß du wider jene Leidenschaften, die dir beständig Schaden zufügen und dich immer noch anfallen und schädigen, Krieg führst und dich mit den entgegengesetzten Tugenden in möglichst vollkommenem Grade schmückst.

Hast du dir einmal diese Tugenden erworben, dann wirst du dir auch die übrigen mit Leichtigkeit und ohne viele Übungen schnell aneignen, wenn du die sich darbietenden und nie mangelnden Gelegenheiten gut ausnützest. Die Tugenden sind ja so innig miteinander verkettet, daß, wer eine vollkommen besitzt, auch alle anderen an der Türe des Herzens zum Einzug bereit findet.

Zweitens: Bestimme dir niemals eine Zeit, weder Tage, noch Wochen, noch Jahre für den Erwerb der Tugenden; immer sollst du gleich einem Neugeborenen oder einem neugeworbenen Krieger kämpfen und zur Höhe der Vollkommenheit vorrücken.

Bleibe auch keinen Augenblick stehen, denn wer auf dem Wege der Tugend und der Vollkommenheit innehält, schöpft dadurch keinen neuen Atem und keine neue Kraft, sondern geht rückwärts und wird schwächer als zuvor.

Unter dem Stehenbleiben verstehe ich hier die vorgefaßte Meinung, als hätte man die Tugend bereits vollkommen erworben, infolgedessen man die Gelegenheiten zu neuen Tugendakten und die kleineren Fehler kaum beachtet.

Deshalb sei eifrig und klug darauf bedacht, auch nicht die unbedeutendste Gelegenheit zur Tugend ungenutzt vorübergehen zu lassen.

Ergreife darum gerne jede Gelegenheit zur Tugendübung, namentlich jene, die große Überwindung kostet. Denn jene Akte, die mit mehr Schwierigkeiten verbunden sind, gewähren eine schnellere und tiefer wurzelnde Fertigkeit in der Übung der Tugenden. Wer dir solche Gelegenheiten verschafft, soll dir besonders lieb sein.

Einzig die Gelegenheiten, die in dir Versuchungen zur Sinneslust wecken, sollst du entschieden meiden und möglichst rasch fliehen.

Drittens: Sei vorsichtig und zurückhaltend in bezug auf Tugendübungen, die dem Körper schädlich sein können, wie beispielsweise Kasteiungen durch Geißelungen, Bußgewänder, Fasten, Nachtwachen, überlange Betrachtungen und dergleichen mehr. Damit darf man, wie nachher gesagt wird, nur langsam und mit Maß zu Werke gehen.

Die anderen, durchaus innerlichen Tugenden aber, wie die Liebe zu Gott, Weltverachtung, Selbsterniedrigung, Haß wider die sündhaften Leidenschaften und wider die Sünde, Liebe zur Geduld und Sanftmut, Nächsten- und Feindesliebe soll man sich weder nach und nach aneignen, noch zu ihrer vollen Höhe stufenweise ansteigen, sondern man soll sich bemühen, einen jeden Akt dieser Tugenden sogleich möglichst vollkommen zu vollbringen.

Viertens: Dein ganzes Sinnen, Trachten und Lieben soll auf nichts anderes eingestellt sein als auf den Sieg über die bekämpften Leidenschaften und die Übung der entgegengesetzten Tugenden. Das sei deine einzige Welt: Dein Himmel und deine Erde; das sei dein einziger Schatz und dein Alles, um Gott zu gefallen.

Magst du essen oder fasten, dich abmühen oder ruhen, wachen oder schlafen; magst du zu Hause weilen oder auswärts; magst du der Betrachtung oder der Handarbeit obliegen: Alles sei darauf gerichtet, die bewußte Leidenschaft zu überwinden und zu besiegen und die ihr widerstreitende Tugend zu erlangen.

Fünftens: Sei überhaupt den irdischen Genüssen und Annehmlichkeiten abhold, dann können dich die Laster nur mit geringer Macht angreifen, weil sie alle insgesamt ihre Wurzel in der Sinnlichkeit haben. Ist diese durch unsere Abneigung wider uns selbst unterbunden, verlieren sie auch ihre Stoßkraft und ihren Einfluß.

Wolltest du auf der einen Seite gegen irgendein Laster und eine besondere Leidenschaft Krieg führen und auf der anderen Seite wieder nach den irdischen Genüssen haschen, obwohl sie nicht mit schwerer, aber doch mit leichter Schuld behaftet sind, so würde dein Kampf erbittert und blutig und ein Sieg nur ungewiß und selten sein.

Darum halte die erhabenen, göttlichen Aussprüche stets vor Augen:

„Wer sein Leben liebt, verliert es, und wer sein Leben in dieser Welt haßt, wird es zum ewigen Leben bewahren" (Joh 12,25).

Und: „Brüder, wir sind nicht dem Fleische verpflichtet, um nach dem Fleische zu leben. Denn wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die Werke des Fleisches abtötet, werdet ihr leben" (Rom 8,12-13).

Sechstens bemerke ich noch zum Schluß: Vielleicht wird es gut, ja notwendig sein, wenn du zunächst einmal eine gute Generalbeichte mit all ihren erforderlichen Bedingungen ablegst, um dich der Huld deines Herrn zu versichern, von dem man ja alle Gnaden und den Sieg erwarten muß.

 


34. Nach und nach sind die Tugenden zu erwerben

Obschon der wahre Streiter Christi den Gipfel der Vollkommenheit zu ersteigen trachtet und einem geistlichen Fortschritt keine Grenzen setzen darf, muß er dennoch mit kluger Besonnenheit den Feuereifer seines Geistes in Schranken halten, der zu Anfang gewöhnlich in heller Glut auflodert, dann aber abnimmt und mitten auf dem Wege erlischt.

Abgesehen von dem, was vorhin bereits über die Mäßigung bei den äußeren Tugendübungen gesagt wurde, mußt du dir merken, daß auch die inneren Tugenden nur nach und nach und stufenweise zu erwerben sind. Auf diese Weise wird dann auch das Kleine rasch groß und dauerhaft.

Für gewöhnlich soll man sich beispielsweise nicht gleich in Widerwärtigkeiten üben und erfreuen wollen, noch sie herbeiwünschen, bevor man nicht die niederen Grade der Tugend der Geduld durchlaufen hat.

Ebenso rate ich dir, nicht allen oder mehreren Tugenden auf einmal, sondern zunächst nur einer und darauf einer anderen deine Hauptaufmerksamkeit zu schenken. So wird der Seele die Fertigkeit darin viel leichter und tiefer eingepflanzt, da das Gedächtnis sich ihrer bei allen Gelegenheiten infolge der beständigen Übung in einer Tugend besser erinnert; der Verstand wird geschärft und findet dadurch immer neue Anlässe und Beweggründe zu ihrer Erwerbung und der Wille gibt sich ihr mit mehr Neigung und Wärme hin, als wenn man sich mehreren Tugenden zugleich widmen wollte.

Durch die Übereinstimmung, mit der die inneren Akte nur auf eine Tugend hinzielen, sind diese auch bei ihrer gleichförmigen Übung mit weniger Anstrengung verbunden, da der eine Tugendakt den anderen ihm ähnlichen anlockt und unterstützt. Auch machen sie durch ihr gemeinsames Vorgehen einen stärkeren Eindruck auf unser Herz, weil sie dessen Grund zur Aufnahme schon bereitet und zu neuen Übungen, die den früheren ähnlich sind, geneigt finden.

Diese Beweise werden durch die anerkannte Tatsache noch verstärkt, daß jeder, der sich in einer einzigen Tugend gründlich übt, hierdurch sich auch in einer anderen zu üben lernt. Auf diese Weise wachsen mit der einen Tugend zugleich alle anderen und zwar infolge ihrer engen Verwandtschaft als gemeinsame Strahlen aus einem und demselben göttlichen Lichte.

 


35. Von den Mitteln zur Erlangung der Tugend und ihrem zeitweisen Gebrauch zur Erwerbung einer einzigen Tugend

Zur Erwerbung der Tugenden bedarf es außerdem noch eines hochgesinnten und weiten Herzens und keines schwächlichen und feigen, sondern eines energischen und entschiedenen Willens, der von der festen Überzeugung getragen ist, durch viele Widerwärtigkeiten und Härten vorangehen zu müssen.

Weiter muß man eine ausgeprägte Neigung und Vorliebe für die Tugenden hegen, um sie erlangen zu können. Deshalb erwäge öfters, in welch hohem Maße sie Gott wohlgefällig und wie vortrefflich und ausgezeichnet und für uns so nützlich und notwendig sie sind, da alle Vollkommenheit in ihnen ihren Anfang und ihr Ende nimmt.

An jedem Morgen erwecke den festen Vorsatz, die Gelegenheiten, wie sie sich während des Tages jeweils bieten werden, zur Übung in den Tugenden zu benützen. Im Verlaufe des Tages sollen wir uns erforschen, ob wir den Vorsatz ausführten oder nicht, um ihn dann wieder nachdrücklicher zu erneuern. Dabei berücksichtige man aber vor allem jene Tugend, deren Übung man sich besonders vorgenommen hat.

Ebenso sollen wir die Beispiele der Heiligen, unsere Gebete und Betrachtungen über das Leben Jesu, die zum Fortschritt im geistlichen Leben so ungemein notwendig sind, mit jener Tugend in Beziehung bringen, in der wir uns gerade zu bewähren suchen. Überhaupt müssen wir dies bei allen Anlässen — wie wir es nachher im einzelnen zeigen werden — in die Tat umsetzen, so verschieden dieselben auch untereinander sein mögen.

Sorgen wir dafür, daß die inneren und äußeren Tugendakte uns zur Gewohnheit werden, damit wir sie mit der gleichen Schnelligkeit und Leichtigkeit zu setzen imstande sind, wie wir früher unseren natürlichen Neigungen entsprechend handelten. Und je mehr sie diesen widersprechen, umso schneller wird — wie wir an anderer Stelle (Kap. 33) gesagt haben — die gute Gewohnheit Eingang in unsere Seele finden.

Die erhabenen Worte der Heiligen Schrift haben — mag man sie mit dem Munde aussprechen oder nur in Gedanken wohl erwägen — eine wunderbare Kraft, uns bei der Tugendübung zu helfen. Darum sollen wir immer mit einer Anzahl solcher Stellen, die auf die Tugend, in der wir uns gerade üben, Bezug nehmen, gerüstet sein und sie während des Tages besonders beim Erwachen der widerstreitenden Leidenschaft öfters wiederholen. So können wir uns, wenn wir uns zum Beispiel um die Erlangung der Geduld bemühen, folgender oder ähnlicher Aussprüche bedienen:

„Kinder, ertraget geduldig den Zorn, welcher über euch gekommen ist" (Bar 4, 25).

„Die Geduld der Bedrängten wird nicht auf immer verloren sein" (Ps 9,19).

„Besser ist ein Langmütiger als ein Starker, und wer sein Herz beherrscht, besser als ein Städteeroberer" (Spr 16, 32).

„In eurer Geduld werdet ihr eure Seele besitzen" (Lk 21,19).

„Lasset uns mit geduldiger Ausdauer den uns obliegenden Wettkampf laufen" (Hebr 12,1).

Zum gleichen Zwecke können wir auch folgende oder ähnliche kurze Gebete aussprechen:

„Wann, o mein Gott, wird mein Herz mit dem Schild der Geduld gerüstet sein?"

„Wann werde ich, um meinen Herrn zufriedenzustellen, jede Trübsal mit ruhigem Gemüt erdulden?"

„O überaus glückliche Leiden, die mich meinem für mich leidenden Herrn Jesus ähnlich machen!"

„O einziges Leben meiner Seele, wann werde ich zu deiner Ehre unter tausend Kümmernissen zufrieden sein?"

„O ich Glückseliger, wenn ich inmitten der Trübsale vor Sehnsucht brennen würde, noch mehr zu dulden!"

Solche und ähnliche kurze Gebete, wie sie der Geist der Andacht uns eingibt, sollen wir unserem Fortschritt in der Tugend entsprechend gebrauchen.

Man nennt sie Stoß- oder Schußgebete, weil wir sie gleichsam wie Wurfgeschosse oder Pfeile gen Himmel schleudern. Sie besitzen eine gewaltige Kraft zum eifrigen Voranschreiten in der Tugend und dringen bis ins Herz Gottes, wenn sie von zwei Flügeln getragen sind.

Der eine ist die sichere Überzeugung, daß Gott mit unserer Übung in der Tugend zufrieden ist; und der andere ist das aufrichtige und heiße Verlangen nach der Tugend, einzig, um seiner göttlichen Majestät zu gefallen.

 


36. Von der Übung und dem steten Fortschritt in der Tugend

Eines der wichtigsten und notwendigsten Mittel zur Erlangung der Tugend ist neben den oben angegebenen auch das eine, daß wir, um unser vorgestecktes Ziel zu erreichen, ohne Unterlaß beständig voranschreiten müssen; denn andernfalls: Wer stehen bleibt, geht schon rückwärts.

Sobald wir einmal mit den Tugendakten aufhören, kommen in uns infolge des starken Triebes unserer sinnlichen Begehrlichkeit und anderer äußerer Einflüsse eine Menge ungeordneter Leidenschaften zum Vorschein, welche die Tugend vernichten oder wenigstens sehr vermindern. Überdies werden wir noch vieler Gnaden und Gaben beraubt, die wir bei weiterem Fortschreiten vom Herrn wohl hätten erlangen können.

Zwischen dem Weg zur Vollkommenheit und dem gewöhnlichen Weg eines Reisenden über Land besteht der Unterschied, daß man auf dem letzteren durch eine Rast nichts von der bereits zurückgelegten Strecke verliert, wohl aber auf dem ersten Weg. Außerdem nimmt beim irdischen Wanderer die Müdigkeit durch die Fortdauer der körperlichen Bewegung ständig zu, während man auf dem geistlichen Wege immer mehr Kraft und Frische gewinnt, je weiter man auf ihm voranschreitet.

Durch die Übung in der Tugend werden die sinnlichen Triebe, durch deren Widerstreit der Pfad so rauh und mühsam war, beständig schwächer; der Geist, in welchem die Tugend ihren Sitz hat, wird hingegen immer gefestigter und stärker.

Mit dem Fortschritt im Guten vermindert sich die zu Anfang empfundene Mühe, während ein gewisses stilles Glücksgefühl, das unter göttlichem Einfluß die Mühsal verwandelt, in demselben Maße wächst.

Und so schreitet man müheloser und freudiger immer weiter voran von Tugend zu Tugend und gelangt endlich auf dem Gipfel des Berges an, wo die vollendete Seele nicht mehr widerwillig, sondern mit Wonne und Jubel dient. Die ungeordneten Leidenschaften sind besiegt und gebändigt. Über alle Kreatur und sich selbst erhoben, weilt sie am Herzen des Allerhöchsten und genießt trotz aller Mühe eine sanfte Ruhe.

 


37. Gelegenheiten zur Erlangung der Tugenden soll man nicht vorübergehen lassen

Wir haben nun zur Genüge gesehen, daß wir im Streben nach Vollkommenheit immer voranschreiten müssen und nicht mehr rasten dürfen.

Wachen wir daher sorgfältig darüber, daß uns auch zur Erlangung der Tugenden keine Gelegenheit, die sich uns bietet, entgeht.

Darum handeln jene nicht richtig, die sich den Widerwärtigkeiten, die zu diesem Zwecke dienen können, möglichst zu entziehen suchen. Wünschst du — um bei unserem Beispiel zu bleiben — die Tugend der Geduld zu erwerben, dann tust du nicht gut daran, wenn du dich von solchen Personen, Verrichtungen oder Plänen, die dich zur Ungeduld reizen, fernhältst.

Aus diesem Grunde darfst du keinen Verkehr meiden, weil er dir lästig ist. Vielmehr pflege den Umgang auch mit solchen, die dir Verdruß und Langeweile verursachen, und halte dich stets bereit, alles Ärgerliche und Unangenehme, das dir begegnen könnte, bereitwillig zu ertragen, sonst wirst du dich niemals an die Geduld gewöhnen.

Ist dir eine Arbeit ihrer selbst oder des Auftraggebers wegen unangenehm, oder weil sie dich von angenehmeren Beschäftigungen abhält, dann unterlasse sie trotzdem nicht! Fange sie nur an und setze sie fort, solltest du dich auch beunruhigt fühlen und durch ihre Unterlassung Ruhe finden können. Du würdest ja sonst niemals leiden lernen und deine Ruhe wäre doch keine echte, weil sie nicht aus einem von der Leidenschaft geläuterten und mit Tugenden geschmückten Herzen käme.

Dasselbe sage ich auch von lästigen Vorstellungen, die dein Gemüt bisweilen peinigen und verwirren. Du darfst sie nicht ganz von dir weisen, denn die Qual, die sie dir verursachen, dient dazu, dich zur Geduld in Widerwärtigkeiten zu erziehen.

Wer etwas anderes behauptet, der lehrt dich wohl mehr, der Mühsal aus dem Wege zu gehen, als die ersehnte Tugend zu gewinnen. Allerdings muß sich vor allem ein unerfahrener Kämpfer bei den erwähnten Gelegenheiten mit Vorsicht und Klugheit zurückhalten und schützen, indem er einmal beherzt vorgeht und dann wieder geschickt ausweicht, je nachdem er sich eine größere oder geringere Tugend und Geisteskraft erworben hat.

Niemals aber darf man ihnen ganz den Rücken kehren und sich derart vor ihnen zurückziehen, daß man jede unangenehme und widerwärtige Gelegenheit flieht. Wohl würden wir uns für den Augenblick vor der Gefahr eines Falles bewahren, doch später wären wir einer größeren Gefahr zur Sünde der Ungeduld ausgesetzt, weil wir uns nicht früher durch die Übung der entgegengesetzten Tugend gerüstet und gestärkt haben.

 


38. Alle Gelegenheiten zum Kampf um die Tugenden soll man liebgewinnen

Ich bin noch nicht zufrieden, daß du zur Erwerbung der Tugenden die sich darbietenden Gelegenheiten nicht meidest; ich will vielmehr, daß du sie als überaus wichtige Ereignisse hochschätzt, gerne suchst und mit Freuden umfängst, sobald sie sich zeigen. Und gerade die sollen dir die kostbarsten und liebsten sein, die deinem Empfinden am meisten widerstreben.

Das wird dir mit Gottes Hilfe nicht schwerfallen, wenn du deinem Herzen folgende Erwägungen tief einprägst:

Erstens: Die Gelegenheiten sind angemessene, ja notwendige Mittel zur Erwerbung der Tugenden. Wenn du daher zum Herrn um diese betest, bittest du folgerichtig auch um jene, denn in der Regel schenkt er die Geduld nicht ohne Trübsal und die Demut nicht ohne Verachtung.

Dasselbe muß man von allen anderen Tugenden behaupten, die man zweifellos nur auf dem Wege der Widerwärtigkeiten erlangt, welche uns umso mehr zu diesem Zweck verhelfen und die uns umso lieber und willkommener sein sollen, je mühseliger sie für uns sind. Die Tugendakte sind in solchen Fällen viel hochherziger und stärker und bahnen uns viel schneller und leichter den Weg zur Tugend.

Dabei dürfen wir aber auch die unbedeutendsten Gelegenheiten, wie beispielsweise einen unfreundlichen Blick oder ein liebloses Wort, nicht gering einschätzen und unbenutzt vorübergehen lassen, denn dafür sind dann die Tugendakte viel häufiger, wenn sie auch nicht so kräftig ausfallen, als jene, die wir bei größeren Schwierigkeiten setzen.

Die zweite Erwägung, die ich bereits vorhin streifte, ist: Alles, was uns begegnet, kommt von Gott, und zwar zu unserem Besten und Nutzen, den wir daraus ziehen sollen. Freilich gibt es (wie gesagt) darunter manches, wie zum Beispiel unsere Fehler und die der anderen, von denen man nicht behaupten kann, daß sie von Gott, der die Sünde nicht will, herrühren. Dennoch sind sie im gewissen Sinne von Gott, insofern er sie zuläßt und nicht verhindert, obwohl er sie verhindern könnte.

Alle Mühsal und Pein, die uns entweder als Folge unserer Sünden oder durch die Bosheit der Menschen zustoßen, sind jedoch von Gott und aus Gott, insoweit er bei ihnen mitwirkt. Das in seinen allerreinsten Augen so Häßliche und Sündhafte, das damit verbunden ist und nach seinem Willen nicht eintreten sollte, will Gott nur, damit wir es auf uns nehmen und geduldig erleiden, einmal wegen des Nutzens, den wir aus der Tugendübung ziehen, und dann aus anderen gerechten, aber uns verborgenen Gründen.

Da wir nun den Willen Gottes genau kennen, daß wir jede Drangsal, die uns von Seiten der Menschen oder auch um unserer eigenen Sünden willen widerfährt, mit Ergebung dulden, so ist das Gerede, das viele zur Entschuldigung ihrer Ungeduld führen, nichts anderes als ein nichtiger Vorwand, um die eigene Schuld zu verdecken und das Kreuz, das wir nach dem Willen Gottes unleugbar tragen sollen, abzulehnen.

Aber noch mehr behaupte ich: Unter gleichen Umständen ist es dem Herrn viel lieber, wenn wir das Unrecht vonseiten der Menschen, namentlich von jenen, denen wir früher Dienste und Wohltaten erwiesen haben, ertragen, als die Unbilden, welche uns von anderen widrigen Zufällen widerfahren. Dadurch wird unser natürlicher Hochmut mehr als sonst im Keime erstickt und Gott durch unser freiwilliges Dulden in höchstem Maße erfreut und verherrlicht, weil wir hier bei einem Vorfall mitwirken, aus dem seine unaussprechliche Güte und Allmacht in hellstem Glänze hervorleuchtet, daß wir nämlich aus dem verderblichen Gift der Bosheit und der Sünde die köstliche und süße Frucht der Tugend und Vollkommenheit gewinnen.

Merke dir also, christliche Seele: Sobald der Herr das lebhafte Verlangen nach Fortschritt und das ernste und pflichtschuldige Streben nach dem Besitz eines so kostbaren Gutes in uns wahrnimmt, bereitet er den Kelch ungemein heftiger Anfechtungen und der schlimmsten Versuchungen, die es gibt, den wir dann gelegentlich trinken müssen. Und im Gedenken an seine Liebe und an unser eigenes Wohl sollen wir ihn mit geschlossenen Augen ergreifen und unbesorgt und bereitwillig bis zum letzten Tropfen leeren; denn die Arznei ist von einer Hand, die niemals einen Fehlgriff machen kann, mit Zutaten gemischt, die der Seele umso heilsamer sind, je bitterer sie schmecken.

 


39. Wie wir uns bei verschiedenen Anlässen in derselben Tugend üben sollen

Vorhin haben wir gesehen, daß es nützlicher ist, sich eine Zeitlang nur in einer einzigen Tugend zu üben als in mehreren zugleich, und daß wir ferner alle sich bietenden Gelegenheiten nützen sollen, wenn sie auch untereinander sehr verschieden sind. Nun gib einmal acht, wie leicht du dies ausführen kannst.

Es kann sich an einem Tag, selbst in der nämlichen Stunde ereignen, daß wir wegen einer ganz einwandfreien Handlung zurechtgewiesen werden oder daß von anderen wider uns gemurrt wird; daß uns eine Gefälligkeit oder eine andere Kleinigkeit mit unhöflichen Worten abgeschlagen wird; daß ein häßlicher Verdacht ohne Grund wider uns aufkommt; daß uns irgendein körperlicher Schmerz befällt oder uns ein unangenehmer Auftrag gegeben wird; daß uns eine mangelhaft zubereitete Speise vorgesetzt wird oder uns schlimmere und schwerer zu ertragende Dinge begegnen, von welchen das armselige Menschenleben eben ausgefüllt ist.

Obschon man bei der Vielheit dieser oder ähnlicher Vorkommnisse verschiedene Tugendakte setzen kann, wollen wir uns nichtsdestoweniger an die angegebene Regel halten und nur durch solche Tugendakte fortschreiten, die der Tugend entsprechen, deren Übung wir uns zur Zeit vorgenommen haben.

Ertüchtigen wir uns zum Beispiel zur Zeit, in der sich die aufgezählten Ereignisse abspielen, in der Geduld, dann werden wir uns bemühen, alles mit willigem und heiterem Gemüt auf uns zu nehmen.

Ist es die Demut, so wollen wir bei all diesen Widerwärtigkeiten nicht vergessen, daß wir jedes Übel verdienen.

Ist es der Gehorsam, dann beugen wir uns bereitwillig der Hand des allmächtigen Gottes und um seines Wohlgefallens willen — weil er es verlangt — auch jeder vernünftigen, ja selbst der unbeseelten Kreatur, von deren Seite uns die Widerwärtigkeiten zustoßen.

Ist es die Armut, so geben wir uns zufrieden, allen irdischen Trostes, des großen wie kleinen, gänzlich entblößt und beraubt zu sein. Ist es die Liebe, dann erwecken wir Akte der Liebe gegen den Nächsten als Werkzeug des Nutzens, den wir erlangen können, und gegen Gott als den eigentlichen und liebreichen Urheber, von dem alles Unangenehme zu unserer Prüfung und zu unserem geistlichen Fortschritt ausgeht und zugelassen wird.

Aus all dem, was über die verschiedenen Vorfälle, die uns jeden Tag begegnen können, gesagt wurde, sieht man, wie wir schon bei einer einzigen Gelegenheit, zum Beispiel in einer längeren Krankheit oder einer anderen Not, beständig Akte jener Tugend erwecken können, in der wir gerade fortschreiten wollen.

 


40. Von der Zeit der Tugendübungen und den Anzeichen des Fortschrittes

Die Dauer der Zeit zu bestimmen, die wir zur Übung in den verschiedenen Tugenden verwenden sollen, kann nicht meine Sache sein, da eine solche Festlegung sich nach der Beschaffenheit und dem Bedürfnis des einzelnen, dem Fortschritt auf dem Wege des geistlichen Lebens und dem Urteil des Seelenführers zu richten hat.

Geht man, wie gesagt, dabei planmäßig und mit Eifer zu Werke, so unterliegt es keinem Zweifel, daß man schon in wenigen Wochen große Fortschritte machen wird.

Ein Zeichen für die Fortschritte, die man in der Tugend bereits gemacht hat, ist, daß man trotz geistiger Trockenheit, Dunkelheit, Seelennot und mangels allen Trostes unbeirrt und unablässig in den Tugendübungen fortfährt. Ebenso ist auch die Stärke (bzw. die Schwäche) des Widerstandes, den die Sinnlichkeit den Tugendakten entgegensetzt, ein klarer Beweis dafür. Denn in demselben Maße, als diese an Kraft verliert, dürfen wir annehmen, daß wir vorangeschritten sind. Empfindet man namentlich bei plötzlichen und unvorhergesehenen Anfechtungen in den sinnlichen und niederen Trieben keinen Widerstreit und Aufruhr, so zeigt dies deutlich, daß wir die Tugend erworben haben.

Je größer die Bereitwilligkeit und Geistesfreude sind, die unsere Tugendakte begleiten, umso mehr können wir der Überzeugung sein, daß wir in unserer Tugend wirkliche Fortschritte zu verzeichnen haben.

Merke dir aber noch das eine: Wir dürfen uns keineswegs der Meinung hingeben, wir seien tatsächlich im vollen Besitz einer Tugend oder wir seien Sieger über eine unserer Leidenschaften, wenn wir nach längerer Zeit und nach vielen Kämpfen keine Regung der Sinnlichkeit mehr verspüren. Dabei können die Arglist und der Einfluß des bösen Feindes und unser trügerisches Naturell die Hand im Spiele haben, so daß wir einen Fehler in unserem geheimen Hochmut noch für eine Tugend ansehen.

Trachten wir übrigens nach jener Vollkommenheit, zu welcher Gott der Herr uns beruft, dann werden wir uns nie einbilden, auch nur die ersten Grenzsteine auf dem Weg der Tugend überschritten zu haben, sollten wir auch schon lange auf ihm gewandert sein.

Ja, gleich einem neugeworbenen Krieger, der soeben seine Ausbildung zum Kampfe erhielt, fang immer wieder von neuem deine Übungen an, gerade als ob du dich bisher noch nicht ertüchtigt hättest.

Außerdem erinnere ich dich daran, daß du mehr auf dein Vorankommen in der Tugend bedacht bist, als daß du deinem schon erreichten Fortschritt nachforschst; denn Gott der Herr, der eigentliche und alleinige Erforscher unserer Herzen, gibt ihn den einen zu erkennen, den anderen wieder nicht, je nach der Wahrnehmung, ob diese Kenntnis zur Demut oder zum Hochmut führt, und als liebevoller Vater nimmt er den einen die Gefahr hinweg und bietet sie anderen als eine Gelegenheit zum Wachstum in der Tugend an.

Bemerkt die Seele auch gar keinen Fortschritt, so soll sie trotzdem in ihrer Tugendübung nicht nachlassen; sie wird ihn einmal wahrnehmen, wenn es der Herr für gut findet, ihn zu ihrer größeren Vervollkommnung erkennen zu lassen.

 


41. Dem Verlangen nach Befreiung von Widerwärtigkeiten soll man nicht nachgeben — Von der Beherrschung unserer Wünsche

Bist du in einer unangenehmen Lage, die du mit herzhafter Geduld erträgst, dann hüte dich, dir vom bösen Feind oder deiner Eigenliebe den Wunsch einflößen zu lassen, aus ihr befreit zu werden; denn es würden dir daraus zwei nicht geringe Nachteile erwachsen.

Erstens würde das Verlangen die Tugend der Geduld freilich nicht vollständig in dir vernichten, dich aber nach und nach zur Ungeduld verführen.

Zweitens würde deine Geduld mit Mängeln behaftet und von Gott nur für die Zeit belohnt werden, während welcher du durchgehalten hast. Hättest du aber dem Wunsch nach Befreiung nicht nachgegeben und dich rückhaltlos der göttlichen Güte überlassen, dann würde der Herr dein Leiden als einen Dienst von ganz langer Dauer vergelten, selbst wenn es nur eine Stunde oder noch weniger gedauert hätte.

Mache es dir daher zur steten Regel, deine Wünsche überhaupt von allem frei zu halten und einzig und allein auf ihr wahres und eigentliches Ziel, den Willen Gottes, einzustellen. Auf diese Weise werden sie gut und tugendhaft, und du wirst in allen Widerwärtigkeiten stets gelassen und auch zufrieden sein, weil nichts ohne den Willen Gottes geschehen kann. Und da du nach diesem verlangst, willst und hast du ja damit zugleich alles, was du wünschst und was dir zu jeder Zeit glückt.

Dies findet allerdings auf die Sünden der Menschen und deine Sünden keine Anwendung, weil Gott sie nicht will. Wohl aber gilt es von jedem Übel, das aus einer Strafe oder anderswoher stammt, mag es noch so gewaltsam wühlen und tief dringen, daß es das Herz in seinen Tiefen trifft und die Wurzeln des natürlichen Lebens gefährdet. Aber auch das ist nur ein Kreuz, mit dem Gott seine vertrautesten und teuersten Freunde zuweilen zu begnadigen liebt.

Was ich über die Geduld, die wir in allen Fällen üben sollen, sagte, wende auch auf jenen Teil jeder Drangsal an, der zurückbleibt und den wir ebenfalls zur Ehre Gottes ertragen sollen, nachdem wir uns der erlaubten Mittel bedient haben, um uns davon frei zu machen.

 


42. Vom Widerstand gegen den bösen Feind, der uns zu Übertreibungen zu verleiten sucht

Sieht der böse Feind, daß wir mit lebhaftem Verlangen und beherrschten Wünschen schlicht und einfach auf dem Weg der Tugend sind und daß er uns mit offener Hinterlist nicht auf seinen Pfad locken kann, dann verwandelt er sich in einen Engel des Lichtes und drängt uns dauernd mit freundlichen Vorstellungen, Aussprüchen der Heiligen Schrift und Beispielen der Heiligen, auf unvernünftige Weise den Gipfel der Vollkommenheit zu ersteigen, um uns so ins Verderben zu stürzen. Deshalb stachelt er uns an, unseren Leib durch Bußgürtel, Fasten, Geißelungen und dergleichen harte Abtötungen zu kasteien, damit wir hochmütig meinen, Großartiges zu leisten. Weiter beabsichtigt er, daß wir uns dadurch eine Krankheit zuziehen und infolgedessen unfähig zu frommen Übungen werden oder daß uns die geistlichen Übungen wegen gar zu großer Mühe und Anstrengung zum Ekel werden und wir, auf diese Weise im Guten lau geworden, mit größerer Begierde als zuvor den irdischen Genüssen und Vergnügen nachlaufen.

Das ist schon vielen begegnet, die, in geistiger Vermessenheit dem drängenden Verlangen eines unbesonnenen Eifers folgend, durch unsinnige äußere Abtötungen das Maß überschritten und so in ihrem Wahn zugrunde gingen und zum Gespött der boshaften Teufel wurden. Es wäre ihnen sicherlich nicht widerfahren, wenn sie das Gesagte wohl überlegt und bedacht hätten, daß solche Kasteiungen nur bei entsprechenden körperlichen Kräften und Geistesdemut lobenswert und nützlich sind und stets der Veranlagung und Natur des einzelnen angemessen sein müssen.

Wer in dieser strengen Lebensweise den Heiligen nicht nachfolgen kann, dem mangelt es nicht an Gelegenheiten, ihr Leben nachzuahmen, wenn er mit starkem und tatkräftigem Verlangen nach der überaus ruhmreichen Krone der wahren Kämpfer Jesu Christi strebt, indem er die ganze Welt und sich selbst geringschätzt; das Stillschweigen und die Einsamkeit liebt; Böses erduldet und seinem schlimmsten Widersacher Gutes erweist; die Sünde sorgfältig meidet, was Gott mehr gefällt als alle körperlichen Bußübungen.

Hinsichtlich der letzteren gebe ich dir den Rat, sie nur mit klugem Maß zu verwenden, damit du sie immer nach Wunsch vermehren kannst und nicht infolge gewisser Übertreibungen gezwungen wirst, sie schließlich ganz aufzugeben.

Ich glaube ja nicht, daß du in denselben Fehler mancher, sonst als fromm angesehener Leute fällst, die, durch die Schmeichelei der Natur verlockt und genarrt, allzu eifrig um die Erhaltung ihrer körperlichen Gesundheit besorgt sind. Argwöhnisch und ängstlich schweben sie schon bei einer Kleinigkeit in beständiger Unsicherheit und Furcht, sie verlieren zu können; und an nichts denken und von nichts reden sie lieber als von ihrer Lebensweise und ihren Kuren. Stets sind sie darauf bedacht, sich solche Speisen zu verschaffen, die ihrem Geschmack und Magen zusagen, der dann infolge der überflüssigen Verweichlichung geschwächt wird.

Während man unter dem Vorwand, Gott besser dienen zu können, so handelt, will man im Grunde genommen doch nur die beiden Hauptfeinde, die Seele und den Leib, miteinander versöhnen, was keinem zum Vorteil, wohl aber dem einen wie dem anderen zum Schaden gereicht, da man durch eine derartig ängstliche Sorge den Leib um seine Gesundheit und die Seele um ihre Gottverbundenheit bringt.

Deshalb ist eine abgehärtete Lebensweise auf jeden Fall besser und nützlicher. Nur darf sie nicht der oben besprochenen Mäßigkeit entbehren, die auf die verschiedenartigen Umstände und die Leibesbeschaffenheit des einzelnen Rücksicht nimmt, welche ja keiner bestimmten Regel unterworfen sind.

Ich füge noch hinzu, daß wir nicht bloß bei unseren äußeren Verrichtungen mit Maß vorgehen müssen, sondern auch beim Erwerb der inneren Tugenden Mäßigkeit bewahren sollen, die ja, wie oben gesagt wurde, von Stufe zu Stufe gewonnen werden.

 


43. Von den Ursachen des freventlichen Urteils und vom Widerstand dagegen

Aus dem früher behandelten Laster der Selbstüberhebung und Selbstgefälligkeit entspringt ein anderes, das uns den größten Schaden zufügt, nämlich das freventliche Urteil, welches wir über den Nächsten fällen, infolgedessen wir ihn gering einschätzen, verachten und ihn seiner Ehre berauben.

So wie dieser Fehler aus dem Hang zum Bösen und dem Hochmut hervorgeht, wird er auch von ihnen genährt und großgezogen, da er durch die unbemerkte Schmeichelei und Irreführung zugleich mit ihnen wächst. Je höher wir uns in unserer Selbstgefälligkeit erheben, umso tiefer schrauben wir unsere gute Meinung vom Nächsten herab, in der Annahme, weit von jenen Unvollkommenheiten entfernt zu sein, die wir bei anderen so gerne als Tatsache vermuten.

Der arglistige Teufel durchschaut aber unsere überaus traurige Seelenverfassung und bemüht sich unermüdlich, unsere Augen zu schärfen und offen zu halten, damit wir umso wachsamer die Fehler des Nächsten beobachten, untersuchen und vergrößern. In unserer Fahrlässigkeit glauben und erkennen wir nicht, wie eifrig er sich anstrengt und bestrebt ist, auch die kleinen Gebrechen von diesem und jenem unserem Gedächtnis einzuprägen, wenn er keine großen entdecken kann.

Da er nun so ruhelos auf deinen Schaden hinarbeitet: Siehe zu, daß du nicht in seine Schlinge gerätst. Sobald er dir irgendeinen Fehltritt deines Nächsten vorhält, kehre deine Gedanken ohne Zögern davon ab; und fühlst du dennoch in dir den Drang, ein Urteil darüber zu fällen: Laß dich nicht dazu verleiten und bedenke, daß es nicht deine Sache ist und du kein Recht dazu besitzt. Und hättest du es auch, so wärst du dennoch nicht in der Lage, dir ein gerechtes Urteil zu bilden, weil du selbst von tausend Leidenschaften umgarnt bist und zu stark dazu neigst, ohne triftigen Grund Böses von anderen zu denken.

Als wirksamstes Gegenmittel empfehle ich dir, dich in Gedanken mehr mit den Anliegen und Nöten deines Herzens zu beschäftigen, dann wirst du immer klarer einsehen, daß du in und mit dir übergenug zu tun und zu arbeiten hast und dir keine Zeit noch Lust übrigbleiben, dich um die Angelegenheiten des Nächsten zu kümmern.

Widmest du dich, wie es sich gehört, mit allem Eifer dieser Arbeit, dann wirst du die schlimmen Anlagen deines Seelenauges immer mehr läutern, aus denen jenes verderbliche Laster hervorgeht.

Sei überzeugt: Denkst du ohne Grund etwas Böses von deinem Bruder, dann steckt eine Wurzel des nämlichen Übels auch in deinem Herzen, das, seiner üblen Verfassung entsprechend, alles Verwandte, das ihm begegnet, in sich aufnimmt.

Kommt es dir in den Sinn, andere wegen eines Fehlers zu verurteilen, richte deine Entrüstung wider dich selbst und, als wärst du mit derselben Schuld behaftet, sprich in deinem Herzen: „Wie sollte ich, Armseliger, der ich in dieselben und in schwerere Sünden verstrickt bin, es wagen, mein Haupt zu erheben, um die Fehler des Nächsten zu beobachten und zu richten?" — Und auf diese Weise werden die Waffen, die gegen andere gerichtet waren und dir Wunden geschlagen hätten, deine Wunden heilen, wenn du sie wider dich selbst wendest.

Ist aber der begangene Fehler deines Nächsten unzweifelhaft und offenkundig, so entschuldige ihn in liebevollem Mitleid und vergiß nicht, daß in deinem Bruder noch Tugenden verborgen sind, zu deren Schutz der Herr seinen Fall zugelassen hat, damit er, zeitweise in diesen Fehlern verstrickt, sich in seinen Augen geringer einschätze und durch die Verachtung der anderen Menschen den Segen der Verdemütigung erlange, sich Gott wohlgefälliger und seinen Gewinn größer mache, als sein Verlust gewesen war.

Ist die Sünde aber nicht nur offenkundig, sondern auch bedeutend und kommt sie aus verhärtetem Herzen, dann eile in Gedanken zu Gottes staunenswerten Gerichten, wo du Menschen erblickst, die früher arge Bösewichte waren und nachher einen hohen Grad der Heiligkeit erlangten, und andere dagegen, die von der Höhe der erhabensten Vollkommenheit, die sie erreicht zu haben schienen, in das elendste Verderben hinabstürzten.

Fürchte und zittere mehr deinetwegen als um eines anderen willen; und sei fest überzeugt, daß alles Gute und Erfreuliche, was du über deinen Nächsten denkst, Wirkung des Heiligen Geistes ist und alle Verachtung, freventliches Urteil und Erbitterung wider ihn aus unserer eigenen Bosheit und von der Einflüsterung des bösen Feindes kommen.

Hätte irgendeine Unvollkommenheit des Nächsten einen unrechten Eindruck auf dich gemacht, dann ruhe nicht eher und gönne deinen Augen keinen Schlaf, bis du ihn mit Gewalt aus dem Herzen ausgemerzt hast.

 


44. Vom Gebet

Wie notwendig das Mißtrauen gegen sich selbst, das Vertrauen auf Gott und die Übung in diesem Kampfe sind, wurde bisher dargelegt. Aber viel notwendiger ist das Gebet — die vierte oben angegebene Kunst und Waffe —, womit wir nicht nur die genannten Fertigkeiten, sondern auch alles andere Gute von unserem Herrgott erlangen können.

Das Gebet ist nämlich das Werkzeug, um alle Gnaden zu erlangen, die aus der Quelle der göttlichen Güte und Liebe auf uns herabfließen.

Durch das Gebet wirst du — wenn du dich seiner wohl zu bedienen weißt — Gott das Schwert in die Hand drücken, mit dem er für dich kämpft und siegt.

Um sich seiner aber mit Nutzen bedienen zu können, mußt du dich gewöhnen und bemühen, folgende Fertigkeiten zu besitzen:

Erstens sollst du beständig von einem lebhaften Verlangen durchdrungen sein, der göttlichen Majestät in allem und so, wie es ihr am wohlgefälligsten ist, zu dienen.

Um dieses Verlangen anzufachen, beherzige wohl: daß Gott um seiner überaus bewundernswerten Erhabenheit, Güte, Majestät, Weisheit, Schönheit willen und wegen seiner anderen unendlichen Vollkommenheiten jeden Dienstes und aller Ehre unaussprechlich würdig ist; daß er selbst, um dir zu dienen, dreiunddreißig Jahre litt und sich abmühte und deine häßlichen, durch die Bosheit der Sünde vergifteten Wunden nicht mit Öl, Wein und Leinwandfetzen behandelte und heilte, sondern mit dem kostbaren Naß, das aus seinen heiligen Adern und seinem reinsten, von Geißeln, Dornen und Nägeln zerrissenen Fleische geflossen ist. Überdies bedenke, wie überaus nutzbringend dieser Dienst ist, daß wir Herr über uns selbst, Sieger über den bösen Feind und Kinder Gottes selber werden.

Zweitens: Sei auch von einem lebendigen Glauben und Vertrauen beseelt, daß der Herr dir alles zu seinem Dienste und zu deinem Wohle Erforderliche zu geben bereit ist.

Dieses gottgefällige Vertrauen ist das Gefäß, das der liebe Gott mit dem Schatz seiner Gnade anfüllt. Und je größer und weiter dieses ist, umso reicher kehrt das Gebet in unser Inneres zurück.

Wie könnte auch der getreue und allmächtige Gott es versäumen, uns seiner Gnadengeschenke teilhaftig zu machen, da er doch selbst das Gebet um dieselben befohlen hat und uns den Heiligen Geist versprach, wenn wir mit Glauben und Beharrlichkeit darum bitten würden?

Drittens: Widme dich dem Gebet immer in der reinen Absicht, nicht deinen Willen, sondern den Willen Gottes allein zu begehren, und dies in deinen Bitten wie in der Erfüllung deines Flehens. Denn Gottes Wille muß dich zum Beten antreiben und dein Verlangen nach Erhörung, soweit er selbst will, wecken. Deine Absicht soll mit einem Worte darauf gerichtet sein: deinen Willen mit dem Willen Gottes (und nicht umgekehrt den göttlichen Willen mit deinem) zu vereinen.

Da dein Wille von der Eigenliebe angesteckt und verdorben ist, verirrt er sich häufig und weiß nicht, um was er bittet. Der göttliche Wille hingegen ist mit unaussprechlicher Güte verbunden und kann niemals irren. Darum steht er als König und Gebieter über jedem Willen; als würdige Richtschnur, der alle folgen und sich fügen müssen.

Deshalb sollen wir stets auch nur das erbitten, was mit dem göttlichen Wohlgefallen im Einklang steht. Zweifelst du einmal, ob dies wirklich der Fall ist, dann darfst du das Betreffende nur unter der Bedingung begehren, wenn Gott damit einverstanden ist, daß du es erlangst. Wovon du aber überzeugt bist, daß es Gott gefällt, wie zum Beispiel die Tugenden, das erflehe mehr, um Gott zu gefallen und dienen zu können, als wegen eines anderen, wenn auch geistigen Zweckes oder Nutzens.

Viertens: Geh zum Gebet, mit Werken geschmückt, die mit deinen Bitten übereinstimmen, und nach dem Gebet bemühe dich noch eifriger, dich für die Gnade und die gewünschte Tugend empfänglich zu machen.

Die Übung des Gebetes soll aber derart von der Übung der Selbstüberwindung begleitet sein, daß eine Übung der anderen abwechselnd folgt. Denn um eine Tugend beten und sich um ihren Besitz nicht bemühen, das hieße nichts anderes als Gott versuchen.

Fünftens sollen den Bitten meistens Danksagungen für empfangene Wohltaten auf diese oder ähnliche Weise vorausgehen: „O mein Gott, der du mich aus Güte erschaffen und erlöst und mich unzählige Male ohne mein Wissen aus den Händen meiner Feinde errettet hast, eile mir auch jetzt zu Hilfe und schlage meine Bitte nicht ab, obschon ich mich immer widerspenstig und undankbar dir gegenüber erwiesen habe."

Betest du um eine besondere Tugend und stehst du gerade unter dem Druck einer Widerwärtigkeit, dann vergiß nicht, für die Gelegenheit, die dir geboten wird, zu danken; denn auch diese ist kein geringer Gunsterweis.

Sechstens: Da das Gebet seine Stärke und Kraft, Gott zur Erfüllung unserer Wünsche zu bewegen, aus seiner Wesensgüte und Barmherzigkeit und aus den Verdiensten des Lebens und Leidens seines eingeborenen Sohnes schöpft, wie auch aus den gegebenen Versprechen, uns zu erhören, so beschließe deine Bitte mit einer oder mehreren der folgenden Anrufungen: „Gewähre mir, o Gott, diese Gnade um deiner übergroßen Milde willen!" — „Mögen die Verdienste deines Sohnes die Erhörung meiner Bitte erwirken!" — „Gedenke, o mein Gott, deiner Verheißungen und erhöre gnädig mein Gebet!"

Ein anderes Mal bitte auch um Gnade durch die Verdienste der allerseligsten Jungfrau Maria und anderer Heiligen, die bei Gott viel vermögen und bei ihm hoch in Ehren stehen, da sie seine göttliche Majestät in diesem Leben verherrlichten.

Siebtens ist es notwendig, ohne Unterlaß zu beten; denn die demütige Beharrlichkeit überwindet selbst den unüberwindlichen Gott. Wenn die Ausdauer und Zudringlichkeit der Witwe im Evangelium den verruchten und ungerechten Richter zur Gewährung ihrer Bitte zu rühren vermochte (Lk 18,2-8), sollten unsere Bitten nicht den viel mehr rühren, in dem die ganze Fülle der Güte wohnt?

Sollte der Herr nach deinem Gebet noch zögern, dich heimzusuchen und zu erhören, ja selbst das Gegenteil zum Ausdruck bringen, so fahre trotzdem im Gebete fort und bewahre ein unerschütterliches und lebendiges Vertrauen auf seine Hilfe! Es fehlen ihm keineswegs die Mittel, die in unendlicher Fülle alles Maß übersteigen, um allen die notwendigen Gnaden zu schenken.

Liegt der Fehler nicht auf deiner Seite, dann sei überzeugt, daß du demnach alles, was du erbittest, oder aber etwas anderes, was dir viel nützlicher ist, oder sogar beides zugleich erhalten wirst.

Je mehr du dich zurückgewiesen glaubst, desto tiefer erniedrige dich vor dir selber. Erinnere dich deiner Vergehen, und unverwandten Blickes auf die göttliche Liebe stärke dein Vertrauen auf dieselbe immer mehr. Bleibt es fest und unerschütterlich, umso wohlgefälliger ist es dem Herrn, je stärker es angefochten wurde.

Erweise dich allezeit dadurch dankbar, daß du seine Güte, Weisheit und Liebe stets anerkennst, auch dann, wenn er deine Bitte abschlägt, gerade wie wenn er sie gewährt hätte, und daß du bei jedem Ereignis standhaft und freudig in demütiger Unterwerfung unter seine göttliche Vorsehung verbleibst.

 


45. Vom innerlichen Gebet

Das innerliche Gebet ist eine Erhebung des Gemütes zu Gott, verbunden mit einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Bitte um Erhörung.

Ausdrücklich ist die Bitte, wenn man die Gnade innerlich mit diesen oder ähnlichen Worten erfleht: „O mein Gott, gib mir diese Gnade zu deiner Ehre!" oder „O mein Herr, ich glaube, daß es dir wohlgefällt und zu deiner Ehre gereicht, wenn ich diese Gnade erbitte und besitze. Vollende an mir dein göttliches Wohlwollen."

Und wirst du von Feinden umdrängt, dann bete also: „Eile, mein Gott, mir zu helfen, damit ich den Feinden nicht nachgebe!" oder „Mein Gott, Zuflucht und Stärke meiner Seele, komme mir eilends zu Hilfe, damit ich nicht falle!"

Hält der Kampf an, fahre in dieser Gebetsart fort und widersteh immer deinem Gegner.

Ist das Toben vorüber, dann kehre dich zum Herrn; führe ihm deinen Gegner und deine Schwäche beim Widerstand vor und sprich: „Sieh, o mein Gott, das Geschöpf deiner mildreichen Hand, das mit deinem Blut erkauft wurde. Siehe da deinen Feind, der es dir zu entreißen und zu vernichten sucht. Zu dir, o mein Herr, nehme ich meine Zuflucht; auf dich vertraue ich allein, der du allmächtig und gut bist; du kennst meine Schwäche und weißt, wie rasch ich mich ihm ohne deinen Beistand freiwillig unterwerfen würde. Hilf mir also, du meine Hoffnung und Seelenstärke!"

Das stillschweigende Gebet liegt vor, wenn das Gemüt sich um eine Gnade zu Gott aufrichtet und ohne ein Wort und eine Erklärung ihm seine Not aufdeckt: So zum Beispiel, wenn ich mein Gemüt zu Gott erhebe und mich in seiner Gegenwart als ohnmächtig erkenne, mich vor dem Bösen zu schützen und das Gute zu tun; wenn ich vom Verlangen, ihm zu dienen, entbrenne und mit Demut und Vertrauen seine Hilfe erwarte und immer wieder zum Herrn aufblicke.

Dieser Akt einer von Sehnsucht und Glauben vertieften und von Gott erleuchteten Erkenntnis ist ein Gebet, das stillschweigend erfleht, was mir nottut. Und je klarer und aufrichtiger die erwähnte Erkenntnis und je glühender die Sehnsucht und lebendiger der Glaube sind, umso wirksamer ist auch das Gebet.

Daneben gibt es noch eine andere, kürzere Art des stillschweigenden Gebetes, daß man nämlich geistigerweise ganz einfach einen Blick um Hilfe auf Gott richtet. Dieser Aufblick ist nichts anderes als eine unausgesprochene Erinnerung und Bitte um die bereits erbetene Gnade.

Bemühe dich, diese Gebetsweise gut zu erlernen und dich mit ihr vertraut zu machen, denn sie ist — wie dich die Erfahrung lehren wird — eine Waffe, die man bei jedem Anlaß und überall schnell ergreifen kann und von größerem Wert und Nutzen ist, als ich es zu sagen vermag.

 


46. Vom betrachtenden Gebet

Willst du eine geraume Zeit, etwa eine halbe oder ganze Stunde oder länger, dem Gebet obliegen, dann verbinde mit ihm die Betrachtung über das Leben und Leiden Jesu Christi, indem du seine Handlungen auf die von dir ersehnte Tugend anwendest.

Wünschst du beispielsweise die Tugend der Geduld zu erlangen, nimm einige Punkte aus dem Geheimnis seiner Geißelung zum Gegenstand deiner Erwägung.

Erstens: Der Herr wird von den Knechten der Bosheit unter Hohngeschrei zu dem Orte der Geißelung geschleppt, nachdem Pilatus den Befehl dazu erteilt hatte.

Zweitens: Wütend reißt man ihm die Kleider vom Leibe, daß er entblößt und nackt dasteht.

Drittens: Mit Stricken werden seine unschuldigen Hände roh gefesselt und an die Säulen gebunden.

Viertens: Sein ganzer Körper wird durch die Geißelhiebe zerfetzt und zerrissen, so daß sein heiligstes Blut in Strömen zur Erde fließt.

Fünftens: Schlag auf Schlag treffen ihn die Hiebe auf derselben Stelle, wodurch seine Wunden immer heftiger brennen und schmerzen.

Nachdem du dir so zur Erwerbung der Geduld diese oder ähnliche Betrachtungspunkte vorgestellt hast, gebrauche die Sinne, um möglichst lebhaft die bitteren Herzensnöte und die grausamen Leiden, die dein lieber Herr an seinem ganzen Körper wie in seinen einzelnen Teilen ausgestanden hat, nachzuempfinden.

Sodann wende dich zu seiner heiligsten Seele und dringe so tief als möglich in die Geduld und Sanftmut ein, mit der er eine so fürchterliche Mißhandlung ertrug, ohne daß sein Hunger nach ärgeren und grausameren Leiden und Qualen für die Ehre seines Vaters und unser Heil gestillt worden wären.

Betrachte ferner, wie er mit lebhaftem Verlangen wünscht, du möchtest deine Mühseligkeiten ruhig auf dich nehmen, und schau, wie er sich wieder zum Vater mit der Bitte kehrt, er möge dir voll Huld die Gnade zuteil werden lassen, geduldig dein augenblickliches, wie auch jedes andere Kreuz zu tragen.

Ringe dich durch zu dem festen Entschluß, alles mit geduldigem Herzen tragen zu wollen, und erhebe daraufhin dein Gemüt zum Vater; danke ihm vor allem dafür, daß er seinen eingeborenen Sohn in die Welt sandte und ihm auftrug, für dich so bittere Qualen zu erleiden und zu beten, und erflehe dir endlich kraft der Verdienste und Fürsprache seines Sohnes die Tugend der Geduld.

 


47. Von einer anderen Art des betrachtenden Gebetes

Aber auch auf eine andere Art kannst du betrachtend beten. Hast du nämlich die bitteren Leiden des Herrn liebevoll erwogen und in deinem Geiste die Bereitwilligkeit seines Herzens geschaut, mit der er sie auf sich genommen hatte, dann gehe von der Größe seiner Qualen und seiner Geduld zu zwei anderen Erwägungen über. Betrachte erstens sein Verdienst und zweitens die Freude und Verherrlichung des ewigen Vaters infolge des vollkommenen Gehorsams seines leidenden Sohnes.

Beides stelle dann seiner göttlichen Majestät vor und bitte kraft derselben um die Gnade, die du gerade wünschst.

Auf diese Weise kannst du eine Betrachtung nicht nur über jedes Geheimnis des Leidens des Herrn anstellen, sondern auch über jedes einzelne, innere wie äußere Werk, das er in jedem Geheimnis verrichtete.

 


48. Von der Art und Weise, durch die Vermittlung Mariens zu beten

Außer den oben dargelegten Betrachtungsweisen gibt es noch eine weitere Art, betrachtend zu beten, nämlich mittels der allerseligsten Jungfrau Maria, wobei man zuerst sein Gemüt zum ewigen Gott, dann zum liebreichen Jesus und zuletzt zur glorreichsten Mutter erhebt.

Zu Gott gewendet erwäge zweierlei: Erstens die Wonne, die er von Ewigkeit her empfand, wenn er sich selbst in Maria betrachtete, bevor er sie aus dem Nichts ins Dasein gerufen hatte; und zweitens ihre Tugenden und guten Werke während ihres irdischen Lebens.

Über die Wonne kannst du also betrachten: Schwinge dich im Geiste empor über Zeit und Raum und tritt in die Ewigkeit und ins Herz Gottes selbst ein; schau da seine Wonne, die er über Maria empfand. Und hast du in dieser Wonne Gott gefunden, dann bitte ihn zuversichtlich um ihretwillen um die Gnade und Kraft zur Vernichtung deiner Feinde, vor allem desjenigen, der dich eben bekämpft.

Nun betrachte die überaus erhabenen und so einzigartigen Tugenden und guten Werke der heiligsten Mutter; biete sie einmal alle insgesamt und dann wieder einzeln dem lieben Gott dar und erflehe kraft derselben von seiner unendlichen Güte alles, was dir nottut.

Darauf wende dich im Geiste zum Sohne: Erinnere ihn an den jungfräulichen Schoß, der ihn neun Monate trug; an die Ehrfurcht, mit der ihn die Jungfrau nach seiner Geburt anbetete und als wahren Mensch und wahren Gott und als ihren Sohn und Schöpfer anerkannte; an die mitleidsvollen Augen, die ihn in seiner großen Armut schauten; an den süßen Mund, der ihn so zart küßte; an die Milch, mit der sie ihn nährte, und alle Angst und Not, die sie während seines Lebens und Sterbens um seinetwillen erduldete. Damit wirst du dem göttlichen Sohne gewiß sanfte Gewalt antun, dich zu erhören.

Zuletzt kehre dich zur allerseligsten Jungfrau: Erinnere sie, daß Gottes Vorsehung und Güte von Ewigkeit her sie zur Mutter der Gnade und Erbarmung und zu unserer Fürsprecherin erkor, und daß wir nach ihrem gebenedeiten Sohne keine zuverlässigere und mächtigere Hilfe besitzen als sie.

Erinnere sie auch an die Wahrheit, die über sie aufgezeichnet und durch eine Unzahl von Wundern bestätigt ist, daß niemand sie je mit Vertrauen angerufen, der ihre mildreiche Fürsprache nicht erfahren hätte.

Stelle ihr endlich die vielen Leiden vor, die ihr einziger Sohn zu unserem Heil auf sich genommen hat, und bitte sie, sie möge dir von ihm die Gnade erlangen, daß sie zu seiner Ehre und Freude jene Wirkung in dir hervorrufe, um derentwillen er sie gelitten hat.

 


49. Vom gläubigen Vertrauen auf Maria, die allerseligste Jungfrau

Willst du in all deinen Nöten mit gläubigem Vertrauen zur allerseligsten Jungfrau Maria deine Zuflucht nehmen, dann kannst du dieses Vertrauen durch folgende Erwägungen erlangen.

Erstens: Schon aus Erfahrung wissen wir, daß alle Gefäße, in denen sich Balsam oder eine andere kostbare Flüssigkeit befand, lange Zeit den Geruch davon bewahren, auch wenn sie nichts mehr enthalten, und das umso mehr, je länger sie damit angefüllt waren, und erst recht, wenn noch ein Rest in ihnen zurückgeblieben ist. Und dennoch besitzen der Balsam oder jene andere Flüssigkeit nur eine beschränkte und vorübergehende Kraft und Wirkung. Ebenso verspürt auch derjenige, der in der Nähe eines großen Feuers stand, noch längere Zeit nach seiner Entfernung die Wärme der Glut.

Wenn dem so ist: Von welchem Feuer der Liebe und von welchen Gefühlen der Erbarmung und Güte muß dann das Herz der allerseligsten Jungfrau Maria glühen und erfüllt sein? Sie, die den Sohn Gottes neun Monate in ihrem jungfräulichen Schoß trug und ihn noch immer in ihrem Herzen und ihrer Seele trägt, der die Liebe, Erbarmung und Güte selbst ist, deren Kraft keine Grenzen und Schranken kennt und von unendlicher und grenzenloser Gewalt ist.

Wie es aber unmöglich ist, daß jemand zu einem großen Feuer hintritt, ohne von dessen Hitze etwas zu verspüren, ebenso und noch viel mehr ist es ausgeschlossen, daß ein Hilfsbedürftiger, der sich diesem Feuer der Liebe, Erbarmung und Güte, das im Herzen der allerseligsten Jungfrau immerfort brennt, nähert, ohne Hilfe, Gnaden und Gaben bleibt. Und diese werden umso reicher sein, je häufiger er sich ihr naht und je größer sein Glaube und sein Vertrauen sind.

Zweitens: Kein Geschöpf liebte jemals den göttlichen Heiland Jesus Christus so innig und kein Geschöpf stimmte jemals mit seinem Willen so vollständig überein, wie seine heiligste Mutter.

Nun hat der Sohn Gottes selber sein Leben und sich selbst ganz für uns Sünder und unsere Bedürfnisse hingegeben und seine Mutter zu unserer Mutter und Fürsprecherin bestellt, damit sie uns beistehe und nach ihm Mittlerin zu unserem Heile sei; wie könnte daher unsere Mutter und Fürsprecherin uns im Stich lassen und sich gegen den Willen ihres Sohnes auflehnen?

Nimm deshalb in jeder Not mit Zuversicht deine Zuflucht zur heiligsten Mutter und Jungfrau Maria. Beseligend und bereichernd ist dieses Vertrauen und Sicherheit bietet die Zuflucht zu ihr, die da immer noch Gnade und Erbarmung spendet.

 


50. Vom betrachtenden Gebet in Vereinigung mit den Engeln und Heiligen

Um dich der Hilfe und Gunst der Engel und Heiligen im Himmel zu erfreuen, kannst du auf zweifache Weise vorgehen.

Erstens: Wende dich zum ewigen Vater; weise ihn auf die Liebe und das Lob hin, mit dem ihn der ganze himmlische Hof verherrlicht, und auf die Mühseligkeiten und Leiden, die die Heiligen auf Erden aus Liebe zu ihm erduldet haben, und auf diese gestützt, bitte seine göttliche Majestät um alles, was dir nottut.

Zweitens: Wende dich an die Scharen der Heiligen selbst und erbitte ihren Beistand im Kampfe gegen deine Gebrechen und wider alle deine Feinde und vor allem um ihren Schutz in der Todesstunde.

Ein anderes Mal betrachte die vielen und außerordentlichen Gnaden, die sie vom allerhöchsten Schöpfer erhielten, und erwecke in dir eine innige Liebe zu ihnen, wie auch eine lebhafte Freude über ihren Reichtum an Gnaden, wie wenn sie deine eigenen wären.

Wenn möglich freue dich, daß sie und nicht du die Gnaden besitzest, weil Gott es so wollte, der dafür gelobt und gepriesen sei. Um diese Übung ordnungsgemäß und ohne Mühe vorzunehmen, kannst du die Scharen der Heiligen in Gruppen aufteilen und für ihre Verehrung die einzelnen Tage der Woche etwa auf diese Weise festlegen:

Am Sonntag verehre die neun Chöre der Engel; am Montag den heiligen Johannes den Täufer; am Dienstag die Patriarchen und Propheten; am Mittwoch die Apostel; am Donnerstag die Märtyrer; am Freitag die Bischöfe und andere heilige Männer; am Samstag die Jungfrauen und andere heilige Frauen.

Unterlasse es jedoch niemals, an jedem Tag und auch sonst recht häufig zur allerseligsten Jungfrau Maria, der Königin aller Heiligen, deinem heiligen Schutzengel und dem heiligen Erzengel Michael und allen deinen heiligen Fürsprechern deine Zuflucht zu nehmen. Auch flehe alle Tage zur allerseligsten Jungfrau Maria, zu ihrem Sohne und zum himmlischen Vater um die Gnade, daß sie dir den Gemahl Mariens, den heiligen Joseph, zum besonderen Fürsprecher und Beschützer bestellen möchten, und wende dich vertrauensvoll an ihn mit der Bitte, dir seinen mächtigen Schutz angedeihen zu lassen.

Viel Wunderbares wird von diesem glorreichen Heiligen berichtet, von den vielen Gnaden, die alle seine Verehrer erhalten, die ihn in ihren geistigen wie zeitlichen Nöten angerufen haben, wie er besonders viele fromme Seelen anleitete, auf die rechte Weise zu beten und zu betrachten.

Hält Gott schon die übrigen Heiligen so hoch, weil sie ihm während ihres Lebens Ehre und Gehorsam erwiesen, um wieviel mehr dürfen wir da annehmen, daß er diesen überaus demütigen und glückseligen Heiligen hochschätzen und sein Gebet in Gnaden aufnehmen wird, da er bereits hier auf Erden von Gott so hoch geehrt wurde, daß er sich ihm unterwerfen und wie einem Vater gehorchen wollte.

 


51. Von der Betrachtung des Leidens Christi

Was ich über das Leiden des Herrn bereits (Kap. 46) ausführte, dient dazu, das Gebet und die Betrachtung mittels Bitten zu gestalten. Nun will ich noch einiges hinzufügen, wie wir daraus die verschiedensten Seelenstimmungen gewinnen können.

Betrachte zum Beispiel einmal das Geheimnis der Kreuzigung Christi, von dem du unter anderen folgende Punkte besonders erwägen kannst.

Erstens: Auf dem Kalvarienberg wird der Herr von den rasenden Schergen mit Gewalt entkleidet, so daß sein Fleisch, an dem infolge der Geißelung die Kleider festkleben, in Fetzen abgerissen wird.

Zweitens: Die Dornenkrone wird ihm vom Haupte genommen und nachher wieder aufgesetzt, was ihm neue Wunden verursacht.

Drittens: Unter grausamen Hammerschlägen wird er mit Nägeln ans Kreuz geheftet.

Viertens: Da seine heiligen Glieder nicht bis zu den für die Kreuzigung gebohrten Löchern reichen, werden sie von den rohen Henkersknechten mit solcher Gewalt angezogen, daß alle seine Gebeine ausgerenkt werden.

Fünftens: Am harten Stamm des Kreuzes hängend, hat der Herr keine andere Stütze als die Nägel, die wegen der schweren und drückenden Last des Körpers seine allerheiligsten Wunden mit unbeschreiblichem Schmerz vergrößern und verschlimmern.

Willst du so aus diesen oder ähnlichen Punkten das Gefühl der Liebe in deinem Herzen wecken, dann suche durch ihre Betrachtung zu einer immer größeren Erkenntnis der unendlichen Güte deines Herrn zu gelangen, der aus Liebe zu dir so vieles hatte leiden wollen. Mit der vertieften Erkenntnis wächst auch in gleichem Maße die Liebe.

Infolge der Erkenntnis dieser unendlichen Liebe und Güte, die der Herr dir erwiesen hat, wird in dir sicher ein tiefer Reueschmerz wach werden, deinen Gott, der deiner Sünden wegen so vielfach mißhandelt und gepeinigt wurde, so häufig und so undankbar beleidigt zu haben.

Um in dir die Hoffnung zu beleben, erwäge, daß der große Gott solche Not und solches Elend auf sich nahm, um die Sünde zu tilgen und dich aus den Fesseln Satans und deiner eigenen Schuld zu befreien und um dich mit seinem ewigen Vater zu versöhnen und dich mit Vertrauen zu erfüllen, in all deiner Not zu ihm deine Zuflucht zu nehmen.

Innige Freude wirst du empfinden, wenn du von seinen Leiden zu ihren Wirkungen übergehst und siehst, wie er dadurch die ganze Welt von der Sünde erlöste, den Zorn des Vaters besänftigte, den Fürsten der Finsternis zuschanden machte, den Tod überwand und die Throne der Engel wieder bevölkerte. Und diese Freude wird sich bei der Betrachtung jener Freude steigern, die die allerheiligste Dreifaltigkeit mit der allerseligsten Jungfrau Maria und der ganzen triumphierenden und streitenden Kirche darüber empfindet.

Um dich zum Haß wider deine eigenen Sünden aufzureizen, fasse alle Erwägungen dahin zusammen, daß du dir vorstellst, der Herr hätte zu keinem anderen Zweck gelitten, als dich zum Haß gegen deine sündhaften Neigungen, namentlich gegen jene zu bewegen, die dich am stärksten beherrscht und seiner göttlichen Güte am meisten mißfällt.

Um deine Bewunderung zu erregen, erwäge, ob es etwas Größeres gibt, als den Schöpfer des Weltalls und Spender allen Lebens von seinen eigenen Geschöpfen verfolgt und getötet, die höchste Majestät verachtet und erniedrigt, die Gerechtigkeit verurteilt, Gottes Schönheit angespieen, des himmlischen Vaters Liebe gehaßt, das innerste und unzugänglichste Licht der Gewalt der Finsternis überliefert und die Herrlichkeit und Glückseligkeit selbst für die Schmach und Schande des menschlichen Geschlechtes gehalten und ins tiefste Elend versenkt zu sehen.

Um deinen mit Schmerz überhäuften Herrn zu bemitleiden, dringe nach der Betrachtung seiner äußeren Leiden im Geiste weiter zu anderen, unvergleichlich heftigeren Leiden, die ihn innerlich quälten. Haben jene dein Herz betrübt, dann wäre es erstaunlich, wenn diese nicht dein Herz vor Schmerz zerrissen.

Christi Seele schaute Gottes Wesenheit, wie sie diese jetzt im Himmel schaut, und erkannte sie aller Ehre und jeglichen Dienstes unendlich würdig und wünschte deshalb sehnlichst aus unaussprechlicher Liebe zu ihr, daß jede Kreatur ihre ganzen Kräfte dafür einsetze.

Da sie aber das Gegenteil wahrnahm, wie sie durch die ungeheuren Sünden und abscheulichen Frevel der Welt so entsetzlich beleidigt und verachtet wurde, war sie zu gleicher Zeit von unendlichem Kummer und Schmerz durchwühlt, der sie umso mehr peinigte, je größer ihre Liebe und Sehnsucht war, daß eine so erhabene Majestät geehrt und ihr von allen gedient werden sollte.

Gleichwie man die Größe dieser Liebe und Sehnsucht nicht zu erfassen vermag, so kann sich auch niemand einen Begriff machen, wie bitter und tief das innere Leiden des gekreuzigten Heilandes gewesen ist.

Und da er ferner alle Geschöpfe unsagbar liebt, so schmerzten ihn im Verhältnis zu dieser Liebe alle ihre Sünden unermeßlich, weil sie sich durch diese von ihm trennen. Denn durch jede Todsünde, die je ein Mensch beging und noch begehen wird, reißt sich ja ein jeder, so oft er sündigt, von der Seele des Herrn los, mit der er durch die Liebe vereint war.

Weit schmerzlicher ist diese Trennung als die eines körperlichen Gliedes, das aus seiner natürlichen Lage entfernt wird, weil die Seele viel edler und vollkommener als der Leib und darum auch für Schmerzen viel empfindlicher ist.

Unter den Leiden, die der Herr für die Geschöpfe erduldete, war das am bittersten, das er über die Sünden der Verdammten empfand, die sich niemals mehr mit ihm vereinigen können und deshalb ewige unaussprechliche Qualen erleiden müssen.

Will die Seele (von ihrem lieben Jesus gerührt), um mitzuleiden, weiter in Christi Leid vordringen, dann wird sie noch ungemein heftige Leiden in ihm entdecken, die ihm nicht nur die begangenen, sondern auch die unterlassenen Sünden verursachten. Denn es steht außer Zweifel, daß unser Herr die Verzeihung jener und die Verhinderung dieser Sünden um den Preis seines kostbaren Leidens erwarb.

Gewiß wird es dir nicht an anderen Erwägungen mangeln, um mit deinem betrübten und gekreuzigten Heiland mitzuleiden. Denn nie hat ein mit Vernunft begabtes Geschöpf einen Schmerz erduldet, noch wird es je einen erleiden, den er nicht selbst in sich empfunden hätte.

Die Beleidigungen, Anfechtungen, Verleumdungen, Strafen, alle Angst und Not aller Menschen hienieden schmerzten die Seele Christi empfindlicher als jene, die sie selbst durchmachen mußte. Denn alle ihre großen und kleinen Schmerzen der Seele und des Leibes, bis zum geringsten Kopfweh und Nadelstich, sah unser Herr und wollte sie in seiner unermeßlichen Liebe mitleiden und in seinem mildreichsten Herzen mitempfinden.

Wie sehr ihn aber die Schmerzen seiner heiligsten Mutter betrübten, wer vermag das zu schildern? Denn so wie der Herr litt und duldete, litt auch die allerheiligste Jungfrau, wenn auch nicht in demselben Maße, aber dennoch aufs bitterste.

Und diese ihre Schmerzen erneuerten die Seelenwunden ihres gebenedeiten Sohnes, so daß sein mildreichstes Herz gleichsam wie von ebenso vielen glühenden Pfeilen der Liebe verwundet wurde. Darum kann man sein Herz der vielen Qualen wegen, die ich andeutete, und noch mehr der unzähligen, uns unbekannten Schmerzen wegen mit Recht „eine liebevolle Hölle freiwilliger Leiden" nennen, wie man von einer frommen Seele berichtet, die es so in heiliger Herzenseinfalt zu bezeichnen pflegte.

Forschst du aufmerksam nach der Ursache der vielen Leiden, die unser gekreuzigter Erlöser und Herr ertragen hat, dann findest du keine andere als die Sünde.

Hieraus folgt eindeutig, daß das wahre Mitleid und der eigentliche Dank, die er von uns verlangt und die wir ihm unsagbar schulden, darin bestehen, daß wir über seine Unbill einzig und allein aus Liebe zu ihm Schmerz empfinden, über alles die Sünde hassen und hochherzig gegen seine Feinde und unsere sündhaften Neigungen kämpfen, damit wir den alten Menschen mit seinen Werken aus- und den neuen Menschen anziehen und unsere Seele mit den christlichen Tugenden schmücken.

 


52. Vom Nutzen der Betrachtung über das Leiden Christi und der Nachahmung seiner Tugenden

Unter den vielen Vorteilen, die du aus dieser heilsamen Betrachtung über das Leiden des Herrn schöpfen kannst, steht an erster Stelle, daß du nicht allein deine begangenen Sünden bereust, sondern auch darüber dich betrübst, daß deine ungeordneten Leidenschaften, die ihn ans Kreuz schlugen, noch immer in dir leben.

Der zweite Nutzen ist, daß du ihn um Verzeihung wegen deiner Sünden und um die Gnade eines tiefen Hasses wider dich selbst bittest, um ihn nie mehr zu beleidigen, damit du ihm in Zukunft zum Ersatz für seine vielen, um deinetwillen erduldeten Mühseligkeiten vielmehr in treuer Liebe dienst, was ja ohne einen solchen heiligen Haß nicht möglich ist.

Der dritte Vorteil soll sein, daß du jede deiner sündhaften Neigungen, so unbedeutend sie auch ist, mit aller Kraft auf Leben und Tod bekämpfst.

Der vierte Gewinn soll der sein, daß du mit allen Kräften dich bestrebst, die Tugenden des göttlichen Heilandes nachzuahmen, da er nicht bloß gelitten hat, um uns zu erlösen und für unsere Missetaten Genugtuung zu leisten, sondern auch, um uns ein Beispiel der heiligen Nachfolge zu geben.

Zu diesem Ziel lege ich hier eine Betrachtungsweise vor, die dir dienlich sein kann.

Wünschst du dir, um Christus nachzufolgen, zum Beispiel die Geduld anzueignen, dann erwäge folgende Punkte:

- Wie verhält sich die Seele Christi während seines Leidens Gott gegenüber?

- Wie handelt Gott der Seele Christi gegenüber?

- Wie verhält sich die Seele Christi sich selbst und seinem Leibe gegenüber?

- Wie handelt Christus gegen uns?

- Wie sollen wir uns Christus gegenüber verhalten?

Erstens: Erwäge, wie die Seele Christi, ganz in die Anschauung Gottes versenkt, die unendliche und unbegreifliche Größe, gegen die alles Geschaffene wie ein Nichts verschwindet, bewundert und sich trotz ihrer unwandelbaren Glückseligkeit hienieden der unwürdigsten Behandlung von seiten der Menschen unterwirft, von welchen sie nur Untreue und Schmach erntet; und wie sie Gott anbetet und sich dankbar und rückhaltlos zum Opfer darbietet.

Zweitens: Hierauf betrachte, wie Gott sich der Seele Christi gegenüber verhält; wie er verlangt und sie drängt, für uns Backenstreiche, Anspucken, Roheiten, Geißeln, Dornen und das Kreuz auf sich zu nehmen, und wie er ihr sein Wohlgefallen kundtut, sie mit Schimpf und Weh ganz überhäuft zu sehen.

Drittens: Sodann gehe zur Betrachtung der Seele Christi über; wie sie im hellsten Lichte ihres Verstandes das große Wohlgefallen Gottes über ihre Leiden schaut und mit allen Fasern und der ganzen unermeßlichen Glut ihres Wesens seine göttliche Majestät wegen ihrer unendlichen Verdienste und zahllosen Verpflichtungen ihr gegenüber unaussprechlich liebt; und wie sie, von Gott aufgefordert, aus Liebe zu uns und zu unserem Beispiel zu leiden, sich freudig und zufrieden zu bereitwilligem Gehorsam gegen seinen heiligsten Willen anschickt.

Aber wer vermag in den Abgrund der Sehnsüchte einzudringen, die die reinste und liebevollste Seele da empfand? Obwohl sie geradezu in einem Wirrwarr von Mühsal und Leid sich befindet, sucht sie immer nach neuen Arten und Wegen, um noch mehr zu leiden, und, da sie nicht findet, was sie verlangt, gibt sie sich und ihren unschuldigsten Leib freiwillig auf Gnade und Ungnade den verruchten Menschen und bösen Geistern der Hölle als Beute hin.

Viertens: Nun schau deinen Jesus, wie er mit liebevollem Blick zu dir gewandt dich anspricht: „Sieh, meine Seele, wohin mich deine unbeherrschten Begierden gebracht haben, da du dir nicht einmal ein wenig Gewalt antun wolltest.

Sieh, wie viel und wie gern ich aus Liebe zu dir leide, um dir ein Beispiel wahrer Geduld zu geben.

Bei all meinen Schmerzen beschwöre ich dich, dieses und jedes andere Kreuz zu meiner größeren Freude willig zu tragen und dich rückhaltlos den Händen deiner Feinde, die ich dir sende, zu überlassen, auch wenn sie noch so gemein und grausam gegen deine Ehre und deinen Leib wüten würden.

O, wenn du wüßtest, welchen Trost ich daraus schöpfe! An diesen Wunden kannst du es gut erkennen, die ich als wertvolle Kleinodien erhielt, um deine arme, mir so überaus teure Seele mit kostbaren Tugenden zu schmücken. Wenn ich deinetwegen bis zum äußersten Opfer bewogen wurde, warum solltest du nicht auch ein wenig leiden wollen, um meinem Herzen Freude zu bereiten und meine Wunden zu lindern, die mir deine Ungeduld geschlagen hat? Jene Ungeduld, die mich bitterer betrübt, als diese Wunden selbst schmerzen."

Fünftens: Dann bedenke, wer mit dir so spricht, und du wirst erkennen, daß es der König der Herrlichkeit selbst ist, Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch. Schau das Übermaß seiner Qualen und Mißhandlungen, die selbst der gemeinste Verbrecher nicht verdient hätte!

Sieh deinen Herrn, wie er inmitten so großer Leiden nicht nur standhaft und geduldig ausharrt, sondern voller Freude ist, wie wenn er Hochzeit feiere. Gleichwie einige Wassertropfen ein Feuer noch mehr entfachen, so wuchsen mit seinen Schmerzen, die seiner überströmenden Liebe nur winzig erschienen, die Freude und Sehnsucht, noch mehr zu erdulden.

Ferner bedenke, daß dein mildreichster Herr dies alles nicht aus Zwang oder aus Eigennutz gelitten und getan hat, sondern — wie er es dir selbst sagte — aus reiner Liebe zu dir und damit du dich in seiner Gefolgschaft in der Tugend der Geduld übst.

Laß dich tief ergreifen von seinem heißen Wunsch und seiner innigen Freude, die du ihm durch deine Übung in dieser Tugend bereitest. Erwecke inbrünstige Akte der Sehnsucht, nicht allein geduldig, sondern auch freudig dein jetziges und jedes andere, härtere Kreuz zu tragen, um deinem Gott nachzufolgen und ihm größeren Trost zu schenken.

Stelle dir hierauf im Geiste seine Schmach und Bitterkeit, die er deinetwegen erlitt, und seinen Starkmut und seine Geduld vor und schäme dich dann des Gedankens, deine Geduld wäre auch nur ein Schatten von Geduld und deine Schmerzen und Leiden wären wirkliche Schmerzen und Leiden.

Sei in ständiger Furcht und banger Sorge, daß der leiseste Gedanke, nicht aus Liebe zu deinem Herrn leiden zu wollen, ein Plätzchen im Innern deines Herzens finden und sich dort auch nur für einen Augenblick festsetzen könnte.

Der Gekreuzigte ist das Buch, das ich dir zum Lesen gebe; da kannst du das wahre Abbild aller Tugenden kennenlernen. Er ist das Buch des Lebens, und darum unterweist er nicht nur den Verstand mit Worten, sondern entflammt auch den Willen durch sein lebendiges Beispiel. Sämtliche Bücher der Welt — es gibt derer ja so viele — vermögen alle zusammen keinen vollkommeneren Unterricht für die Aneignung der Tugenden zu geben, wie es die Betrachtung des Gekreuzigten tut.

Sei überzeugt, daß die, welche viele Stunden lang das Leiden unseres Herrn beweinen und seine Geduld betrachten, aber beim Nahen einer Widerwärtigkeit sich so ungeduldig gebärden, als ob sie im Gebet etwas ganz anderes gelernt hätten, irdischen Kriegern ähneln, die im Zeltlager und vor der Schlacht mit Heldentaten prahlen, beim Erscheinen des Feindes aber die Waffen wegwerfen und die Flucht ergreifen.

Was kann es auch Törichteres und Beklagenswerteres geben, als die Tugenden des Herrn wie in einem glänzenden Spiegel zu betrachten, sie liebzugewinnen und zu bewundern, und dann nachher, wenn die Gelegenheit sie zu üben da ist, ihr Andenken und ihre vorige Hochschätzung vollständig aus dem Auge zu verlieren?

 


53. Vom allerheiligsten Altarsakrament

Bisher habe ich dich, wie du gesehen hast, mit vier Waffen versehen, die dir zum Siege über deine Feinde notwendig sind. Auch habe ich dir viele Ratschläge gegeben, damit du diese Waffen gut handhaben kannst. Nun muß ich noch von einer weiteren Waffe reden, nämlich vom allerheiligsten Sakrament der Eucharistie.

Gerade wie dieses Sakrament alle anderen Sakramente übertrifft, so ist auch diese fünfte Waffe allen übrigen Waffen weit überlegen.

Die bereits angeführten vier Waffen erhalten ihre Kraft aus den Verdiensten und der Gnade, die das Blut Christi erworben hat. Diese Waffe aber ist das Fleisch und das Blut Christi selbst, vereint mit der Seele und Gottheit des Heilandes.

Mit jenen kämpft man durch die Kraft Christi wider die Feinde. Hier aber kämpfen wir gegen dieselben mit Christus, und Christus kämpft zugleich im Verein mit uns, denn wer Christi Fleisch und Blut genießt, der steht auf der Seite Christi, wie auch Christus auf dessen Seite steht.

Da man nun auf eine zweifache Weise, nämlich durch den wirklichen Genuß des Sakramentes einmal am Tage und die geistige Kommunion in jeder Stunde und in jedem Augenblick, mit dieser Waffe vertraut wird, so unterlasse es nicht, sie möglichst oft und immer wieder aufs neue zu ergreifen.

 


54. Vom Empfang der heiligen Eucharistie

Aus verschiedenen Gründen können wir uns dem allerheiligsten Sakrament des Altares nahen. Um unser Ziel aber erreichen zu können, müssen wir Verschiedenes dabei beobachten, was sich auf drei Zeitabschnitte verteilt, nämlich: Vor der heiligen Kommunion, beim Empfang derselben und nach der heiligen Kommunion.

Vor der heiligen Kommunion müssen wir (aus welchen Gründen wir sie auch immer empfangen wollen) uns unbedingt im Sakrament der Buße von aller Todsünde, wenn eine solche vorliegt, waschen und reinigen und uns mit allen Fasern des Herzens, sozusagen rückhaltlos mit ganzer Seele und all unseren Kräften und Fähigkeiten Jesus Christus, so wie es ihm gefällt, hingeben, da er uns in diesem allerheiligsten Sakrament sein Fleisch und Blut mit seiner Seele und Gottheit und allen seinen Verdiensten zum Geschenke macht.

Beim Gedanken, daß unsere Gabe im Vergleich mit seinem Geschenk doch so unbedeutend und gleichsam nichts ist, muß sich in uns der Wunsch regen, alles zu besitzen, was Himmel und Erde ihm je dargeboten und geopfert haben, um es seiner göttlichen Majestät darzubringen.

Willst du die heilige Kommunion empfangen, um deine und seine Feinde in dir zu überwinden und zu vernichten, so erinnere dich am Vorabend oder bereits schon früher, welche Sehnsucht der Sohn Gottes hegt, daß du ihm in deinem Herzen ein Plätzchen bietest, damit er sich mit dir im allerheiligsten Sakrament vereine und dir zur Überwindung aller deiner sündhaften Leidenschaften beistehen könne. Diese Sehnsucht unseres Herrn ist so groß und so unermeßlich, daß ein geschaffener Geist sie nicht zu erfassen imstande ist.

Um dich aber dazu einigermaßen zu befähigen, präge deinem Herzen zwei Erwägungen recht tief ein:

Erstens: Das unaussprechliche Wohlgefallen des allgütigen Gottes, bei uns zu sein, worin ja seine „Wonne" besteht (Spr 8, 31).

Zweitens: Den unendlichen Haß gegen die Sünde, die seiner Vereinigung mit uns, nach der er so sehnsüchtig verlangt, hindernd in den Weg tritt und allen seinen göttlichen Vollkommenheiten völlig zuwiderläuft.

Als das höchste Gut und makelloseste Licht und die unendliche Schönheit muß er ja die Sünde aufs äußerste hassen und verabscheuen, die eben nichts anderes ist als Schlechtigkeit, Finsternis und Häßlichkeit, für unsere Seele ganz unerträglich. Dieser Haß des Herrn wider die Sünde ist so brennend heiß, daß alle Opfer des Alten und Neuen Testamentes auf ihre Vernichtung hinzielten, vor allem das vollkommenste Opfer, das Leiden seines Sohnes, der nach der Lehre erleuchteter Diener Gottes im Notfall tausendmal sterben würde, um jede noch so unbedeutende Sünde in uns zu tilgen.

Hast du aus solchen Erwägungen, wenn auch nur unvollkommen, die Größe seiner Sehnsucht erkannt, mit welcher der Herr verlangt, in dein Herz einzukehren, um alle deine Feinde zu vertreiben und vollständig niederzuringen, dann erwecke ein lebhaftes Verlangen, ihn in dieser Absicht aufzunehmen.

Ermutigt und begeistert durch die Hoffnung auf den baldigen Einzug deines himmlischen Heerführers in dein Herz, fordere die Leidenschaft, die du zu bekriegen dir vorgenommen hattest, wiederholt zum Kampfe heraus und unterdrücke sie jedesmal ganz energisch, indem du dabei die entgegengesetzten Tugendakte setzest. Diese Übung führe dann am Vorabend und am Morgen des Kommuniontages beharrlich aus.

Beim Empfang der heiligen Kommunion:

Stehst du im Begriffe, das allerheiligste Sakrament zu empfangen, wirf kurz vorher einen flüchtigen Blick auf deine Fehler seit der letzten Kommunion, die du gerade so begangen hast, als ob es keinen Gott gäbe, der für dich in den Geheimnissen des Kreuzes so unendlich viel erduldet hat. Ein elendes Vergnügen und deinen eigenen Willen hattest du dem Willen Gottes und seiner Ehre vorgezogen! Laß dich erschüttern von Scham und einer heilsamen Furcht ob deines Undankes und deiner Unwürdigkeit.

Jetzt aber denke mehr daran, daß die unermeßliche Güte deines Herrn dich zur Umkehr ruft, der du so abgrundtief undankbar und untreu bist. Nahe dich ihm vertrauensvoll und biete ihm einen weiten Platz in deinem Herzen an, damit er als unumschränkter König darin herrschen kann.

Du räumst ihm aber nur dann einen weiten Platz ein, wenn du alle Anhänglichkeiten an irgendeine Kreatur aus deinem Herzen verbannst und es daraufhin allem anderen verschließt, daß nur deinem Herrn allein der Zutritt offensteht.

Nach der heiligen Kommunion zieh dich schnell in die Stille deines Herzens zurück; bete in aller Ehrfurcht und Demut deinen Gott an und vereinige dich im Geiste mit ihm:

„O mein einziges Gut, du siehst, wie rasch ich dich beleidige; wie viel diese Leidenschaft wider mich vermag und daß ich aus mir nicht imstande bin, mich von ihr frei zu machen. Du mußt für mich kämpfen, und von dir allein erhoffe ich den Sieg, obschon auch ich noch weiter kämpfen muß."

Darauf wende dich zum ewigen Vater: Opfere ihm seinen gebenedeiten Sohn, den er dir schenkte und den du nun im Herzen trägst, zum Dank für die empfangene Gnade und den Sieg über dich selbst auf, und versprich ihm, hochherzig gegen die bestimmte Leidenschaft kämpfen zu wollen in der sicheren Erwartung des Sieges, den dir Gott nicht versagen wird, wenn du das Deine tust, sollte er dich auch nicht gleich erhören.

 


55. Von der Liebe, die wir bei der Vorbereitung auf die heilige Kommunion in uns erwecken sollen

Um in deinem Herzen durch dieses hocherhabene Sakrament die Liebe zu Gott zu erwecken, erwäge seine Zuneigung, die er für dich hegt.

Schon am Vorabend betrachte, daß der große und allmächtige Gott nicht damit zufrieden war, dich nach seinem Bild und Gleichnis zu erschaffen und seinen eingeborenen Sohn in die Welt zu senden, damit er dreiunddreißig Jahre deiner Sünden wegen leide und um deiner Erlösung willen die bittersten Schmerzen und den qualvollen Kreuzestod erdulde, sondern er wollte ihn auch im hochheiligen Sakrament als deine Speise und Wegzehrung hinterlassen.

Überdenke einmal recht aufmerksam die unfaßbare und unübertreffliche Größe dieser Liebe, die in jeder Hinsicht überaus vollkommen und einzigartig dasteht.

Erstens: Der Zeit nach hat Gott uns von Ewigkeit her und ohne Anfang geliebt, und gleichwie er seiner Gottheit nach ewig ist, so hat er auch vor aller Zeit im Plane seiner ewigen Liebe beschlossen, uns seinen Sohn auf so wunderbare Weise zu schenken.

Von Wonne erfaßt, kannst du freudigen Herzens jubeln: „Schon von Ewigkeit her hat der allerhöchste Gott mich armes Menschenkind so hoch geschätzt und so innig geliebt, daß er meiner gedachte und mit unaussprechlicher Liebe danach verlangte, mir seinen eigenen Sohn zur Speise zu geben."

Zweitens: Jede Liebe hat ihre Grenzen, die sie nicht zu überschreiten imstande ist. Nur allein die Liebe unseres Herrn ist grenzenlos.

Um ihr daher restlos zu genügen, gab er seinen eigenen Sohn hin, der an Erhabenheit und Würde ihm gleich und eines Wesens und einer Natur mit ihm ist. Die Liebe ist daher so groß wie das Geschenk und das Geschenk so groß wie die Liebe. Beide aber sind so groß, daß kein Verstand etwas Größeres auszudenken vermag.

Drittens: Keine Not und kein Zwang haben Gott genötigt, uns seine Liebe zu schenken; einzig und allein seine eigene, wesenhafte Güte bewog ihn zu der so großen und unbegreiflichen Liebe zu uns.

Viertens: Auch kein gutes Werk, noch ein Verdienst von unserer Seite aus mußte vorausgehen, um den Allerhöchsten dazu zu bewegen, uns eine so überschwengliche Liebe zukommen zu lassen; nur aus reinster Güte hat er sich uns, seinen unwürdigen Geschöpfen, gänzlich hingegeben.

Fünftens: Richtest du deinen Blick auf die Reinheit dieser Liebe, dann bemerkst du, daß sie nicht wie irdische Liebe mit Eigennutz vermischt ist. Denn der Herr bedarf unserer Güter keineswegs; ohne uns ist er in sich allein überaus glücklich und glorreich, und nur zu unserem Vorteil hat er uns selbstlos seine unaussprechliche Güte und Liebe zugewandt. Hast du dir dies zu Herzen genommen, dann sprich zu dir selbst: „Wie kann der so große Gott überhaupt sein Herz einer so armseligen Kreatur zuwenden? Was willst du, König der Glorie, und was erwartest du von mir Häuflein Erdenstaub? O, mein Gott, ich erkenne deutlich deine einzige Absicht, welche mir die Selbstlosigkeit deiner Liebe kundtut. Denn aus keinem anderen Grunde gibst du dich mir ganz zur Speise, als um mich in dich umzuwandeln. Nicht als ob du meiner benötigst, sondern allein, damit du in mir lebst und ich in dir lebe und ich durch diese liebevolle Vereinigung in dich umgewandelt und mein Herz mit deinem göttlichen Herzen eine Einheit werde."

Freue dich voll Verwunderung, daß Gott dich so hoch schätzt und so innig liebt. Sei überzeugt, daß er mit seiner allmächtigen Liebe nichts anderes will und verlangt, als deine Liebe ganz auf sich zu ziehen. Wende daher deine Liebe von jeder Kreatur und zuletzt auch von dir selbst ab, weil auch du ein Geschöpf bist — und bringe dich restlos dem Herrn als Brandopfer dar, damit seine Liebe und sein göttliches Wohlgefallen allein deinen Verstand und Willen und dein Gedächtnis beeinflussen und alle deine Sinne beherrschen.

Siehst du nun ein, daß nichts so überirdische Wirkungen in dir auslöst als der würdige Empfang des hochheiligen Altarsakramentes, dann mache dein Herz in dieser Absicht mit folgenden Stoßgebeten und Gefühlen der Liebe weit auf:

„O Himmelsspeise, wann werde ich mich dir nur im Feuer deiner Liebe und in keinem anderen rückhaltlos zum Opfer bringen? Wann, ja wann, o unerschaffene Liebe?

O Lebensbrot, wann werde ich einzig in dir und durch dich und dir allein leben? Ach, wann, o mein Leben? Du schönes, süßes und ewiges Leben!

O himmlisches Manna, wann wird mich jede irdische Speise ekeln, daß ich nur nach dir verlange und nur an dir allein Genuß finde? Wann wird es sein, meine Wonne? Ja, wann, o mein einziges Gut?

Ach, o liebreicher und allmächtiger Herr, befreie bitte mein armes Herz von aller irdischen Anhänglichkeit und jeder sündhaften Leidenschaft! Schmücke es aus mit deinen heiligen Tugenden und dem lauteren Verlangen, alles einzig deines Wohlgefallens wegen zu tun. Denn nur so wird sich mein Herz öffnen, um dich einzuladen und dich mit sanfter Gewalt zum Eintritt zu bewegen. Dann kannst du auch in mir jene Erfolge erzielen, die du schon immer ersehnt hast."

Mit solchen Gefühlen der Liebe magst du dich am Abend und am Morgen auf die heilige Kommunion vorbereiten.

Naht die Stunde der heiligen Kommunion, dann bedenke, wen du aufnimmst:

Es ist der Sohn Gottes in seiner unendlichen Erhabenheit, ob der die Himmel und alle Mächte zittern.

Es ist der Heilige der Heiligen, der Spiegel ohne Makel und die lauterste Reinheit, gegen die kein Geschöpf rein ist.

Es ist derjenige, der aus Liebe zu dir von der ungerechten und ruchlosen Welt wie ein Wurm und Abschaum der Menschheit verworfen, erniedrigt, verhöhnt, angespien und gekreuzigt werden wollte.

Du stehst (laß es dir gesagt sein) im Begriffe, den ewigen Gott zu empfangen, in dessen Hand Leben und Tod der ganzen Welt liegt.

Und du bist aus dir nur das reinste Nichts: Um deiner Sünden und Bosheit willen tief unter dem armseligsten und unreinsten, unvernünftigen Geschöpf stehend und wert, von allen bösen Geistern der Hölle beschämt und verspottet zu werden.

Statt dich für die großen und zahllosen Wohltaten dankbar zu erweisen, hast du mit deinen Launen und Begierden einen so gütigen und liebevollen Herrn verachtet und sein kostbares Blut mit Füßen getreten.

Trotzdem ruft er dich in seiner ewigen Liebe und unwandelbaren Güte zu seinem Gottestische, ja er zwingt dich sogar zum zeitweiligen Hinzutritt mit Todesdrohung. Er verschließt dir das Tor seiner Güte nicht, noch wendet er sich von dir ab, obschon du von Natur aus gleichsam aussätzig, lahm, wassersüchtig, blind, vom Teufel besessen und vielen unreinen Lastern ergeben bist. Nur das eine verlangt er von dir:

Erstens: daß es dich reut, ihn beleidigt zu haben;

Zweitens: daß du die schweren und geringen Sünden haßt;

Drittens: daß du dich seinem Willen und seiner Vorsehung allzeit durch Besinnung und Tat bei jeder Gelegenheit zur Verfügung stellst;

Viertens: daß du mit festem Vertrauen erwartest, er werde dir verzeihen, dich reinwaschen und wider alle deine Feinde in Schutz nehmen.

Gefestigt durch die unaussprechliche Liebe des Herrn, nahe dich der heiligen Kommunion mit heiliger und liebender Furcht und sprich:

„O Herr, ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich habe dich so oft und so schwer beleidigt und meine Sünden gar so wenig beweint.

O Herr, ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich bin nicht frei von jeder Anhänglichkeit an die läßlichen Sünden.

O Herr, ich bin nicht würdig, dich zu empfangen, denn ich habe mich noch nicht rückhaltlos deiner Liebe, deinem Willen und deiner Vorsehung hingegeben.

Ach, o mein allmächtiger und allgütiger Gott, um deiner Güte und deines Wortes willen mache mich würdig, dich, meine Liebe, mit unerschütterlichem Glauben aufzunehmen."

Nach der heiligen Kommunion verschließe sofort das Innerste deines Herzens, vergiß alle Kreatur und rede mit deinem Herrn auf folgende oder ähnliche Weise:

„O höchster Himmelskönig, was hat dich bewogen, bei mir einzukehren, der ich so elend, arm, blind und nackt bin?" Und er wird dir antworten: „Die Liebe."

Erwidere darauf: „O unerschaffene Liebe, o süße Liebe, was verlangst du von mir?"

„Nichts anderes", wird er dir antworten, „als Liebe! Kein anderes Feuer soll auf dem Altar deines Herzens und in all deinen Opfern und Werken brennen als das Feuer meiner Liebe, das mir den lieblichsten Wohlgeruch bereitet, wenn es alle andere Liebe und deinen Eigenwillen restlos verzehrt hat.

Um das habe ich gebeten und bitte ich noch immer, weil ich sehnlichst verlange, daß ich ganz dein sei und du ganz mein. Das wird aber niemals der Fall sein, solange du dich nicht zu jener Hingabe durchgerungen hast, die mich erfreut, und solange du noch immer selbstsüchtig deinem eigenen Willen, deinen Begierden und deiner Ehrsucht nachgehst.

Um dir meine Liebe schenken zu können, verlange ich von dir Haß wider dich selbst und dein Herz, daß ich es mit dem meinigen vereine, welches am Kreuz darum geöffnet wurde. Ganz begehre ich dich zu besitzen, damit auch ich ganz dein sein kann. Du weißt, daß mein Wert unvergleichlich ist, dennoch stelle ich mich in meiner Güte mit dir auf dieselbe Stufe. Erwirb mich, meine geliebte Seele, indem du dich mir rückhaltlos hingibst.

Ich will von dir, daß du nichts wünschst, nichts denkst, nichts erstrebst und nichts siehst als nur mich und meinen Willen, damit ich in dir alles wünsche, denke, erstrebe und sehe, so daß dein Nichts in den Abgrund meines unendlichen Wesens versinke und darin völlig umgewandelt werde. Auf diese Weise wirst du in mir restlos glücklich und heilig werden und ich werde in dir ganz befriedigt sein."

Zum Schluß opfere dem himmlischen Vater seinen Sohn auf: Zunächst für dich und deine Anliegen, dann für die ganze Kirche, für deine Lieben und für die, denen du auf irgendeine Weise verpflichtet bist, und für die Seelen im Fegefeuer. Opfere ihn aber auch auf in Erinnerung und in Vereinigung mit jenem blutigen Opfer, das er selbst, am Kreuze hängend, dem himmlischen Vater darbrachte.

So kannst du auch alle heiligen Messen aufopfern, die an diesem Tage in der heiligen römischen Kirche gefeiert werden.

 


56. Von der geistigen Kommunion

Obschon wir den Herrn nur einmal am Tage im heiligsten Sakrament aufnehmen können, so ist es uns (wie gesagt) dennoch zu jeder Stunde und in jedem Augenblick möglich, ihn geistigerweise zu empfangen, wovon uns kein Geschöpf, sondern nur unsere Nachlässigkeit oder ein anderes Verschulden abzuhalten imstande ist.

Bisweilen wird sogar die geistige Kommunion nutzbringender und Gott genehmer sein, als manche sakramentale Kommunion, bei der es den Empfängern an Andacht und Wärme fehlt.

Sooft du die geistige Kommunion empfangen willst, wirst du den Sohn Gottes bereit finden, sich dir geistigerweise mit eigener Hand zur Speise zu geben.

Um dich darauf vorzubereiten, kehre dein Herz in dieser Absicht zum Herrn; bereue nach einem kurzen Rückblick deine Sünden, mit welchen du Gott beleidigt hast, und bitte ihn mit tiefer Demut und großem Vertrauen, daß er sich würdige, in deine arme Seele einzukehren und sie mit neuer Gnade zu heilen und wider die Feinde zu stärken.

Willst du einen deiner sinnlichen Triebe überwinden oder abtöten oder einen Tugendakt setzen, dann führe dieses alles in der Absicht aus, um dein Herz auf den Herrn vorzubereiten, wie er es von dir beständig verlangt.

Dann wende dich an ihn und bitte ihn mit herzlichem Verlangen, daß er dich heimsuche, um dich mit seiner Gnade zu heilen und von deinen Feinden zu befreien, damit er allein dein Herz in Besitz nehmen kann.

Oder erinnere dich deiner letzten heiligen Kommunion und sprich mit verlangendem Herzen: „Wann, o mein Gott, werde ich dich wieder empfangen? Wann? Ja, wann?"

Willst du dich aber auf eine noch bessere Weise auf die heilige Kommunion vorbereiten, dann stelle schon am Vorabend alle deine Abtötungen, Tugendakte und guten Werke auf den geistigen Empfang deines Herrn ein. In früher Morgenstunde denke an das große Glück und die Beseligung einer Seele, die das hochheilige Sakrament des Altares würdig empfängt; wie die Seele die verlorene Tugend und ihre frühere Schönheit wieder erlangt und der Früchte und Verdienste des Leidens des Gottessohnes selbst teilhaftig wird. Erwäge weiter, wie sehr es Gott gefällt, wenn wir ihn bei uns aufnehmen und die erwähnten Gnaden erhalten, und laß es dir angelegen sein, dein Herz mit einer großen Sehnsucht nach seinem Empfang zu entflammen, um ihm Freude zu bereiten.

Hast du dieses Verlangen in deinem Herzen geweckt, dann wende dich mit folgenden Worten an den Herrn: „Da es mir nicht vergönnt ist, dich heute im heiligen Sakrament zu empfangen, laß mich, o unerschaffene Güte und Allmacht, dich jetzt und zu jeder Stunde und an jedem Tage geistigerweise würdig empfangen, nachdem du mir alle meine Sünden verziehen und mich geheiligt hast. Schenke mir neue Gnade und Kraft wider alle meine Feinde, vor allem aber wider jenen, den ich um deines Wohlgefallens willen gerade bekämpfe."

 


57. Von der Danksagung

Da alles Gute, das wir besitzen und tun, von Gott und durch Gott kommt, so sind wir ihm auch für alle unsere guten Werke und Siege, sowie für alle Wohltaten, besondere und allgemeine, die wir von seiner milden Hand empfangen haben, zum Dank verpflichtet.

Um dies auf die rechte Weise tun zu können, muß man die Gründe ins Auge fassen, warum der Herr uns seine Gnaden mitteilt. Denn aus dieser Erwägung und Erkenntnis lernt man, wie der Herr will, daß wir ihm danken.

Weil nun der Herr bei all seinen Wohltaten in erster Linie seine Ehre im Auge hat und uns zu seiner Liebe und seinem Dienst zu bewegen sucht, so frage dich vor allem: „Was hat Gott bewogen, mir diese Guttat und Gnade zu schenken und zu erweisen? War es seine Allmacht, Weisheit oder Güte?"

Siehst du dann, daß du in dir (wie auch an dir) nichts Empfehlenswertes für irgendeine Wohltat besitzest, sondern in deiner Undankbarkeit ihrer nur unwürdig bist, sprich in tiefer Demut zum Herrn: „Wie kommt es, o Herr, daß du dich herabläßt, einer unwürdigen Kreatur solche Wohltaten zu erweisen? Gepriesen sei dein Name in alle Ewigkeit!"

Und erkennst du schließlich, daß er mit seinen Wohltaten nur deine Liebe und deinen Gehorsam sucht, dann enflamme in dir die Liebe zu einem so liebevollen Herrn und ein aufrichtiges Verlangen, seinem Willen gemäß zu dienen.

Verbinde damit auch die gänzliche Hingabe deiner selbst, die du auf folgende Weise vornehmen kannst.

 


58. Von der Hingabe seiner selbst

Soll dein Selbstopfer Gott wirklich genehm sein, dann muß es zwei Eigenschaften besitzen.

Erstens muß es in Vereinigung mit der Hingabe Christi an den Vater geschehen, und zweitens muß deine Gesinnung frei von aller Anhänglichkeit an die Geschöpfe sein.

Fürs erste mußt du wissen, daß der Sohn Gottes während seines Lebens im Tale der Tränen nicht bloß sich selbst und seine Handlungen dem himmlischen Vater aufopferte, sondern mit sich selbst auch uns und unsere Werke, weshalb auch unsere Hingabe in Vereinigung mit der Hingabe Christi und mit Vertrauen in sie geschehen soll.

Fürs zweite sieh genau zu, ob deine Gesinnung, bevor du dich Gott anbietest, vollkommen lauter ist; denn wäre dies nicht der Fall, so müßte sie zuerst von jeder Anhänglichkeit befreit werden.

Nimm darum zu Gott deine Zuflucht, damit er dich gnädig befreie und damit du dich, von jedem Geschöpf befreit und ungebunden, seiner göttlichen Majestät rückhaltlos hinzugeben imstande bist.

Dabei mußt du jedoch vorsichtig zu Werke gehen. Bist du einer Kreatur noch verhaftet und willst dich Gott hingeben, so bietest du nämlich nicht dein Eigen, sondern das eines anderen dar, weil du nicht mehr dir selbst, sondern einem Geschöpf gehörst, dem du durch deine Anhänglichkeit verhaftet bist. Und ein solches Opfer mißfällt dem Herrn, da du mit ihm gleichsam deinen Spott zu treiben scheinst.

Deshalb bleiben viele unserer Selbstopfer an Gott nicht nur unnütz und fruchtlos, sondern wir geraten zudem noch in mancherlei Fehler und Sünden.

Obgleich wir noch mit einem Geschöpf verhaftet sind, können wir uns Gott dennoch darbieten, aber nur in der Absicht, daß er uns davon in seiner Güte löse, damit wir uns dann seiner göttlichen Majestät und seinem Dienste rückhaltlos widmen können. Und so sollen wir uns ihm immer wieder mit heißem Verlangen anbieten.

Deine Hingabe sei also frei von jeder Anhänglichkeit und jedem Eigenwillen. Schau darum nicht auf irdischen oder himmlischen Gewinn, sondern einzig und allein auf den Willen und die Pläne Gottes, denen du dich zu immerwährendem Brandopfer unterwerfen und hingeben sollst. Und von aller Kreatur losgeschält sprich: „Sieh, o mein Herr und Schöpfer, ich und alle meine Wünsche sind deinem Willen und deinen ewigen Ratschlüssen unterworfen; tu mit mir, was dir gutdünkt und wohlgefällt, im Leben und im Tode und nach dem Tode, in der Zeit und in der Ewigkeit!"

Ist deine Hingabe tatsächlich aufrichtig gemeint — bei Widerwärtigkeiten wirst du es deutlich erkennen —, dann wirst du aus einem irdischen ein im Geiste des Evangeliums vom Glück begünstigter Kaufmann werden, weil du Gottes Eigen wirst und Gott dein Eigen wird. Denn er ist ja der Anteil derer, die sich von aller Kreatur und von sich selbst gänzlich losschälen und befreien und sich rückhaltlos seiner göttlichen Majestät übergeben und darbieten.

Hier hast du ein überaus wirksames Mittel, um alle deine Feinde zu überwinden. Denn welcher Feind oder welche Macht könnte dir jemals schaden, wenn du durch diese Hingabe mit Gott so vereint bist, daß du ganz sein und er ganz dein ist?

Willst du aber dem Herrn irgendein Opfer darbieten wie beispielsweise Fasten, Gebete, Akte der Geduld oder ein anderes gutes Werk, so erinnere dich der Opfergesinnung, mit welcher Christus sein Fasten, seine Gebete und anderen guten Werke dem Vater darbrachte, und im Vertrauen auf ihren Wert und ihre Verdienste opfere die deinigen auf.

Möchtest du dem himmlischen Vater für deine Sündenschuld die Werke Christi anbieten, so kannst du das auf folgende Weise tun:

Überblickst du deine Sünden im allgemeinen oder faßt du sie auch einzeln ins Auge, so wirst du inne, daß es dir aus eigener Kraft unmöglich ist, den Zorn Gottes zu besänftigen und seiner Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten. Nimm deshalb zum Leben und Leiden seines Sohnes Zuflucht, indem du eine seiner Handlungen wie zum Beispiel sein Fasten, Beten, Dulden und Blutvergießen erwägst. Hieraus wirst du ersehen, daß er, um den Vater zu versöhnen und deine Sündenschuld zu sühnen, seine Werke, sein Leiden und sein Blut gleichsam mit den Worten aufopferte:

„Sieh, ewiger Vater, wie ich nach deinem Willen für die Sünden und Fehltritte dieses Menschen deiner Gerechtigkeit überreiche Genugtuung geleistet habe. Deine göttliche Majestät möge ihm gnädig verzeihen und ihn in die Zahl deiner Auserwählten aufnehmen." Biete dem himmlischen Vater dieselbe Opfergabe und Bitte an und flehe ihn an, dir um ihretwillen alle Schuld zu erlassen.

Dies kannst du nicht nur tun, wenn du von einem Geheimnis zum anderen, sondern auch, wenn du von einem Akt eines Geheimnisses zu einem anderen übergehst. Nicht bloß für dich, sondern auch für andere kannst du dich dieser Aufopferung bedienen.

 


59. Von der fühlbaren Gottverbundenheit und der Trockenheit

Die fühlbare Gottverbundenheit wird entweder von der Natur oder dem bösen Feind oder der Gnade verursacht.

Aus ihren Früchten kannst du ihren Ursprung erkennen. Denn wenn sie keine Besserung deines Lebenswandels bewirkt, dann mußt du befürchten, daß sie vom bösen Feind oder der Natur herrührt, und dies umso mehr, je angenehmer, süßer und stürmischer sie sich äußert, namentlich dann, wenn sie von einer gewissen Selbstbespiegelung begleitet ist.

Empfindest du in deiner Seele die Süße der geistlichen Freude, dann forsche nicht lange nach ihrer Herkunft und verlaß dich auch nicht auf dieselbe. Ebenso laß dir auch das Bewußtsein von deiner Armseligkeit nicht rauben. Bemühe dich mit doppeltem Eifer, dein Herz von jeder, selbst geistlichen Bindung frei zu halten und Gott und sein Wohlgefallen allein zu suchen. Auf diese Weise wirst du das süße Gefühl — mag es nun von der Natur oder dem bösen Feinde stammen — in eine Gnade umwandeln.

Auch die Trockenheit der Seele geht aus drei Ursachen hervor:

Erstens: Vom bösen Feind, der die Seele in Lauheit versetzen und vom begonnenen religiösen Leben in weltliche Unterhaltungen und Vergnügungen zurückwerfen will.

Zweitens: Von uns selbst infolge unserer Schuld, Erdhaftigkeit und Nachlässigkeit.

Drittens: Von der Gnade:

- entweder zu unserer Mahnung, noch energischer von jeder Anhänglichkeit, die nicht nach Gott strebt, und von aller Beschäftigung, die nicht auf ihn abzielt, abzulassen;

- oder zu unserer Belehrung durch die Erfahrung, daß alles Gute in uns von Gott kommt; damit wir seine Gnade künftig höher schätzen und demütiger und sorgfältiger bewahren; daß wir durch völligen Verzicht auf uns selbst, ja auf allen geistlichen Trost, an dem wir mit Leidenschaft hängen, umso inniger mit seiner göttlichen Majestät vereint werden und unser Herz, das der Herr für sich allein besitzen will, nicht teilen;

- oder endlich zu unserem Besten, weil er uns gerne mit all unseren Kräften unter dem Beistand seiner Gnade kämpfen sieht.

Fühlst du also in deinem Innern Trockenheit, dann geh in dich und sieh nach, welcher Fehler dir die fühlbare Gottverbundenheit entzogen hat. Eröffne den Kampf gegen ihn, aber nicht um die fühlbare Gnade wieder zu erlangen, sondern um alles Gott Mißfällige in dir auszumerzen.

Entdeckst du aber keinen Fehler, so ist deine fühlbare Gottverbundenheit die wahre Gottverbundenheit, die in der bereitwilligen Hingabe an den Willen Gottes besteht.

Unterlaß auch um keinen Preis deine geistlichen Übungen! Fahre mit allem Eifer darin fort, so nutzlos und fad sie dir auch erscheinen mögen. Trinke willig den bitteren Kelch der Trockenheit, den der Wille Gottes dir in Liebe darreicht.

Und sollte die Trockenheit mitunter von so großer und so dichter Finsternis des Geistes begleitet sein, daß du weder ein noch aus weißt, so laß dich nicht entmutigen! Harre ruhig unter dem Kreuze aus und suche keinen irdischen Trost, wenn auch die Welt oder ein Geschöpf ihn dir anbieten würden.

Verbirg vor jedermann deine Leiden, mit Ausnahme deines Seelenführers, dem du dich anvertrauen sollst, nicht um deine Pein zu lindern, sondern um dich unterweisen zu lassen, wie du sie nach dem Willen Gottes tragen mußt.

Versuche auch nicht, durch Kommunionen, Gebete oder andere geistliche Übungen vom Kreuze herabzusteigen, sondern schöpfe aus ihnen die Kraft, dich zur größeren Ehre des Gekreuzigten im Kreuze zu erfreuen.

Und bist du infolge der Dunkelheit deines Gemütes nicht imstande, dich wie sonst der Betrachtung und dem Gebet zu widmen, so betrachte so gut, als du es eben vermagst.

Und was du mit deinem Gefühl nicht auszurichten vermagst, suche mit dem Willen und dem Wort zu erreichen, indem du dir und dem Herrn eindringlich zuredest. Wunderbare Wirkungen wirst du damit erzielen und neues Leben und neuen Mut wird dein Herz daraus schöpfen.

In solcher Lage magst du mit dem Psalmisten sprechen:

„Warum bist du traurig, meine Seele, und warum verwirrst du mich? Hoffe auf Gott, denn ich werde ihn immer noch preisen; ihn, das Heil meines Angesichtes und mein Gott" (Ps 42, 5).

„Warum, o Herr, hast du dich zurückgezogen so weitab, siehst nicht her, da es doch Zeit ist, in der Drangsal?" (Ps 10,1).

„Verlaß mich nicht gänzlich!" (Ps 118, 8).

Erinnere dich jener heilsamen Unterweisung, die der Herr seiner geliebten Sara, der Gemahlin des Tobias, eingab, und bediene dich ihrer, indem du ausrufst: „Das aber hält jeder für gewiß, der dich verehrt, daß sein Leben, wenn er erprobt ist, gekrönt werden wird, und daß er, wenn er der Züchtigung unterworfen gewesen, zu deiner Barmherzigkeit wird kommen dürfen. Du hast kein Gefallen an unserem Verderben; denn nach dem Sturme schaffst du Stille und nach dem Weinen und Wehklagen flößest du Frohlocken ein. Dein Name, o Gott Israels, sei gepriesen in Ewigkeit!" (Tob 3, 21-23).

Erinnere dich auch deines Erlösers, der zu seiner größten Qual von seinem himmlischen Vater in seiner Menschheit verlassen war. Trage mit ihm das Kreuz und bete aus tiefstem Herzen: „Dein Wille geschehe" (Mt 26, 42).

Handelst du auf diese Weise, dann werden deine Geduld und dein Flehen die Opferflammen deines Herzens zum Throne Gottes emportragen, und du wirst in der Tat mit Gott verbunden sein. Denn die wahre Gottverbundenheit besteht — wie gesagt — in einer lebhaften und entschlossenen Willensbereitschaft, dem Heiland auf seinem Wege mit dem Kreuze auf den Schultern nachzufolgen, wohin er uns zu sich einlädt und ruft: Gott um Gottes willen zu suchen und zuweilen auch Gott um Gottes willen zu lassen.

Würden viele, die sich dem geistlichen Leben widmen, und namentlich Frauen, ihren Fortschritt nicht nach der fühlbaren Gottverbundenheit messen, so wären sie nicht von sich selbst, noch vom bösen Feinde hintergangen worden. Sie würden nicht kampfunfähig und sogar undankbar über eine so große Wohltat, die ihnen der Herr erweist, trauern, sondern eifriger und sorgfältiger seiner göttlichen Majestät dienen, die alles zu ihrer Ehre und zu unserem Heile anordnet und zuläßt.

Auch darin irren sich manche Seelen, die sich sonst vor jeder Gelegenheit zur Sünde ängstlich und vorsichtig hüten, daß sie mutlos und verzagt werden und sich dem Gedanken hingeben, als ob sie Gott verlassen und sich weit von ihm entfernt hätten, wenn sie mitunter von häßlichen, gemeinen und abscheulichen Gedanken und noch schrecklicheren Vorstellungen geplagt werden. Es dünkt ihnen ein Ding der Unmöglichkeit, daß der göttliche Geist in einem Herzen weilen könne, das von derartigen Gedanken voll ist.

So bleiben sie niedergeschlagen, geraten schier in Verzweiflung und kehren wieder ins Weltliche zurück, nachdem sie alle ihre guten Übungen aufgegeben haben.

Sie erfassen die Gnade nicht, die ihnen der Herr erweist. Er läßt es in seiner Güte ja zu, daß sie von solchen Quälgeistern angefochten werden, um sie zur Selbsterkenntnis zu führen und damit sie sich ihm in ihrer Hilfsbedürftigkeit nähern. Undankbar klagen sie darüber, wofür sie sich eigentlich seiner unendlichen Güte gegenüber erkenntlich zeigen sollten.

Bei derartigen Vorfällen sollst du nichts weiter tun, als dich in die Betrachtung deiner verkehrten Neigung vertiefen. Gott will eben, daß dir zu deinem Heile bewußt wird, wie schnell du selbst für die schlimmsten Sünden zu haben bist und daß du ohne seinen Beistand ins größte Verderben stürzen würdest. Hieraus schöpfe eine starke Zuversicht und ein festes Vertrauen auf seine Hilfe, die er dir gewähren wird. Er tut dir ja die Gefahr kund und will dich durch dein Gebet und die Zuflucht zu ihm immer näher an sich ziehen. Sei ihm dafür von Herzen dankbar!

Sei auch überzeugt, daß solche Quälgeister und gemeine Gedanken viel besser durch geduldiges Ertragen und kluges Ausweichen als durch allzu heftigen Widerstand vertrieben werden.

 


60. Von der Gewissenserforschung

Bei der Gewissenserforschung mußt du dreierlei erwägen: Die Sünden des Tages, ihre Ursachen und die Gesinnung und Bereitwilligkeit, mit der du sie zu bekämpfen und die entgegengesetzte Tugend zu erwerben vorhast.

Bezüglich der Sünden halte dich an das in Kapitel 26 („Wenn wir verwundet werden") Gesagte.

Ihre Ursache bemühe dich zu bekämpfen und auszurotten.

Um dies auszuführen und die betreffende Tugend zu erlangen, mußt du deinen Willen mit Mißtrauen wider dich selbst, mit Vertrauen auf Gott, sowie durch Gebet, viele Tugendakte wider den Fehler und Sehnsucht nach der entgegengesetzten Tugend festigen.

Die Siege, die du bereits errungen, und die guten Werke, die du schon vollbracht hast, sollen dir immer verdächtig erscheinen.

Wegen der fast unvermeidlichen Gefahr, daß sich insgeheim törichte Eitelkeit und Hochmut einschleichen, rate ich dir zudem, nicht viel an diese zu denken.

Stelle sie darum alle — welcher Art sie auch sein mögen — der Barmherzigkeit Gottes anheim und richte dein ganzes Sinnen auf das Höhere, das dir noch auszuführen übrigbleibt.

Was sodann die Danksagung für die Gaben und Gnaden betrifft, die dir der Herr an diesem Tage zuteil werden ließ, erkenne ihn als den Geber alles Guten an und danke ihm, daß er dich von so vielen sichtbaren, aber noch zahlreicheren unsichtbaren Feinden errettet, dir gute Gedanken eingegeben, Gelegenheiten zur Tugendübung geboten und so manche dir unbekannte Wohltat erwiesen hat.

 


61. Wir müssen im geistlichen Kampf bis zum Tode durchhalten

Zu den Hauptbedingungen des geistlichen Kampfes gehört die Beharrlichkeit, mit der wir auf die Abtötung unserer Leidenschaften bedacht sein müssen, weil dieselben im Leben nie sterben, sondern wie Unkraut immer wieder aufschießen.

Gleichwie dieser Kampf erst mit dem Leben ein Ende nimmt, so können wir ihm auch niemals entgehen; und wer nicht kämpft, verfällt entweder der Gefangenschaft oder dem Tode.

Außerdem haben wir es mit Feinden von unversöhnlichem Haß zu tun, von denen wir weder einen Frieden noch einen Waffenstillstand erwarten dürfen, da sie denjenigen umso grausamer zugrunde richten, der mit ihnen Freundschaft schließen will.

Dennoch darfst du dich vor ihrer Macht und großen Zahl nicht ängstigen. Denn in diesem Kampfe kann der nicht überwunden werden, der selbst nicht zustimmt, da ja alle Macht unserer Feinde in der Hand unseres Herrn liegt, für dessen Ehre wir kämpfen sollen.

Gott wird auch nicht zugeben, daß du unterliegst, sondern für dich streiten und als der Stärkere dir den Sieg über alle deine Feinde verleihen, sofern du mit ihm vereint tapfer kämpfst und nicht auf dich, sondern auf seine Macht und Güte baust.

Sollte der Herr dir auch nicht sogleich die Siegespalme verleihen, so verliere trotzdem nicht den Mut! Du darfst überzeugt sein — was dich auch zum zuversichtlichen Kampfe aufmuntern soll —, daß er alles Widrige zu deinem Besten und Vorteil wandelt, wenn du nur ausdauernd und heldenmütig kämpfst.

Folge daher deinem himmlischen Herrn, der deinetwegen die Welt überwand und sich in den Tod dahingab. Widme dich großmütigen Herzens diesem Kampfe und der völligen Vernichtung aller deiner Feinde. Würdest du auch nur einem einzigen das Leben schenken, so wäre er dir wie ein Pfeil im Auge oder wie eine Lanze in der Seite und würde dich auf der glorreichen Siegesbahn behindern.

 


62. Wie wir den Angriffen der Feinde in der Todesstunde begegnen sollen

Obgleich unser ganzes Leben auf Erden ein beständiger Kriegsdienst ist (Job 7, 1), steht uns der Haupt- und Entscheidungskampf erst in der letzten Stunde beim Heimgang in die Ewigkeit bevor. Wer nämlich in diesem Augenblick unterliegt, wird sich nimmermehr erheben.

Um dann gut gerüstet zu sein, benutze die dir gebotene Zeit zum tapferen Kampfe. Denn wer im Leben treu gekämpft hat, wird auch in der Todesstunde infolge der erworbenen Fertigkeit leicht den Sieg erringen.

Denke darum oft und ernstlich an den Tod. Du wirst ihn dann weniger fürchten, und dein Herz wird ungehindert und zum Kampfe bereit sein, wenn er dich überfällt.

Die Weltmenschen fliehen freilich diesen Gedanken, um in ihren Vergnügen nicht gestört zu werden; denn diese zu lassen, empfinden sie bei ihrer Einstellung und ihrem Hang zu ihnen als Qual. Deshalb verringert sich auch ihre Anhänglichkeit an sie keineswegs; sie nimmt vielmehr ständig an Kraft zu, und infolgedessen verursacht ihnen die Trennung von diesem Leben und von den so liebgewonnenen Dingen das größte Leid, das von ihnen umso bitterer empfunden wird, je länger sie dieselben genossen haben.

Um dich noch besser auf diesen wichtigen Kampf vorzubereiten, kannst du dir zuweilen vorstellen, du befändest dich ohne jegliche Hilfe ganz allein in Todesnot, und dir jene Umstände vor Augen führen, die dich dann ängstigen werden. Erwäge auch die Mittel, die ich dir angeben werde, um dich ihrer in der letzten Not besser bedienen zu können. Denn der Waffengang, den man nur ein einziges Mal besteht, muß zuvor gut eingeübt sein, damit man da keinen Fehler begeht, wo es keine Verbesserung mehr gibt.

 


63. Von den feindlichen Angriffen in der Todesstunde — Insbesondere von der Versuchung wider den Glauben und ihrer Abwehr

Mit vier ungemein gefährlichen Versuchungen pflegen unsere Feinde uns in der Todesstunde vornehmlich zu bestürmen; nämlich mit der Versuchung wider den Glauben, der Verzweiflung, der törichten Eitelkeit und mancherlei trügerischen Vorspiegelungen und Erscheinungen des Teufels als Engel des Lichtes.

Bezüglich der ersten Anfechtung: Beginnt der böse Feind dir mit falschen Beweisgründen zuzusetzen, dann laß unverzüglich alles Vernünfteln und sprich ganz energisch: „Weiche von mir, Satan, du Vater der Lüge, ich will von dir nichts wissen; es genügt mir der Glaube, den die heilige katholische Kirche lehrt!"

Selbst solchen Gedanken, die dem Glauben günstig scheinen, hänge möglichst wenig nach. Betrachte sie vielmehr als Fallstricke, mit denen der böse Feind dich zu fangen sucht.

Solltest du aber keine Zeit mehr finden, deine Gedanken von solchen Bildern abzulenken, so bleibe dennoch fest und standhaft und schenke keinem Beweise und Zeugnis, das der Widersacher aus der Heiligen Schrift anführt, Beachtung. Sie sind ja alle verstümmelt, schlecht angewandt oder falsch ausgelegt, so gut und einleuchtend sie auch scheinen mögen.

Fragt die listige Schlange nach der Glaubenslehre der katholischen Kirche, dann gib ihr keine Antwort, sondern erwecke einen Akt lebendigen Glaubens in deinem Herzen, da du ihre List durchschaust und erkennst, wie sie dich im Worte fangen will. Oder antworte ihr, um sie vor Wut bersten zu machen, daß die heilige katholische Kirche die Wahrheit lehre, und würde der Böse dann fragen, was diese Wahrheit eigentlich sei, erwidere ihm nur: gerade das, was sie glaubt.

Vor allem aber sei deine Seele ständig dem Gekreuzigten zugewandt, zu dem du immer wieder beten sollst: „O mein Gott, mein Schöpfer und Erlöser, eile mir zu helfen und verlaß mich nicht, damit ich nicht von der Wahrheit deines heiligen katholischen Glaubens abweiche. Und wie ich durch deine Huld und Gnade in dieser Wahrheit geboren wurde, so laß mich auch zu deiner Ehre mein irdisches Leben in ihr vollenden."

 


64. Von der Versuchung zur Verzweiflung und ihrem Gegenmittel

Der zweite Ansturm, mit dem der böse Geist uns völlig zu entmutigen sucht, ist der Schrecken, den er uns mit der Erinnerung an unsere Sünden einjagen will, um uns dadurch in den Abgrund der Verzweiflung zu stürzen.

In dieser Gefahr halte dich an die untrügliche Regel, daß die Gedanken an deine Sünden von der Gnade stammen und dich zum Heile führen, sofern sie in dir Demut, Schmerz über die Beleidigung Gottes und Vertrauen auf seine Güte erzeugen. Beunruhigen sie dich aber und verursachen in dir Mißtrauen und Kleinmut, daß sie dich unter dem Schein der Wahrheit und Berechtigung zu der Ansicht verleiten, du wärest verdammt und hättest keine Zeit mehr, dein Heil zu wirken, dann erkenne in ihnen eine Wirkung des hinterlistigen Betrügers. Verdemütige dich noch tiefer und vertraue umso fester auf Gott, denn dadurch wirst du den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen und dem Herrn Ehre erweisen.

Die Erinnerung soll dich allerdings wegen der Beleidigung Gottes jedesmal betrüben, aber im Vertrauen auf sein Leiden sollst du ihn dann auch um Verzeihung bitten.

Ja, ich sage dir noch mehr: Sollte es dir scheinen, als ob Gott dir selbst ankündigte, du gehörtest nicht zu seinen Auserwählten, so verliere deswegen durchaus nicht das Vertrauen auf ihn, sondern sprich in Demut zu ihm: „O mein Herr, du hast ja allen Grund, mich meiner Sünden wegen zu verwerfen. Doch hege ich um deiner Güte willen eine noch größere Zuversicht, daß du mir verzeihen wirst.

Darum erbitte ich von dir das Heil für dein armes Geschöpf, das wegen seiner Bosheit die Verdammnis verdient, aber durch den Preis deines Blutes erlöst wurde.

Zu deiner Ehre, mein Erlöser, verlange ich gerettet zu werden, und im Vertrauen auf deine unendliche Barmherzigkeit übergebe ich mich rückhaltlos in deine Hände. Verfahre mit mir nach deinem Wohlgefallen; du bist ja allein mein Richter. Selbst wenn du mich tötest, will ich in meiner zuversichtlichen Hoffnung auf dich nicht wanken!"

 


65. Von der Versuchung zu törichter Eitelkeit

Die dritte Anfechtung besteht in der Versuchung zum Hochmut und zur Vermessenheit.

Laß dich in dieser Beziehung auch nicht zum leisesten Wohlgefallen an dir selbst oder deinen guten Werken verleiten. Suche deine Freude einzig im Herrn, in seiner Milde und in den Werken seines Lebens und Leidens.

Erniedrige dich in deinen eigenen Augen immer mehr bis zum letzten Atemzug und erkenne in Gott den alleinigen Urheber aller deiner guten Handlungen, deren du dich erinnerst.

Nimm deine Zuflucht zu seiner Hilfe, aber erwarte sie nicht auf Grund deiner Verdienste, wenn du auch noch so viele und bedeutende Kämpfe siegreich bestanden hättest.

Bleibe beständig in heilsamer Furcht und bekenne aufrichtig, daß alle deine Fürsorge vergeblich wäre, wenn Gott dich nicht unter die Hut seiner Fittiche nehmen würde, auf dessen Schutz du allein vertrauen sollst.

Befolgst du diese Ratschläge, dann können deine Feinde dir nichts anhaben. Und auf diese Weise ebnest du dir den Weg zum glücklichen Einzug ins himmlische Jerusalem.

 


66. Von den Anfechtungen durch trügerische Vorspiegelungen und Erscheinungen in der Todesstunde

Sollte unser Feind, der in seiner Hartnäckigkeit mit seinen Belästigungen niemals aufhört, dir durch Blendwerke und trügerische Erscheinungen als Engel des Lichtes zusetzen wollen, so verhalte dich ganz ruhig und unerschüttert in dem Bewußtsein deines Nichts und rede ihn mit Kühnheit an: „Weiche von hinnen, Unseliger, in deine Finsternis, ich verdiene keine Erscheinungen und bedarf einzig der Barmherzigkeit meines Jesus und der Fürbitte Mariens, des heiligen Josef und der übrigen Heiligen."

Scheint es dir aber infolge zahlreicher und fast unwidersprechlicher Anzeichen, daß die Gesichte himmlischen Ursprunges sind, weise sie auch dann mit Entschiedenheit zurück. Fürchte nicht, daß dein Widerstand, der sich auf deine Unwürdigkeit gründet, dem Herrn mißfällt. Denn stammt die Erscheinung von ihm selbst, dann wird er es schon deutlich kundtun, und du wirst nichts verlieren, da er seine Gnade, die er den Demütigen schenkt, ihnen wegen der Übung der Demut nicht entzieht.

Dies sind die gebräuchlichsten Waffen, deren sich der Feind beim letzten Hinscheiden wider uns bedient. Außerdem versucht er aber einen jeden nach seiner eigentlichen Neigung, die er als dessen schwache Seite kennt.

Deshalb sollen wir uns bereits vor dem Nahen der Stunde unseres Entscheidungskampfes wider unsere heftigeren Leidenschaften wohl rüsten und sie mit Nachdruck bekämpfen, um uns den Sieg in jenem Augenblick zu erleichtern, der uns jede Möglichkeit raubt, ihn sonst zu erringen.

 

Militia est vita hominis super terram.

- Ein Kampf ist des Menschen Leben auf Erden.Job 7,1

übertragen P. Gilbert Wellstein S.O.Cist

Imprimatur

Abtei Marienstatt, 15. April 1934

Dr. Eberhard Hoffmann, Abt S.O.Cist.

Die kirchliche Druckerlaubnis wird hiermit erteilt. Limburg, den 7. Mai 1934 Göbel, Generalvikar


 

 

 


 

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